Fimbesprechung: „Don‘t look up“
Achtung: Spoiler!
Am 24. Dezember veröffentlichte Netflix die Komöde „Don‘t look up“. Nicht nur ist der Film in kürzester Zeit weltweit auf Platz 1 der Netflix-Charts gelandet, sondern auch Thema zahlreicher Diskussionen und Rezensionen, insbesondere über den politischen Inhalt. Schließlich ist der Film eine Parabel auf die drohende Klimakatasrophe.
Von Jens Jaschik, Sol Dortmund
Trotz der Länge des Films ist die Handlung schnell zusammengefasst: Zwei Wissenschaftler*innen entdecken einen Asteroiden so groß wie der Mount Everest, der direkt auf die Erde zurast und in sechs Monaten sämtliches Leben auslöscht, wenn die Menschheit nicht angemessen reagiert. Die Wissenschaftler*innen warnen die US-Präsidentin – ein Donald Trump-Verschnitt gespielt von Meryl Streep – aber die Politik reagiert nicht. Sie warnen die Medien, aber auch diese reagiert nicht. Stattdessen folgt auf Social Media eine Hetzkampagne gegen die Wissenschaftler*innen. Die Politik entscheidet sich schließlich doch noch zu reagieren, aber dann wird der Plan plötzlich zu Gunsten der Profitinteressen eines Superkapitalisten aufgegeben. Eine populistische Bewegung entsteht, die unter dem Slogan „Don‘t look up (dt. Schau nicht nach oben), dazu aufrufen den Asteroiden einfach zu ignorieren – bis man ihn nicht mehr ignorieren kann. Die Menschheit steuert auf ihr Ende zu. Und die Reichen und Mächtigen fliegen in einem Raumschiff davon.
Die Parallelen werden schnell klar: Trump-Ära, Rechtspopulismus,Wissenschaftsfeindlichkeit, Greta Thunberg, drohende Klimakatastrophe. Eine riesige Parabel auf die Probleme der Menschheit. Die Idee klingt überzeugend. Ein Film der aktueller nicht sein könnte. Leider versagt Regisseur und Drehbuchautor Adam McKay (Anchorman, Vice) uns eine intelligente und unterhaltsame Komödie zu bieten.
Politische Message
Ein Film hat nicht die Aufgabe uns ein politisches, geschweige denn ein sozialistisches Programm zu präsentieren. Die meisten Filme heutzutage wollen nur unterhalten. Meistens spiegelt ein Film die materielle Welt wider, d.h. er greift zurück auf reale gesellschaftliche Verhältnisse und Probleme. Überspitzungen und Verfremdung helfen dabei die Welt klarer zu sehen oder unseren Blick auf Einzelaspekte zu konzentrieren. Die Kunst hilft uns, die Welt zu sehen, wie sie ist. Besonders Komödien und Satiren haben das Potenzial durch die lachhafte Zuspitzung die Absurditäten und Widersprüche der Gesellschaft darzustellen. Im besten Fall stellen sich dem Zuschauer nach dem schauen weitere Fragen und er denkt noch lange über das Gesehene nach. Schafft „Don‘t look up“ das?
In einigen Punkten spricht der Film die richtigen Probleme an, auch wenn er oft zu kurz greift. Die Politik interessiert sich mehr für sich selbst, als für die Probleme der einfachen Menschen. Erst wenn es um Wähler*innenstimmen geht, wird (unzureichend) reagiert. An der Spitze der Pyramide steht das Kapital, dem die Politik immer zu Diensten ist und das mal im Hintergrund, mal im Vordergrund schaltet und waltet. Das politische Establishment wird uns nicht helfen. Kapitalisten, egal wie modern und liberal sie sich präsentieren, interessieren sich nur für Profite. Trotzdem versuchen die Hauptcharaktere immer wieder genau diese Leute zu überzeugen und scheitern. Hier enden die positiven Aspekte.
