Resolution zur Weltlage

Beschluss des 13. Weltkongress des CWI im Januar 2022

Im Januar fand der 13. Weltkongress des Komitees für eine Arbeiter*inneninternationale statt. Die dort verabschiedeten Resolutionen sind nun in deutscher Übersetzung in einer Broschüre veröffentlicht wurden, die unter info@solidaritaet.info bestellt werden kann. Wir werden sie in den nächsten Wochen auch auf dieser Webseite veröffentlichen und beginnen heute mit dem Beschluss zur Lage des Weltkapitalismus und den Beziehungen zwischen den Staaten. Weitere Resolutionen wurden zur Lage in Europa, zur Krisen in Afrika, Asien und Lateinamerika und zur Situation und Bedeutung der Gewerkschaften beschlossen. Der Kongress fand vor dem Beginn des Ukraine-Kriegs statt, daher sollte diese Resolution im Zusammenhang mit diesem Text gelesen werden.

  1. Der 13. Kongress des CWI findet in einer historischen Epoche der kapitalistischen Krise und des Aufruhrs statt. Während alle Tendenzen und Trends der Krise bereits vor 2020 vorhanden waren, wirkte der Ausbruch der COVID-19-Pandemie als enormer Beschleuniger und veränderte die gesamte Lage. Einige Kommentator*innen beschreiben das Weltgeschehen sogar als “BC” oder “AC” – “before COVID” und “after COVID”.
  2. Wie wir in unserer Analyse dargelegt haben ist der globale Kapitalismus heute mit einer Reihe von konvergierenden Krisen konfrontiert. Diese betreffen: Wirtschaft, Soziales und Politik, Gesundheit, zwischenstaatliche Beziehungen und Umwelt. Auch wenn in einigen Ländern eine gewisse Atempause von der COVID-19-Pandemie eingetreten ist, prägt sie weltweit weiterhin die wirtschaftliche, soziale und politische Situation, wie die neue Variante Omikron zeigt, der weitere folgen werden. Auch die sich verschärfende Umweltkrise wirkt sich nun immer direkter auf das wirtschaftliche, soziale und politische Geschehen aus.
  3. Die Arbeiter*innenklasse und das CWI sind nun in eine neue historische Ära des Umbruchs und der Unruhe eingetreten. Diese ist unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass sich die Ereignisse in rasantem Tempo abspielen und sie bringt viele Unwägbarkeiten mit sich. Während es einige klare Trends und Tendenzen gibt, die sich derzeit in der Weltlage entfalten, gibt es zahlreiche Aspekte, die heute noch nicht klar sind und unsicher bleiben.
  4. Sicher ist jedoch, daß der Kapitalismus nicht in der Lage sein wird, die ihm zugrunde liegenden Systemkrisen zu lösen. Er wird auch nicht in der Lage sein, sich selbst “neu zu starten” [“reboot” a.d.Ü], wie einige bürgerliche Kommentator*innen behaupten. Alle bisherigen “Gewissheiten” sind in dieser Krise erschüttert worden. Eine neue Ära der brutalen Polarisierung mit Merkmalen der Revolution und Konterrevolution hat begonnen. Die beispiellose Zunahme der Ungleichheit führt zu einer brutalen Spaltung der Klassen. Eine kleine Anzahl von Oligarchen plündert den Planeten auf Kosten der Armen. Im Jahr 2020 haben die reichsten ein Prozent mehr als vier Milliarden Dollar gestohlen. Gleichzeitig schätzt die Internationale Arbeitsorganisation, dass weltweit 255 Millionen Vollzeitarbeitsplätze verloren gegangen sind – ein Verlust von ebenfalls vier Milliarden Dollar. Die US-Amerikanischen Konzerne haben sich im zweiten und dritten Quartal 2021 den Luxus der größten Gewinnspannen der letzten siebzig Jahre gegönnt. Die US-Amerikanische Arbeiter*innenklasse hingegen musste im September und Oktober 2021 eine Senkung ihres realen Durchschnittsstundenlohns um 0,5 Prozent hinnehmen. In dieser hochgradig polarisierten Weltsituation stehen Marxist*innen und die Arbeiter*innenklasse vor neuen Herausforderungen und Anforderungen, zu denen der Wiederaufbau bzw. der Aufbau der Arbeiter*innen- und revolutionären Bewegung vor dem Hintergrund einer tiefgreifenden ideologischen Verwirrung und Desorientierung auf der Linken gehört.
  5. Im Jahr 2020 kam es auf dem Höhepunkt der Pandemie zu einem tiefen wirtschaftlichen Einbruch. Davon waren alle Länder betroffen. Darauf folgte unweigerlich ein begrenztes, instabiles Wachstum in den wichtigsten imperialistischen Zentren. Ganz anders sieht es jedoch in den meisten Ländern Südasiens, Lateinamerikas und Teilen Afrikas aus, wo eine verheerende wirtschaftliche Rezession oder ein Einbruch mit schrecklichen sozialen und wirtschaftlichen Folgen anhält. Selbst in Ländern wie Nigeria, die formal ein Wirtschaftswachstum verzeichnen, ist der Lebensstandard gesunken. Die entscheidende Frage ist, ob dieser Aufschwung von Dauer sein oder zu einer Wiederbelebung der Weltwirtschaft führen kann. Einige haben argumentiert, dass die Anwendung eines “Green New Deal” mit massiven Investitionen in neue “grüne Industrien” zu einer neuen Periode des kapitalistischen Aufschwungs und einer “vierten industriellen Revolution” führen kann. Tatsächlich ist dies aber keine realistische Perspektive für den Kapitalismus der 2020er Jahre.
