Vorübergehende Folge der Coronakrise oder Trendwende?
Im September stiegen die Verbraucherpreise um 4,1 Prozent. Das war das stärkste Anstieg seit dem Dezember 1993. Die „Wirtschaftsweisen“ erwarten zum Jahresende einen weiteren Anstieg.
von Wolfram Klein, Plochingen bei Stuttgart
Der Preisanstieg betrifft besonders Energie (plus 14,3 Prozent) und Nahrungsmittel (plus 4,9 Prozent). Insbesondere Heizöl (plus 76,5 Prozent) und Kraftstoffe (plus 28,4 Prozent) waren teurer. Uns wird versichert, dass es sich nur um ein kurzfristiges Ausschlagen der Preise handelt. Als Reaktion auf die Coronapandemie war für das zweite Halbjahr 2020 die Mehrwertsteuer gesenkt worden. Zum 1. Januar 2021 galt wieder der alte Steuersatz. Das macht etwa ein halbes Prozent der Preissteigerung aus. Der Einbruch der Wirtschaft zu Beginn der Pandemie führte zu einem Einbrechen der Nachfrage und damit der Preise für Rohstoffe. Mit der Erholung der Wirtschaft stiegen die Rohstoffpreise wieder. Die „Wirtschaftsweisen“ geben den Effekt des Anstiegs der Energiepreise mit einem guten Prozent an. Wenn das herausgerechnet wird, bleibt eine Preissteigerung von etwa 2,5 Prozent, immer noch mehr als im Durchschnitt der letzten Jahre.
Lieferengpässe
Ein Faktor, der die Wirtschaft seit dem Frühjahr stark belastet, sind Lieferengpässe. Sie können nur zu einem kleinen Teil durch Einzelereignisse wie die Havarie im Suezkanal im Frühjahr erklärt werden. Seit fast zweihundert Jahren bewegt sich die kapitalistische Weltwirtschaft in Konjunkturzyklen, im Wechsel von Aufschwung, Hochkonjunktur, Abschwung und Krise. Man sollte meinen, dass sie inzwischen Routine hätten. Dennoch sind in der Konjunkturerholung nach der Coronapandemie Schiffskapazitäten, Containerverfügbarkeiten und Abfertigungskapazitäten in den Häfen an solche Grenzen gestoßen, dass sie die Erholung der Industrieproduktion regelrecht abgewürgt haben. Zu den Transportengpässen kamen Produktionsengpässe, vor allem bei Halbleitern. Besonders betroffen war die Autoindustrie, aber auch Elektronik und Maschinenbau. Diese Lieferengpässe sind eine weitere Ursache für Preissteigerungen.
Hintergründe und Perspektiven
Seit Jahren betreiben die EZB und andere Zentralbanken eine extrem lockere Geldpolitik: niedrige Zinsen, Aufblähung der Geldmenge. Viele Leute fürchteten, dass dies zu Inflation führen werde. Jetzt ist die Inflation wieder da und hat andere Ursachen. Einen Zusammenhang gibt es aber doch: Diese Geldpolitik hat zwar die Wirtschaft kaum angekurbelt, aber zu großen Spekulationsblasen (bei Wertpapieren, Immobilien, auch Rohstoffen) geführt. Das hat viele Reiche noch reicher gemacht. Aber da Rohstoffe nicht nur als Spekulationsobjekte dienen, sondern auch in der Produktion benötigt werden, führen solche spekulative Preisanstiege auch zu allgemeinen Preissteigerungen.
Produktionsengpässe werden sicher zunehmen auch als Folge des Klimawandels. Die kapitalistische Wirtschaft wird instabiler und die extremen Lieferengpässe dieses Jahr erwecken den Eindruck, dass die Fähigkeit des Kapitalismus, flexibel auf solche Instabilität zu reagieren, abnimmt. Damit sind neue Inflationsschübe nur eine Frage der Zeit. Diese können zu steigenden Zinsen führen und ein Zinsanstieg kann angesichts der extrem hohen Verschuldung von Staaten, Unternehmen und Haushalten zu massiven wirtschaftlichen Erschütterungen führen.
Und die Löhne?
Uns wird gedroht, dass Inflation insbesondere dann komme, wenn wir auf die steigenden Preise mit höheren Lohnforderungen antworten. Tatsächlich erhöhen steigende Löhne nicht die Preise, sondern senken die Profite. Die Gefahr ist eher, dass Kapitalist*innen die Produktion einschränken, wenn sie nicht mehr profitabel ist, was dann zu Engpässen und steigenden Preisen führt. Aber der Kapitalismus untergräbt selbst seine Profitmöglichkeiten. Wenn wir uns auf diese Logik einlassen, landen wir bei Lohnsenkungen. Wir haben keine Alternative dazu, den Kampf für höhere Löhne mit dem Kampf gegen die kapitalistische Profitlogik zu verbinden, die unsere Lebensqualität ebenso zerstört wie die ökologischen Lebensgrundlagen.