Wer eigentlich der Adressat ist und wen der Film überzeugen will bleibt unklar. Der Film ist zu arrogant, um jemanden mit seinem Weckruf zu überzeugen, endlich gemeinsam zu handeln. Es ist ein „Wir wissen es ja besser“-Film. Die Message ist trotz der Kritik am politischen Establishment, die einer Kollektivschuld. Nicht nur Politik und Medien versagen, sondern auch die Mehrheit der einfachen Menschen, die sich – so in „Don‘t look up“ dargestellt – lieber von Tiktok und dem Beziehungsleben irgendwelcher Promis ablenken lassen.
Diese Schlussfolgerung finden wir auch in der Rezeption des Films. Die Frankfurter Allgemeine kommt in ihrer Rezension zu folgender Lesart: „Die Politik sei völlig verrottet, die Medien seien amoralisch und zynisch und das Volk, dass sich in den Twitter- und Instagram-Blasen seine Meinung bildet, auf dem Weg in die Verblödung.“. Die Süddeutsche stellt Eingangs die Frage „Sind wir als Spezies zu blöd, uns selbst zu retten?“ Auch der Standard schlussfolgert „All das wäre nicht möglich, wäre die Gesellschaft nicht eine derart narzisstische, kritiklose Masse, … Die große Mehrheit unterwirft sich den Versprechungen der Techgiganten, den dummen Slogans der Politik und Infotainment der Medien.“, aber kommt zum Schluss, dass „hier sich jedoch die Fiktion von der Realität“ unterscheidet. Die Massenbewegung der vergangenen Jahre und die Geschichte unserer Klasse, der Arbeiter*innenklasse, beweisen uns das Gegenteil.
Die Sichtweise auf die einfachen Menschen, die uns „Don‘t look up“ präsentiert, ist zutiefst bürgerlich. Wenn in „Don‘t look up“ die Masse der Menschen gezeigt wird, dann sind diese dumm und leicht zu manipulieren, wenn sie doch mal auf die drohende Katastrophe reagieren, dann passiert das in Form von Massenhysterie und Plünderungen. Erst gegen Ende des Films entsteht eine kleine Gegenbewegung, die Politik und Medien auffordert, zu reagieren, als es schon längst zu spät ist. Aber in der Realität zeigt sich, dass die Menschen immer wieder zusammenkommen, um für ihre Interessen zu kämpfen, und dass sie weit darüber hinausgehen, nur zu versuchen, die Herrschenden zu überzeugen.
Cineastisch ein Flop
Auf technischer Ebene ist der Film ein Flop. Wenn man eine schwarze Komödie mit einem Drehbuch voller Witze und plötzlichen Wendungen erwartet, wird man bitter enttäuscht. Die Witze sind so innovationslos, dass man sie schon in zahlreichen anderen Komödien gehört hat. Leonardo DiCaprio erspielt sich keinen neuen Oscar und die Handlung bleibt vorhersehbar. Bei insgesamt zwei Stunden und 25 Minuten Laufzeit hat der Film zahlreiche Längen. Oft laufen die Charaktere durch Gänge oder warten schweigend. Schnell kommt Langeweile auf – was bei einer Komödie nicht passieren darf.
Die Charaktere sind einfach gehalten und besitzen selten mehr als zwei Charaktereigenschaften. Jennifer Lawrence spielt eine dauer-genervte Wissenschaftlerin, Leonardo DiCaprio einen unsicheren Wissenschaftler. Kate Dibiansky, gespielt von Jennifer Lawrence, soll die Wut über die Untätigkeit des Establishments darstellen. Doch fällt es dem Zuschauer schwer auf Grund der oberflächlichen Darstellung eine tiefere Verbindung zu Kate aufzubauen. Weder lernen wir mehr über ihre Persönlichkeit kennen, noch macht ihr Charakter eine Entwicklung durch. Randall Mindy, gespielt von Leonardo Dicaprio, wird einem sogar auf Grund der oberflächlichen Darstellung unsympathisch, obwohl bei ihm versucht wurde mehr Hintergrund einzufügen und eine Entwicklung aufzubauen. Sein Charakter wird vom System korrumpiert und er fängt eine Affäre mit einer TV-Moderatorin an. Am Ende findet er zurück zu Familie (und Gott?), dafür entschieden hat er sich, weil die unmittelbare Vernichtung der Erde nur noch wenige Stunden entfernt ist, und er sonst allein ist. Er ist der selbe Charakter, wie zu Beginn des Films und auch die Rückkehr zu seiner Familie ist nicht besonders emotional, schließlich haben wir sie nie wirklich kennengelernt. Eine Szene mit ihm ist ein Paradebeispiel für den schwachen Charakteraufbau. Während Randall mit seiner Affäre zusammen ist, tauschen sie sich über ihre Persönlichkeit aus. Die Moderatrin erzählt nur oberflächliches Blabla. Intention dahinter ist, dass sie als Synonym für die Medien als charakterlos und oberflächlich präsentiert werden soll. Das Problem: Dicaprios Charakter antwortet genauso oberflächlich und langweilig. Zu sagen, dass man sich mal über was Banales gefreut hat, ist noch keine Charaktereigenschaft. Und das er nicht mal seine beiden Kinder erwähnt, macht ihn auch noch unsympathisch.