  6. Nach dem globalen Stillstand im Jahr 2020 war ein gewisser Aufschwung in den USA, der EU und China unvermeidlich. Das begrenzte Wachstum, das stattgefunden hat, war jedoch oberflächlich und kurzlebig. Auch wenn einige wichtige Volkswirtschaften formal zu der Situation zurückgekehrt sind, die vor der Pandemie herrschte, so doch nur auf einer äußerst schwachen Grundlage.
  7. Trotz kleinerer Aufschwünge befindet sich die Weltwirtschaft faktisch seit dem Zusammenbruch von 2007-08 – also seit mehr als dreizehn Jahren – in einer Krisenphase. Diese ist damit auch eine der längsten Krisen in der Geschichte des Kapitalismus. Dies verdeutlicht dass wir uns gegenwärtig in einer Ära des kapitalistischen Verfalls und der Desintegration, ganz im Gegensatz zu einer Ära des Booms und Aufschwungs, befinden. In Zeiten des Aufschwungs und der Hochkonjunktur sind Wirtschaftskrisen in der Regel oberflächlich und kurzlebig, Booms hingegen (i.d.R.) lang anhaltend und solide. In Krisenzeiten ist das Wachstum eher gering und kurzlebig, Rezessionen sind tiefer und länger. Der Kapitalismus unserer Zeit befindet sich in der letztgenannten Phase.
  8. Darüber hinaus gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass der “Aufschwung” bereits ins Stocken geraten ist oder sich verlangsamt hat, insbesondere in den USA und China. In den USA hat sich das Wirtschaftswachstum im dritten Quartal 2021 deutlich verlangsamt. So wuchs die US-Wirtschaft in den drei Monaten bis Ende September auf Jahresbasis um zwei Prozent – das schwächste Quartalswachstum seit dem Pandemieeinbruch im Jahr 2020.
  9. In China wuchs die Industrietätigkeit im dritten Quartal nur um 3,1 Prozent und damit weniger als die erwarteten 4,5 Prozent. Das erhoffte globale Wachstum von sechs Prozent im Jahr 2021 wird nun voraussichtlich auf drei Prozent im Jahr 2022 fallen und könnte sogar noch weiter sinken.
  10. Darüber hinaus hat die Wiederbelebung der Wirtschaft in den wichtigsten imperialistischen Ländern neue Probleme für den Kapitalismus mit sich gebracht. Die Versorgungsketten in den Schlüsselsektoren der Wirtschaft sind in erheblichem Maße gestört, was sich auf viele Rohstoffe und Produkte auswirkt. Dies ist auf verschiedene Faktoren zurückzuführen, u. a. auf die Auswirkungen von COVID und das Fehlen von Beschäftigten an einigen Arbeitsplätzen, auf Arbeitskräftemangel, auf Material, das sich aufgrund von Sperrungen am falschen Ort befindet, auf Störungen im Transportwesen und auf die mangelnde Verfügbarkeit bestimmter Waren. Der Mangel an Halbleitern hat sich lähmend auf Teile der Automobilindustrie und andere Sektoren ausgewirkt. Riesenkonzerne von Volkswagen bis Apple sind davon betroffen. VW schätzt seine Gewinneinbußen auf 500 Millionen Euro und Apple auf sechs Milliarden US-Dollar, wobei beide u. a. auf den weltweiten Mangel an Halbleitern zurückzuführen sind. Die Unterbrechung der globalen Versorgungsketten und der Mangel an Rohstoffen ist einer der Hauptfaktoren für die Verlangsamung des Wachstums in den Volkswirtschaften der wichtigsten imperialistischen Länder. Der Kapitalismus ist mit einer Krise der Versorgungsketten, aber auch mit einer schleppenden und unerwartet schwachen Nachfrage in den wichtigsten imperialistischen Volkswirtschaften konfrontiert. Außerdem besteht in einigen Ländern Arbeitskräftemangel in wichtigen Wirtschaftszweigen.
  11. Die Inflation hat in vielen Ländern zugenommen und birgt die Gefahr einer Stagflation, die die wichtigsten Volkswirtschaften in der kommenden Zeit treffen kann. Der Wirtschaftswissenschaftler Nouriel Roubini warnt zu Recht, dass eine Stagflation im Stil der 1970er Jahre jetzt möglich ist, verbunden mit einer schweren Schuldenkrise. Dies geschieht bereits in vielen Ländern der neokolonialen Welt wie Argentinien, Nigeria und insbesondere Venezuela, wo eine Hyperinflation von schätzungsweise mehr als 10.000 Prozent pro Jahr herrscht. In der EU weist Deutschland mit sechs Prozent eine der höchsten Inflationsraten auf. Der Anstieg der Lebensmittelpreise, der Energiekosten und anderer Rohstoffe hat bereits erhebliche politische und soziale Auswirkungen. Er hat auch die Kapitalist*innen in die Zwickmühle gebracht, wie sie mit der Situation umgehen sollen, und hat zu Spaltungen innerhalb der herrschenden Klasse geführt. Einige argumentieren, dass es sich um eine vorübergehende Entwicklung handelt, die der “Markt” schließlich korrigieren wird. Andere schlagen vor, die Entwicklung einzudämmen oder zu stoppen, indem man Maßnahmen ergreift, die jedoch gleichzeitig jeden wirtschaftlichen Aufschwung zu bremsen oder ganz zu verhindern drohen.

