„Alles knirscht und quietscht“

Am Montag protestierten Klinikbeschäftigte und Unterstützende u.a. vor dem SPD-Sommerfest gegen Streikverbote

Wenn man so will, hatten die Arbeitgeber 100 Tage Zeit, sich mit den Streikenden der Vivantes-Kliniken, deren Töchtern und der Charité auf eine Notdienstvereinbarung für die Streiktage zu einigen – denn so lange lief das Ultimatum der Beschäftigten für ihre Forderung nach einem Entlastungstarifvertrag. Nachdem die Klinikleitung der Vivantes lediglich einen Entwurf vorlegte, der laut Aussagen von Kolleg*innen den Normalbetrieb festschreiben sollte (was von der Gewerkschaft ver.di abgelehnt wurde), erwirkte sie zwei Tage vor Streikbeginn eine einstweilige Verfügung gegen den Streik der Töchter und am ersten Streiktag eine weitere gegen den Streik im ganzen Vivantes-Betrieb in Berlin.

Bericht von Sol-Mitgliedern aus Berlin

Die Kolleg*innen sind stinksauer und organisierten mehrere spontane Proteste noch neben den Streikposten an den verschiedenen Klinikstandorten. Es gab eine Sitzblockade nach einer geplanten Demo zur Geschäftsführung von Vivantes und einen Protest vor dem SPD-Sommerfest, welches am selben Abend stattfand. Zwar musste die Arbeit bei Vivantes zur Nachtschicht wieder aufgenommen werden. Aber wenigstens gelang es, den anreisenden SPD-Spitzenpolitiker*innen ein paar Worte mit auf dem Weg zum Buffet zu geben. „TVÖD für alle an die Spree“, „Mehr Personal noch vor der Wahl“ und „Es gibt kein Recht auf Ausbeutung der Pflege“ wurde unter anderem gerufen. Franziska Giffey, Berliner SPD-Spitzenkandidatin, und Raed Saleh, SPD-Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus, versuchten die Beschäftigten zu beruhigen. Sie versprachen, am nächsten Tag Druck auf die Geschäftsführung machen zu wollen, und luden einen kleine Delegation zum Gespräch beim Fest ein.

Kolleg*innen stinksauer

Intensivpflegerin Maya aus Neukölln streikt auch für bessere Bedingungen und damit sie nicht irgendwann wie so viele im Burnout landen würde. Als sie vor fünf Jahren als ausgebildete Pflegerin aus Brasilien hierher kam, hatte sie nicht erwartet, dass sie hier genauso viel improvisieren oder ähnliche Bilder mit Betten auf den Fluren sehen müsse. Die Versorgung mit Medikamenten und Arbeitsmitteln sei hier natürlich besser, aber sie müssten ständig auf anderen Stationen ohne Schulung aushelfen. Zudem sei der bauliche Zustand so schlecht, dass sie Computer und Patient*innen wegräumen müssen, wenn es regnet und Fenster mit Pflastern reparieren müssen, damit sie ihnen nicht auf den Kopf fallen. Sie hofft, dass es in den nächsten Tagen nicht nur schöne Reden von den „Leuten an der Macht“ geben wird; sondern dass sie ihre Arbeit vernünftig erledigen.

Ein Pfleger von der Charité konstatierte, dass das Gesundheitswesen spätestens seit Einführung der Fallpauschalen (DRG) 2003 in eine Schieflage geraten wäre, was er „direkt am Bett zu spüren“ bekomme und „täglich gefährliche Situationen“ durch Fehler und mangelnde Einarbeitung entstünden. Viele verließen diesen Beruf schnell wieder, die neu eingestellten angelernten Kräfte könnten nicht vorbereitet werden und brennen noch schneller aus. In einem Krankenhaus könne man nicht einfach, die Arbeit fallen lassen wie in einem Industriebetrieb. Aber diese Situation hätten nicht die Pflegenden verursacht. Sie würden nun nicht geschützt, sondern offensichtlich aus taktischen Gründen auch in der Wahrnehmung ihres Streikrechts boykottiert. Der Trend, in diesem System alles zu ökonomisieren und durch renditegetriebene Betriebe enormen Druck auf das Gesundheitswesen zu machen, wäre ein falscher politischer Kurs.

Intensivpfleger Konstantin aus Neukölln hat kaum einen Kollegen oder eine Kollegin gesund in Rente gehen sehen, da auf fast allen Stationen sofort alles zusammenbräche, sobald mal ein/e ausfällt. Er selbst geht oft nach 16 Jahren in diesem Beruf, denn er sehr gern gewählt hat, mit einem unguten Gefühl nach Hause. Von selbst würde der Arbeitgeber nicht darauf kommen, etwas zu verbessern. Deshalb gingen sie nun zu allen Parteien bis sie gehört werden. Er befürchtet auch, wenn die Klinikleitungen damit durchkomme, dass dann Tür und Tor offen sind, um auch Beschäftigten anderer Bereiche das Streikrecht zu verwehren. Auch die Patient*innen sollten sich massenhaft beteiligen und nicht erst auf dem Moment warten, bis sie in einem Krankenhaus acht Stunden im eigenen Kot gelegen hätten, weil niemand Zeit hatte. Deshalb müssten sich jetzt alle für eine bessere Pflege und öffentliche Daseinsvorsorge einsetzen, da sonst überall noch mehr gespart werden würde. „Das wird kein einzelner Ziegel oder Baustein sein, wir müssen alle zusammen eine Mauer bilden! (…) Wenn wir den Kapitalismus machen lassen, wird er letztendlich jeden auffressen.“

Die Sol war den ganzen Tag bei den verschiedenen Streikaktionen vor Ort. Es kommt jetzt darauf an, dass alle Gewerkschaften zu den anstehenden Protestaktionen mobilisieren. Es sollte zügig zu einer Urabstimmung zum Erzwingungsstreik eingeleitet werden und in den Betrieben des Öffentlichen Dienst uns allen Krankenhäusern Betriebsversammlungen durchgeführt werden, die das Thema aufnehmen und diese zu Protestversammlungen gemacht werden.