Dies sind nur ein paar Beispiele, aber alles in allem wirken die Charaktere selbst für eine Komödie zu eindimensional oder das Klischee wurde zu weit überspannt, wie bei dem Trump-Verschnitt oder der Steve Jobs/Elon Musk-Mischung. Verbunden mit der überheblichen bis arroganten Darstellung der Mehrheit der Menschen werden die zweieinhalb Stunden schnell sehr öde.
Wieso erfolgreich?
Trotzdem ist der Film ein Riesenerfolg. Werbekampagne, Starbesetzung und die Veröffentlichung am 24. Dezember, wenn die meisten Menschen mit ihrer Familie zu Hause zusammensitzen, erneuter Lockdown in vielen Ländern haben „Don‘t look up“ zu einen Kassenschlager für Netflix gemacht. Aber es ist nicht zuletzt der Film selbst, sondern das Thema das ihn zum Erfolg verholfen hat: Die drohende Klimakatastrophe.
Wer auf den Play-Button gedrückt hat, tat dies weil er wusste, dass er eine schwarze Komödie sehen wird, die eine Parabel auf die Klimakatrastrophe und dem Versagen der etablierten Politik weltweit sein soll. So wurde der Film in den Wochen und Monaten vor der Veröffentlichung beworben. Die Zuschauer*innen wurden in ihrem Gefühl der Angst und Sorge um die Zukunft unseres Planeten und ihren Missmut gegenüber Politiker*innen bestätigt. Der Erfolg von „Don‘t look up“ sagt weniger über die Qualitäten des Films, als viel mehr über die Bedeutung des Themas aus.
Der Film hat durch seine Überlänge, dünne Handlung und eindimensionalen Charaktere viel Potenzial verspielt. „Don‘t look up“ kann sich nicht entscheiden, ob es eine Komöde oder doch ein ernsthafter Katastrophenfilm sein will. Der Film wird sicherlich kein Klassiker. Doch für kurze Zeit wird er Gegenstand zahlreicher Diskussionen.
Während der Film uns ein pessimistische Ende präsentiert, ist es unsere Aufgabe die wirkliche Katastrophe zu verhindern. Und wir können da anfangen, wo der Film falsch liegt. Die Mehrheit der Menschen ist keine kritiklose Masse. Wir brauchen keinen Aufruf uns mehr um die Probleme unserer Zeit zu kümmern, statt uns mit TikTok-Videos und dem Beziehungsleben der Stars und Sternchen zu beschäftigen, sondern eine unabhängige politische Alternative und Organisation, die unsere Interessen in den Vordergrund stellt und uns dabei hilft für diese zu kämpfen. Nur eine Arbeiter*innenpartei mit einem sozialistischen Programm ist fähig einen sozial-ökologischen Wandel einzuleiten. Nicht die Herrschenden und ihr Establishment müssen wir überzeugen, sondern wir müssen für eine Gesellschaft kämpfen, in der wir selber über Politik und Wirtschaft bestimmen. Ein Hindernis ist die Ohnmacht, die die Mehrheit der Menschen gegenüber den gesellschaftlichen Kräften verspürt. Nur wenn wir uns organisieren und selbst aktiv werden, können wir dieses Hindernis überwinden.