Die globale Schuldenzeitbombe

  1. Hinzu kommt, dass die globale Verschuldung eine tickende Zeitbombe darstellt. Im zweiten Quartal 2021 hatte sie fast die schwindelerregende Höhe von 300 Billionen US-Dollar erreicht. Es droht eine riesige Schuldenkrise, die erhebliche Folgen für das Weltfinanzsystem und die Weltwirtschaft haben kann. Die Last der Schuldenrückzahlungen in der neokolonialen Welt ist lähmend. Die Zahlungsunfähigkeit einiger Länder der neokolonialen Welt könnte die globale Finanzkrise noch verschärfen. Argentinien ist bereits im Mai 2020 mit seinen Zinszahlungen in Verzug geraten. Es wurde zwar eine vorübergehende Einigung erzielt, aber die Sache ist nur bis 2022 vertagt, worauf die Krise erneut ausbrechen wird.
  2. Die Schuldenkrise kann sogar einige der mächtigsten imperialistischen Länder betreffen. Ein Zeichen für den Niedergang des US-Imperialismus ist die Tatsache, dass sich die Schulden der USA derzeit auf rund 28 Billionen Dollar belaufen. Ein Zahlungsausfall drohte im Oktober 2021, als die Republikaner versuchten, Bidens Vorschlag zur Anhebung der Schuldenobergrenze zu blockieren. Eine Krise konnte bis Dezember abgewendet werden, aber es wurde eine Einigung herbeigeführt, um die Sache auszusitzen. Diese Frage kann jedoch erneut auftauchen, da das zugrundeliegende Problem noch nicht gelöst ist. Ein Zahlungsausfall in den USA wäre beispiellos und hätte sowohl im Inland als auch international verheerende Folgen.
  3. Wahrscheinlicher ist jedoch die Aussicht auf einen Zahlungsausfall in der neokolonialen Welt. Der Tschad, Sambia und Äthiopien haben alle einen Schuldenerlass beantragt, welcher derzeit von den Banken des Privatsektors blockiert wird. Nach Angaben der Weltbank sind derzeit mindestens 35 Länder von einer “Not durch Auslandsverschuldung” betroffen. Bei China sind 65 Länder verschuldet, was bereits zu Spannungen und Problemen führt. Die globale Schuldenkrise ist eine Frage, die sich sehr wahrscheinlich zu einem wichtigen Thema in der Weltwirtschaft und in der Politik entwickeln wird.
  4. Die Kapitalist*innen in den Industrieländern haben während des Einbruchs im Jahr 2020 eine Reihe beispielloser Konjunkturpakete und staatlicher Interventionen aufgelegt. Diese verhinderten einen totalen wirtschaftlichen Zusammenbruch. Sie stellen einen grundlegenden Politikwechsel dar, zu dem die Bourgeoisie durch die Pandemie gezwungen war. Dieser Wandel bedeutete eine Hinwendung zur keynesianischen Politik, die in der Vor-Covid-Ära nicht in dieser Weise angewandt worden war. Es wäre ein Fehler, daraus zu schließen, dass dies bedeutet, dass die herrschende Klasse die neoliberale Politik aufgegeben hat, einschließlich der Privatisierungen, die in vielen Ländern zusammen mit verstärkten staatlichen Interventionen durchgeführt wurden. Unter dem Einfluss der Krise und der sozialen Bewegungen wird die Bourgeoisie zwischen beidem schwanken – neoliberalen Maßnahmen und mehr staatlichen Eingriffen – oder einer Kombination aus beidem, je nachdem, was sie in der jeweiligen Phase für notwendig erachtet.
  5. Das Scheitern des COP26-Gipfels verdeutlicht die Unmöglichkeit, die Umweltkrise auf kapitalistischer und nationaler Basis zu bewältigen. Die Krise der Wasser- und Nahrungsmittelproduktion in Gebieten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas droht zum Ausbruch von Kriegen um Wasser- und Nahrungsmittelversorgung zu führen. Während die Elite in Glasgow tagte, sah sich China mit einer Reihe von Stromversorgungskrisen in einigen Provinzen konfrontiert. Um zu versuchen, diese zu bewältigen steigerte das Land daraufhin die Kohleproduktion. Auch die USA drängten ihre Verbündeten, die Ölproduktion aufgrund des Preisanstiegs zu erhöhen. Jetzt haben die wichtigsten Ölproduzenten einen Teil ihrer Ölreserven freigegeben, obwohl Russland weniger als erwartet freigegeben hat, und Saudi-Arabien hat sich bereit erklärt, die Fördermenge zu erhöhen. In einigen der imperialistischen Länder wird bereits in die neue “grüne Industrie” investiert. Dies kann eine gewisse Wirkung haben. Sie wird jedoch keinen Ausweg für den Kapitalismus bieten. Im Gegenteil wird es auch zu neuen Konflikten und Kämpfen um die neuen Märkte und Industrien kommen, die sich hier auftun. Im Vorfeld von COP26 kam es zu großen Protesten, vor allem von jungen Menschen, die sich für die Umwelt einsetzten. Diese Bewegungen, die hauptsächlich, aber nicht ausschließlich, von der kleinbürgerlichen Jugend ausgingen, ebbten dann ab, waren aber äußerst bedeutsam. Die sich verschärfende ökologische Krise bedeutet, dass weitere Bewegungen zu diesem wichtigen Thema mit Sicherheit ausbrechen werden und in vielen Ländern Teile der Arbeiter*innen und der Armen, die zunehmend von den Auswirkungen der Umweltkrise betroffen sind, einbeziehen werden.
  6. Andere wichtige soziale Bewegungen sind in der letzten Zeit aufgetreten und werden weiterhin ausbrechen. Die explosiven Frauenbewegungen, die in vielen Ländern stattgefunden haben, sind ein Ausdruck davon. Die extrem reaktionäre Position des rechtsextremen Kandidaten Kast bei den jüngsten chilenischen Wahlen bedeutete, dass die Frage der Frauenrechte ein wichtiges Thema im Wahlkampf war. Viele dieser Bewegungen werden jedoch auch von den spaltenden Ideen der “Identitätspolitik” geplagt, die im Gegensatz zu einer Klassenanalyse und einem Klassenansatz für all diese wichtigen sozialen Fragen stehen. Für Marxist*innen ist es wichtig, diese Themen aus einer Klassenperspektive aufzugreifen und sie mit der Notwendigkeit einer sozialistischen Alternative zu verbinden.

