Der Pflexit droht

Entweder man verjagt den Kapitalismus aus der Pflege oder der Kapitalismus verjagt die Pflegenden

Das Jahr 2020 war für viele Arbeiter*innen ein Schicksalsjahr, insbesondere für die Beschäftigten im Gesundheitswesen. Die Arbeitsbelastung stieg rasant an und viele Kolleg*innen in der Pflege verließen ihren systemrelevanten Beruf. 

Von Jonas Leuwer, Dresden

Dieser Pflexit, ein Kofferwort aus Pflege und Exit, ist nichts Geringeres, als das Ausbluten der professionellen Pflege und das insbesondere während der Pandemie. So ergab eine Umfrage des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK), dass rund ein Drittel aller Pflegefachkräfte den Ausstieg aus dem Pflegeberuf erwägen. Auch international warnt das International Council of Nurses (ICN) vor den negativen Auswirkungen von Corona auf die Zahl der Abwanderungen von Pflegekräften. So hätten bereits sechs Millionen Pflegekräfte zu Beginn der Pandemie gefehlt, vier Millionen weitere Pflegekräfte würden bis 2030 altersbedingt ausscheiden und nun kommen die coronabedingten Ausstiege dazu. 

Besorgniserregende Lage

Sowohl der DBfK, als auch das ICN nennen die hohe Arbeitslast, das Fehlen von Schutzmaterial, sowie die gesundheitliche Gefährdung der Arbeitskräfte als Gründe für die vermehrte Abwanderung von Pflegekräften in der Coronakrise. Die Lage ist also mehr als besorgniserregend, denn wir sind bei Weitem nicht am Ende der Krise und doch schon jetzt beim kollektiven Burnout der Pflegekräfte angelangt. Und dieser katastrophale Zustand ist auch nicht verwunderlich: Schutzmaterial fehlte lange, gewerkschaftliche Arbeit wurde behindert, Arbeitszeitgesetze wurden nicht nur nicht beachtet – sondern regelrecht ausgesetzt. All dies wurde politisch, unter dem Vorwand der Pandemie, legitimiert. Man quittierte die Arbeit der Pflege zwar mit Applaus, aber in Wahrheit ging auch der letzte Rest Anstand der profitorientierten Gesundheitskonzerne gegenüber ihren Mitarbeiter*innen verloren. Plötzlich hatte man die Chance, die Beschäftigten durch 60-Stundenwochen zu treiben, durch Umstrukturierungsmaßnahmen die Arbeitsbelastung zu verdichten und gleichzeitig Arbeitsplätze abzubauen, um Kosten zu senken. Das ist nichts Anderes als Profitmaximierung, abgesegnet durch das politische Corona-Krisenmanagement. 

Die Krankheit heißt Kapitalismus

Dabei ist eins klar: Corona ist ein Virus – doch Kapitalismus ist die Krankheit. Die Wurzeln des Problems liegen weit vor der Pandemie, tausende Pflegekräfte haben schon vor 2020 ihren Beruf verlassen und vor einem drohenden Kollaps des Gesundheitssystems gewarnt, doch niemand nahm diese Kassandrarufe ernst. Der Pflexit ist somit kein Symptom von Corona, und der Pandemie die alleinige Schuld für die katastrophalen Zustände in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen zu geben, ist entweder naiv oder moralisch verwerflich. Corona ist lediglich der Katalysator für die Folgen der bereits vorherrschenden Marktmechanismen. Spätestens seit der Einführung der Fallpauschalen in Krankenhäusern im Jahr 2004 hielt die Profitgier im deutschen Gesundheitssystem Einzug. Es wurde also nicht mehr der reale medizinische Bedarf, sondern lediglich diagnosebezogenen Pauschalbeträge bezahlt. Das bedeutet, je kürzer und kostengünstiger ein Patient behandelt wird, desto höher sind die Profite aus den Fallpauschalen. Da im Krankenhaus die Personalkosten durchschnittlich 64 Prozent der Gesamtkosten einnehmen, versuchen viele Krankenhausträger*innen, Kosten durch Personalkürzungen einzusparen, sprich der Pflexit wird nicht nur gefördert, sondern ist wirtschaftlich gewollt.
Dadurch kommt es zu einer Arbeitsverdichtung und somit zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, wodurch wieder mehr Pflegekräfte ihren Beruf verlassen. Es entsteht ein Teufelskreis, der immer weiter an Fahrt aufnimmt, und mit jeder Pflegekraft, die ihren Beruf verlässt, geht ein Stück Arbeits- und Behandlungsqualität verloren. Zusätzlich wurden immer mehr Krankenhäuser privatisiert, so dass nicht nur Tarifbindungen verloren gingen, sondern auch die Versorgungsqualität, da sich die privaten Träger*innen vor allem auf lukrative Geschäftssparten in der Medizin fokussiert haben, anstatt eine Basisversorgung zu gewährleisten. Auch in der wirtschaftsfokussierten Coronapolitik können Gesundheitskonzerne ungehindert Profite maximieren. Die Gewerkschafts- und die Tarifarbeit wurde vielfach durch Versammlungs- und Besuchsverbote behindert, 21 Kliniken alleine im Jahr 2020 geschlossen, sowie medizinische Standards herabgesetzt. Für viele Kolleg*innen scheint der persönliche Pflexit der einzige Ausweg aus der Krise zu sein, als eine Flucht vor den Auswirkungen des Kapitalismus. 

Gegenwehr ist nötig

Doch man kann nicht vor dem Kapitalismus fliehen. Vielmehr ist gerade jetzt Gegenwehr angebracht, wir brauchen politisch und gewerkschaftlich organisierte Pflegekräfte, wir brauchen einen breiten gesellschaftlichen Widerstand gegen die Profitgier.  Es darf keine weitere Privatisierung im Gesundheits- und Sozialsystem stattfinden. Wir müssen diesen Sektor endlich von finanziellen Zwängen lösen und nach dem realen Bedarf ausrichten. Neben der Einführung einer gesetzlichen Personalbemessung, müssen Krankenhäuser, Sozialträger*innen und Pharmaunternehmen in öffentliches Eigentum und unter demokratische Kontrolle und Verwaltung der Beschäftigten überführt werden. Der Weg wird lang und schwer, aber es lohnt sich für ein soziales Gesundheitssystem zu kämpfen. Darum organisiert euch und kämpft weiter, solidarisch gegen die Krisenprofiteure! Doch vor allem brauchen wir ein klares Bekenntnis für ein Wirtschaftssystem nach sozialistischen Maßstäben, in dem die Interessen der Pflegenden und der Zupflegenden und nicht Profitinteressen regieren!

Jonas Leuwer ist aktiv in der ver.di-Betriebsgruppe des Städtischen Klinikums Dresden und im Bündnis für Pflege.