Niedergang des US-Imperialismus und Aufstieg Chinas

  1. Die historische Veränderung der Weltlage ist gekennzeichnet durch den sich beschleunigenden Niedergang des US-Imperialismus und den Aufstieg Chinas. Dies prägt alle Aspekte der internationalen Beziehungen in dieser Periode. Dies bedeutet das Ende der unipolaren Welt unter Führung des US-Imperialismus. Die neue multipolare Welt führt zu einer Reihe von Zusammenstößen und Konflikten – wirtschaftlich, politisch, diplomatisch und militärisch – an entscheidenden Brennpunkten. Die Ära, in der wir uns jetzt befinden, wird durch zunehmende Konflikte, einschließlich Kriege, in vielen Bereichen gekennzeichnet sein. Der dramatische Anstieg der weltweiten Rüstungsausgaben ist ein Indiz dafür, worauf sich einige Mächte vorbereiten. Es wird erwartet, dass sich die weltweiten Militärarsenale bis 2030 im Vergleich zu 2016 verdoppeln werden. Die globalen Spannungen und Auseinandersetzungen weisen einige Merkmale der Auseinandersetzungen auf, die im Vorfeld Ersten Weltkrieges stattgefunden haben.
  2. Der dramatische Niedergang des US-Imperialismus zeigt sich in seinem sinkenden Anteil am weltweiten BIP. Im Jahr 1960 lag er bei 40 Prozent. Bis 1985 war er auf 29,86 Prozent gesunken. Im 21. Jahrhundert ist er bis 2014 auf 20 Prozent und bis 2020 auf 15,9 Prozent gesunken. Der Anteil Chinas hingegen ist von 8,73 Prozent im Jahr 2011 auf 18,33 Prozent im Jahr 2020 gestiegen (auf Basis von Kaufkraftparität). Die Fähigkeit Chinas, dieses Wachstum und diese Entwicklung zu erreichen, ergibt sich unmittelbar aus dem Charakter des Staates, den wir als eine Mischform, eine besondere Form des Staatskapitalismus, eingestuft haben. Hätte China in der Vergangenheit keine zentralisierte Planwirtschaft gehabt, die dann zu einer besonderen Form der kapitalistischen Wirtschaft mit einem starken Anteil an staatlichem Eigentum, staatlicher Leitung und staatlicher Kontrolle übergegangen ist, wäre es nicht in der Lage gewesen, eine solche Entwicklung zu erreichen.
  3. Dies ist wichtig, denn es ist von entscheidender Bedeutung, um die utopische Vorstellung zu widerlegen, die von einigen geäußert wird, dass Indien oder Brasilien das wiederholen könnten, was China in den letzten Jahrzehnten erreicht hat. Ob sich diese Entwicklung in China im gleichen Tempo fortsetzen kann, ist jedoch zweifelhaft, denn es besteht die Gefahr, dass sich interne wirtschaftliche und soziale Krisen entwickeln. Global gesehen deutet dies darauf hin, dass es im Kampf zwischen den USA und China wahrscheinlich keinen eindeutigen Sieger geben wird. Die nächste Ära wird die einer multipolaren Welt sein. Sie wird sich nicht auf einen zentralen Pol konzentrieren. Es werden sich zwei Hauptzentren herausbilden, um welche andere, schwächere Mächte darum kämpfen, sich zu behaupten und ihre Einflusssphären zu erweitern. Keines dieser Zentren wird stabil oder fest sein. Es wird zu raschen Veränderungen und Schwankungen im Kampf um Einfluss kommen. Solche Konflikte nehmen bereits jetzt nicht nur einen wirtschaftlichen, sondern auch einen militärischen Charakter an.
  4. Das Hauptschlachtfeld zwischen China und den USA liegt derzeit in Südostasien. Die EU erwägt die Einrichtung eines “globalen Gateways” als Antwort auf Chinas “Neue Seidenstraße”. Dies wird jedoch keine große Herausforderung für China darstellen und könnte sich in eine Sackgasse verwandeln. Die asiatische Region verfügt zusammengenommen über die größte Kaufkraftkapazität in der Weltwirtschaft. Der US-Imperialismus und andere westliche Mächte sind gezwungen, ihre Interessen zu verteidigen und sich Chinas wachsendem Einfluss und seiner Expansion zu widersetzen. Die Handelsschranken, die gegen China errichtet wurden, spiegeln diesen Interessenkonflikt und den Versuch wider, China an einer weiteren Stärkung seiner wirtschaftlichen Position zu hindern. Auf der anderen Seite sind die jüngsten Entwicklungen auf den Salomonen, auch wenn sie nur geringfügig sind, von großer Bedeutung. Unter dem Druck Chinas hat die Regierung der Salomonen die Beziehungen zu Taiwan abgebrochen, was zu Unruhen und der Entsendung einer kleinen Zahl australischer Truppen führte.
  5. Die Bildung des AUKUS-Blocks (Australien, das Vereinigte Königreich und die USA) und die Stationierung von mehr Seestreitkräften in der Region spiegeln diese Prozesse wider. Der kürzliche Zwischenfall um den geplatzten Kauf mehrerer U-Boote zwischen Frankreich und Australien hat die Spannungen auf allen Seiten verschärft und die bestehende Instabilität verdeutlicht. Noch wichtiger ist, dass Biden die “QUAD” (USA, Indien, Japan und Australien) zusammengebracht hat, um eine Anti-China-Allianz zu schaffen. Dieser Block zieht auch Vietnam in seine Umlaufbahn.
  6. Auf der anderen Seite hat China in Südasien Pakistan, Afghanistan, Bangladesch und Sri Lanka in seine Umlaufbahn gezogen und seinen Einflussbereich drastisch erweitert. Doch all diese Bündnisse sind von Instabilität und Widersprüchen geprägt, wie die Spannungen zwischen China und Pakistan im Zusammenhang mit der Neue Seidenstraßen-Initiative kürzlich gezeigt haben.
  7. Im Südchinesischen Meer findet eine umfangreiche militärische Aufrüstung statt. Dies könnte dazu führen, dass ein “zufälliger” Konflikt ausbricht. Ein Konflikt kann jedoch durchaus auch aus nicht zufälligen Gründen entstehen.
  8. Das Wirtschaftswachstum und die Expansion Chinas gehen mit einem massiven Ausbau seiner militärischen Kapazitäten einher. Dies spiegelt sich in dem dramatischen Anstieg der Rüstungsausgaben auf internationaler Ebene wider, da sich verschiedene Mächte darauf vorbereiten, ihre Einflusssphären zu verteidigen oder zu behaupten. Die herrschende Klasse der USA ist durch das beschleunigte Wachstum der chinesischen Nuklearkapazitäten beunruhigt. Schätzungen zufolge wird sich Chinas Atomwaffenarsenal bis 2030 auf mindestens eintausend Sprengköpfe vervierfachen. China baut alle 15 Monate ein neues Atom-U-Boot und verfügt derzeit über 350 Kriegsschiffe, während die USA 293 besitzen. China verfügt derzeit über die größte Marine der Welt. Die nukleare Expansion Chinas und beispielsweise der jüngste Start einer Hyperschallrakete aus einem Gleitfahrzeug im Weltraum, die den Südpol überfliegen und so den US-Abwehrraketen entgehen kann, haben die US-Militärstrategen in Angst und Schrecken versetzt und in den USA zahlreiche Alarmsignale ausgelöst. Die US-Experten können sich nicht erklären, wie China dies technisch bewerkstelligen konnte, und das Ganze weist darauf hin, dass China den USA in einigen Aspekten solcher Entwicklungen wahrscheinlich voraus ist. Es ist ein Echo dessen, was in der ehemaligen UdSSR geschah, die in den 1960er Jahren den USA ebenfalls in einigen Bereichen voraus war.
  9. Taiwan ist jetzt ein zentrales Element in diesem Konflikt. Nachdem der chinesische Staatschef Xi Jinping die Proteste in Hongkong niedergeschlagen und ein repressiveres und autoritäreres System etabliert hat, scheint er Taiwan als zentrales Ziel für sein Regime im Auge zu haben. Xi hat nachdrücklich bekräftigt, dass Taiwan für ihn eine rote Linie darstellt, und er wird keine formelle Unabhängigkeitserklärung oder Unterstützung einer solchen dulden. Xi hat deutlich gemacht, dass eines seiner Ziele darin besteht, das Land zurück nach China zu holen. Angesichts der Instabilität der gegenwärtigen Periode ist nicht auszuschließen, dass das chinesische Regime militärisch eingreifen und Taiwan besetzen wird. Sollte es dies versuchen, könnte das Unterfangen wahrscheinlich innerhalb weniger Tage gelingen.
  10. Eine solche Unternehmung könnte sich sehr leicht infolge kommender sozialer und politischer Krisen in China selbst entwickeln, da dass das Regime wahrscheinlich versuchen wird, diese durch das Schüren und Bedienen nationalistischer Stimmungen zu Überwinden. Sollte das chinesische Regime den Weg einer Invasion einschlagen, ist ungewiss, wie die USA darauf reagieren würden. Dies hängt mit der innenpolitischen Situation in den USA und auch mit der geschwächten globalen Position des US-Imperialismus zusammen.
  11. Der Konflikt um Taiwan ist jedoch nicht nur ein politischer oder geopolitischer Konflikt. Er beinhaltet auch ein wirtschaftliches Element. Taiwan ist sowohl für den westlichen Kapitalismus als auch für China wirtschaftlich lebenswichtig. Es ist der größte Produzent von Halbleitern, die in der modernen Wirtschaft unerlässlich sind. Auf Taiwan entfallen 63 Prozent des weltweiten Halbleitermarktanteils. 90 Prozent der von US-Technologieunternehmen verwendeten Halbleiter werden in Taiwan hergestellt. Auch China ist von taiwanesischen Halbleitern abhängig. Zwar verfügt China derzeit noch nicht über die gleichen Entwicklungskapazitäten wie die USA bei Halbleitern, doch kann sich dies ändern.
  12. Die jüngsten Entwicklungen in China haben die Analyse des CWI über den Charakter des chinesischen Staates als eine besondere Form des Staatskapitalismus bestätigt. Diese besondere Form des Staatskapitalismus entstand aufgrund der Geschichte Chinas als deformierter Arbeiter*innenstaat mit einer zentralisierten Planwirtschaft. Die massive Verstädterung – von 27 Prozent im Jahr 1992 auf 61 Prozent im Jahr 2020 – ging mit der Entwicklung grotesker Ungleichheit einher, sowie mit der Bildung massiver Schulden und Immobilienblasen. Die Verschuldung macht 270 Prozent des chinesischen BIP aus. Der Zusammenbruch von Evergrande – dem am höchsten verschuldeten Bauträger der Welt – verdeutlichte die sich abzeichnende Krise und auch das Potenzial für einen Zusammenstoß zwischen verschiedenen Flügeln der herrschenden Elite in China.
  13. Xi Jinping befürchtet, dass Teile der kapitalistischen Klasse, insbesondere in den Bereichen Technologie und Immobilienentwicklung, zu viel Unabhängigkeit erlangen und die Interessen des derzeit dominierenden Flügels von Partei und Staat bedrohen, und ergreift daher Maßnahmen, um diese Kapitalisten in Schach zu halten Der Staat greift stärker in die Wirtschaft ein und verschärft die Repression. Xi hat dies mit einer verstärkten Verwendung “sozialistischer” Rhetorik kombiniert. Das sechste Plenum des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas verkündete die falsche Behauptung, es wende den “Marxismus für das 21. Jahrhundert” an. Die “Xi Jinping-Gedanken” wurden in den Lehrplan der Schulen aufgenommen, um “Jugendlichen zu helfen, marxistische Überzeugungen zu entwickeln”. In klassischer bonapartistischer Manier wird immer mehr Macht in den Händen von Xi Jinping konzentriert. Xi versucht, ein Gleichgewicht zwischen verschiedenen Teilen der Partei herzustellen – darunter sowohl ein “maoistischer” Flügel als auch diejenigen, die stärkere Elemente des “liberalen Kapitalismus” befürworten und eine Rückkehr zur “maoistischen” Ära fürchten. Doch all diese Schritte können dem Regime in Zukunft zum Verhängnis werden.
  14. Es ist nicht auszuschließen, dass Teile der Kapitalist*innenklasse, die aktuell vom Regime in Schach gehalten werden, sich als Verteidiger*innen der “Demokratie” präsentieren. Sie könnten die Unterstützung von Schichten gewinnen, die stark unter der Unterdrückung leiden, wie die Jugend oder die LGBTQ-Gemeinschaft, gegen welche das Regime aktuell brutal vorgeht. In der chinesischen Gesellschaft braut sich ein explosiver Cocktail zusammen, der zu bedeutenden sozialen Umwälzungen und Bewegungen führen könnte – auch in der Arbeiter*innenklasse, die potenziell das stärkste Industrieproletariat der Welt ist. Diese Bewegungen können zu Spaltungen innerhalb des Regimes führen, was große Auswirkungen auf das internationale Geschehen und den Klassenkampf haben wird.

Demütigende Niederlage für die USA und die westlichen Mächte in Afghanistan

  1. Der US-Imperialismus und die anderen beteiligten westlichen Mächte haben eine demütigende Niederlage in Afghanistan erlitten. Der 11. September bedeutete einen Wendepunkt in der internationalen Situation mit den darauf folgenden militärischen Interventionen des US-Imperialismus. Die Niederlage in Afghanistan stellt einen weiteren Wendepunkt dar und verdeutlicht dessen geschwächte Macht. Diese Niederlage war in mancherlei Hinsicht schlimmer als die Niederlage in Vietnam. Letzteres war ein schwerer Schlag für den US-Imperialismus, aus dem er aber immer noch als die entscheidend dominierende imperiale Macht hervorging. Die Niederlage in Afghanistan verdeutlicht die rapide abnehmende Stärke des US-Imperialismus in einer neuen multipolaren Welt. Sie spiegelt auch die Ablehnung der “endlosen Kriege” in weiten Teilen der US-Bevölkerung wider.
  2. Der Rückzug der USA und des Westens aus Afghanistan hat Chinas Position in der Region gestärkt. Er hat auch die Position Pakistans gestärkt. Der anfängliche Enthusiasmus von Imran Khan und dem pakistanischen Militär über den Sieg der Taliban hat sich jedoch inzwischen etwas abgeschwächt, da die Realität der sich entfaltenden Krise immer deutlicher wird. Die ethnischen und nationalen Fragen in Afghanistan sowie die humanitäre Katastrophe, die dort herrscht, werden in der gesamten Region zu spüren sein. Mit der Situation in Belutschistan, wo an den Grenzen Afghanistans ein starker nationalistischer Kampf mit einer belutschischen Minderheit in Afghanistan geführt wird, und der Frage der Paschtunen, wird das Rezept dafür vorbereitet, dass Pakistan durch diese Ereignisse weiter destabilisiert wird.
  3. Der Umgang der USA mit dem Abzug, wie auch dem U-Boot Zwischenfall im AUKUS-Block, hat die Spaltungslinien innerhalb der NATO deutlich verschärft. Die entstandenen Differenzen zeigen, dass die NATO wie alle anderen westlichen kapitalistischen Organisationen und Bündnisse nicht mehr so funktionieren wird wie in der früheren Ära größerer Stabilität. Biden brüstete sich damit, dass “Amerika zurück ist”. “Zurück zu was?” ist aber die entscheidende Frage. Zurück zu größeren Spaltungen und Konflikten in einer sehr geschwächten Position. Dies zeigt sich an den Spaltungen innerhalb der weltweiten Institutionen des Kapitalismus, wie der NATO.
  4. Einige Merkmale der Gesetze von Revolution und Konterrevolution sind dieselben. Die Geschwindigkeit des Zusammenbruchs des Ghani-Regimes wies einige Merkmale dessen auf, was [1959 a.d.Ü.] in Kuba geschah. In Kuba war dies Teil eines revolutionären Prozesses. In Afghanistan war es ein konterrevolutionärer Prozess. Ghani und Batista hatten ihre Glaubwürdigkeit und Unterstützung verloren, und ihre Regime hingen am seidenen Faden. In beiden Fällen konnten Guerillaorganisationen die Macht ergreifen, weil es sonst keine Alternative gab. Der Unterschied bestand darin, dass sich die Bewegung des 26. Juli in Kuba auf den Rückhalt der Massen stützen konnte, sobald sie an der Macht war. Das ist bei den Taliban nicht der Fall.
  5. Afghanistan steht, wie einige andere Länder, vor einem nahezu vollständigen wirtschaftlichen Zusammenbruch. Es wird von den Taliban regiert, die sich auf Teile der Paschtunen stützen, die 44 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Dennoch haben sie bereits erhebliche Proteste gegen ihren Versuch, barbarische Unterdrückung, insbesondere gegen Frauen, durchzusetzen, erlebt. Innerhalb des Regimes zeichnen sich bereits einige Spaltungen ab. Es ist nicht auszuschließen, dass Afghanistan, ein gescheiterter Staat, in einen Bürgerkrieg stürzt und auseinanderbricht. Die Folgen einer solchen Entwicklung werden in der gesamten Region und international zu spüren sein. Die Migrationskrise, die sich aus diesen Ereignissen ergibt, kann [von reaktionären Kräften a.d.Ü.] genutzt werden und der extremen Rechten in einigen Ländern Auftrieb geben. Der US-Imperialismus nutzt die Frage der Wirtschaftshilfe als Mittel, um die Taliban unter Druck zu setzen, was möglicherweise zu einer Art unsicheren Einigung führen könnte.

Regionale Mächte kämpfen um die Vergrößerung ihrer Einflusssphären

  1. Der Niedergang des US-Imperialismus und die gestärkte Position Chinas sind Teil eines umfassenderen Prozesses, bei dem auch andere Mächte versuchen, ihren Einfluss und ihre Position zu stärken. Russland hat sich den Niedergang des US-Imperialismus zunutze gemacht, um seinen Einfluss im Nahen Osten, insbesondere in Syrien, zu stärken. Gleichzeitig macht das Regime seinen Einfluss mit einer massiven Truppenaufstockung an der ukrainischen Grenze geltend, wo einigen Berichten zufolge 100.000 Soldaten für eine mögliche Intervention in der Ukraine zusammengezogen worden sind, welche nicht ausgeschlossen werden kann. Auch die Türkei hat die neue Weltlage genutzt, um sich international zu behaupten und ihren Einflussbereich zu stärken.
  2. Gleichzeitig zeigen der grausame und zynische Umgang mit den Migrant*innen an der weißrussisch-polnischen Grenze und die Drohung Lukaschenkos, die Gaslieferungen in den Westen zu unterbrechen, wie sich dieser und andere Konflikte direkt auf die EU auswirken können. Die EU hat in dieser Migrationskrise ihre totale Heuchelei unter Beweis gestellt. Gleichzeitig zeigt der drohende Wiederausbruch eines Balkankrieges und das mögliche Auseinanderbrechen Bosniens mit der drohenden Abspaltung der serbischen Entität im Staat – mit russischer Unterstützung -, dass so genannte Friedensabkommen wie das Dayton-Abkommen nichts gebracht haben. Diese Krise kann frühere Friedensvereinbarungen zunichte machen, und Konflikte der Vergangenheit könnten in schärferer Form wieder explodieren, wenn ungelöste, unterschwellige Spannungen wieder aufbrechen. Dies zeigt sich auch in Irland im Zusammenhang mit dem Brexit, der die Gefahr birgt, dass sich die konfessionelle Kluft noch vergrößert, was zeigt, dass das 1998 unterzeichnete Karfreitagsabkommen die Situation nicht gelöst hat.
  3. Diese und andere Entwicklungen unterstreichen, dass es im Kapitalismus keine Lösung für die nationale Frage gibt, die für die Arbeiter*innenklasse und die internationalen Beziehungen von entscheidender Bedeutung ist. Das Aufflammen von nationalen und ethnischen Fragen hat an Bedeutung gewonnen. Wie Arbeiter*innenklasse und Marxist*innen diese Frage angehen, wird in der kommenden Periode von entscheidender Bedeutung sein. Die Verteidigung des Rechts auf Selbstbestimmung und gleichzeitig der Einheit der Arbeiter*innenklasse und aller unterdrückten Völker und ethnischen Gruppen auf sozialistischer Grundlage eröffnet den einzigen Weg, diese Fragen im Interesse aller unterdrückten Völker zu lösen.
  4. Das Putin-Regime hat einen immer stärkeren bonapartistischen, repressiven Charakter angenommen. Es wird seine internationalen Interventionen nutzen, um den russischen Nationalismus zu schüren und sich als Kämpfer gegen den Westen darzustellen. Aufgrund der sich verschlechternden wirtschaftlichen und sozialen Lage hat das Regime in Russland zunehmend an Rückhalt verloren. Es wurde ein massiver Repressionsapparat aufgebaut; 33 Prozent des russischen Staatshaushalts werden für Sicherheit und Verteidigung ausgegeben. Die russische Polizei und die Sicherheitsdienste sind mit zehn Prozent mehr Personal als 2014 aufgestockt worden; die Polizei- und Sicherheitskräfte sind jetzt größer als die aktiven russischen Streitkräfte. Doch selbst dies wird nicht ausreichen, um den Ausbruch großer Bewegungen zu verhindern, wenn sich die wirtschaftliche und soziale Lage verschlechtert. Entscheidend ist, ob die Massen die Angst vor der Konfrontation mit den staatlichen Repressionskräften verlieren. Wie die Ereignisse in Myanmar, im Sudan, in Chile und anderswo gezeigt haben, kann selbst der brutalste Staatsapparat herausgefordert werden, sobald dies geschieht.
  5. In der EU hat sich die Spaltung während der COVID-Krise und auch als Reaktion auf die US-amerikanisch-chinesischen Rivalitäten erheblich vertieft. Innerhalb der EU besteht eine dreifache Kluft: zwischen den Ländern im Norden, Süden und Osten. Weitere Spaltungen und Krisen sind wahrscheinlich. Eine größere Krise aufgrund nationaler Gegensätze ist stets unterschwellig präsent, da diese Gefahr neben anderen Faktoren in die Struktur des Euro-Systems eingebaut ist. Nach der Brexit-Krise ist nicht auszuschließen, dass andere Länder wie Polen dem Beispiel Großbritanniens folgen und damit eine tiefere Krise in der EU und deren Neuordnung durch den Austritt weiterer Länder auslösen könnten. Die Wahrscheinlichkeit einer solchen Entwicklung wird zunehmen, wenn es zu einem weiteren Wirtschafts- oder Finanzcrash kommt.

Der Niedergang der USA hat dramatische Folgen für den Nahen Osten

  1. Der Niedergang des US-Imperialismus hat dramatische Folgen auf den Schlachtfeldern des Nahen Ostens. In dem Maße, wie der Einfluss der USA abgenommen hat, haben andere Mächte wie Russland und in gewissem Maße auch China ihren Einfluss erhöht. Gleichzeitig hat unter den herrschenden Eliten in der Region eine Neuordnung der Bündnisse und Beziehungen begonnen. Wie sich dies entwickeln wird, ist jedoch äußerst ungewiss. Gleichzeitig geht das Leben für die Masse der Bevölkerung als Schrecken ohne Ende weiter.
  2. Syrien wurde teilweise in die Steinzeit zurück gebombt, die Hälfte der Bevölkerung wurde vertrieben. Assad hat seine Dynastie an der Macht gehalten, aber mit einer in den Boden gestampften Wirtschaft und einer geschwächten Position in der Region. Dies hat sich in den Ländern wiederholt, die vom Scheitern des Arabischen Frühlings betroffen waren, die Regime zu stürzen und Regierungen der Arbeiter*innen und der Armen einzusetzen. Dies hat dazu geführt, dass eine Reihe von kriminellen, repressiven Regimen an die Macht gekommen sind. Die Farce der Wahlen in Libyen hat mit sich gebracht, dass eine Bande von Warlords, darunter Gaddafis Sohn, zu den “Wahlen” antrat. Assad wurde bei seinem Festhalten an der Macht von Putin unterstützt, der seine Position im Nahen Osten gestärkt hat, während der US-Imperialismus dramatisch geschwächt wurde. Bezeichnenderweise haben die Vereinigten Arabischen Emirate und Jordanien nach jahrzehntelangem Bruch die Beziehungen zu Assad wieder aufgenommen. Der Irak war Gastgeber von Gesprächen zwischen den Erzrivalen Iran und Saudi-Arabien. Die VAE haben auch ihre Beziehungen zu Israel “normalisiert”. Bei all diesen Entwicklungen bleiben jedoch Spannungen bestehen, die keine stabile Lage in der Region erlauben werden.
  3. Da sich die USA teilweise aus der Region zurückgezogen haben, versuchen Russland, China und die lokalen Eliten, ihre Einflusssphären zu vergrößern und sich einen Vorteil zu verschaffen. Wie sich dies in der kommenden Zeit entwickeln wird, ist ungewiss. Es können vorübergehende Vereinbarungen und Bündnisse geschmiedet werden, die dann ggf. schnell wieder zusammenbrechen. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass dies neue Konflikte und Interessensgegensätze mit sich bringt. Ominöserweise sagen ranghohe israelische Verteidigungsbeamte, dass sie sich auf einen bewaffneten Konflikt mit dem Iran vorbereiten, obwohl es sich dabei um Säbelrasseln im Hintergrund der Gespräche zur Wiederbelebung des iranischen Atomabkommens handeln könnte. Ein militärischer Konflikt kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, welcher die Lage in der Region völlig destabilisieren würde.
  4. Während die herrschenden Eliten im eigenen Interesse eine Neuausrichtung an der Spitze erkunden, leben die Massen vor Ort weiterhin einen täglichen Alptraum. Die blutige Unterdrückung des palästinensischen Volkes durch das israelische Regime geht weiter. Der brutale Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und den vom Iran unterstützten Kräften im Jemen zieht sich hin, wobei die iranischen Kräfte in dieser Phase gestärkt zu sein scheinen. Im Irak gab es 2019/20 eine gewaltige, einheitliche Volksbewegung, die sowohl sunnitische als auch schiitische Arbeiter*innen und junge Menschen zusammenbrachte, welche aber leider nicht vorankam und die Grenzen einer Massenbewegung ohne organisierte oder programmatische Alternative oder einen klaren Weg nach vorn zeigze. Derzeit findet ein katastrophaler wirtschaftlicher Zusammenbruch und ein tödlicher konfessionell-sektiererischer Konflikt statt, an dem auch Kräfte des Islamischen Staats (IS) beteiligt sind. Das Gemetzel im gesamten Nahen Osten macht deutlich, dass es für diese Gesellschaften keinen Weg nach vorn gibt, wenn nicht eine vereinigte Arbeiter*innenbewegung mit einem sozialistischen Programm an die Macht kommt, um mit Großgrundbesitzertum und Kapitalismus zu brechen. Das Fortbestehen des Kapitalismus wird die Möglichkeit weiterer gescheiterter Staaten, wie sie im Libanon und in einigen anderen Ländern bereits bestehen, zu einer dystopischen Realität machen.

US-Krise im eigenen Land

  1. Die Krise, in der sich der US-Imperialismus auf internationaler Ebene befindet, spiegelt sich in den Turbulenzen wider, mit denen er im eigenen Land konfrontiert ist. Innerhalb eines Jahres nach seinem Sieg bei der Präsidentenwahl, der von großen Teilen mit Erleichterung aufgenommen wurde, sah sich Biden einer Krise nach der anderen gegenüber. Die USA sind nach wie vor eine stark polarisierte und explosive Gesellschaft. Der Eindruck, dass Biden nichts Substantielles zustande gebracht hat, insbesondere vor dem Hintergrund einer steigenden Inflation, hat dazu geführt, dass Bidens Zustimmungswerte von plus 19 im Januar 2021 auf minus 10 im Oktober gefallen sind. Dies ist ein größerer Einbruch als bei Obama oder Clinton in dieser Phase ihrer Amtszeit! Dies spiegelte sich auch in den jüngsten Wahlen in New Jersey wider, wo die Demokraten nur knapp die Wahl gewinnen konnten, und in Virginia, wo sie gegen die Republikaner verloren. Die Tatsache, dass 48 Prozent immer noch eine positive Meinung von Trump haben, verglichen mit 46 Prozent für Biden, zeigt, wie polarisiert und aufgeladen die politische Situation ist. Zum jetzigen Zeitpunkt deutet alles darauf hin, dass die Republikaner bei den Zwischenwahlen im Jahr 2022 zulegen und die Kontrolle über den Senat zurückerlangen werden. Aufgrund der Volatilität der Situation ist auch dies jedoch nicht sicher.
  2. Biden hofft, dass die Verabschiedung des 1,2-Billionen-Dollar-Gesetzes für die Infrastruktur eine Trendwende herbeiführen wird. Die Rolle dieser erhöhten Infrastrukturausgaben – die größte Modernisierung der Infrastruktur seit der Präsidentschaft von Dwight Eisenhower in den 1950er Jahren – wird sowohl wirtschaftlich als auch politisch eine gewisse Wirkung haben. Die Gesamthöhe der neuen Ausgaben liegt jedoch bei 550 Milliarden Dollar im nächsten Jahrzehnt. Danach folgt der Gesetzesentwurf “Build Back Better” in Höhe von 1,75 Billionen Dollar, um den noch immer gerungen wird. Mit diesem Betrag wurde allerdings bereits gegenüber dem ursprünglichen Vorschlag von vier Billionen Dollar über zehn Jahre zurückgerudert. Andere Maßnahmen, wie z. B. zwei Jahre kostenlose Studiengebühren an Community Colleges für jeden Amerikaner, 80 Milliarden Dollar für die Umschulung von Arbeitnehmer*innen und eine Regelung für bezahlten Urlaub aus familiären und medizinischen Gründen, wurden aufgrund der Einwände einer kleinen Zahl demokratischer Senator*innen verworfen. Die in dem Gesetzentwurf enthaltenen Maßnahmen werden, wenn er schließlich verabschiedet wird, eine gewisse Wirkung. Die Rücknahme von Zusagen wird jedoch den Eindruck verstärken, dass Biden seine Versprechen nicht einhält und eine glanzlose Präsidentschaft führt.
  3. All dies geschieht vor dem Hintergrund einer zunehmenden massiven Ungleichheit und der Tatsache, dass der “amerikanische Traum” in Trümmern liegt. Die Vorstellung, dass jede Generation mehr verdient als ihre Eltern und dass der soziale Aufstieg für alle möglich ist, war während der Zeit des kapitalistischen Aufschwungs sehr stark. Heute ist sie nach Jahrzehnten des Niedergangs zerbrochen. US-Bürger*innen, die in den 1940er Jahren geboren wurden, hatten eine neunzigprozentige Chance, mehr zu verdienen als ihre Eltern. Für diejenigen, die in den 1980er Jahren geboren wurden, war diese Chance auf fünfzig Prozent gesunken. Heute ist sie noch viel geringer. Jegliche Chance auf einen sozialen Aufstieg für die Masse der Bevölkerung wird heute vereitelt.
  4. Dieser Absturz, der sich aus dem langwierigen, aber sich beschleunigenden Niedergang des US-Imperialismus ergibt, ist zusammen mit der Explosion der Ungleichheit die Quelle der explosiven sozialen und politischen Situation, die in den USA in den 2020er Jahren herrscht. Biden wird nicht in der Lage sein, dieses Problem zu lösen. Das bedeutet, dass in der kommenden Zeit in den USA große Klassen- und politische Kämpfe anstehen, die sich dramatisch auf die Weltlage auswirken werden.
  5. Bezeichnenderweise hat es seit Bidens Wahl eine deutliche Zunahme von Streiks gegeben, mindestens 1700 zwischen März und November 2021, und zwar in vielen Schichten der Arbeiter*innen – einschließlich einiger Bereiche, die nicht gewerkschaftlich organisiert sind. Die von der Gewerkschaftsbürokratie ausgehandelten Vertragsvorschläge wurden von einigen Arbeiter*innenschichten wiederholt abgelehnt. Dies ist ein Vorgeschmack auf die Kämpfe, die vor uns liegen. Die Tatsache, dass 68 Prozent der Befragten der Idee von Gewerkschaften positiv gegenüberstehen, verdeutlicht das Potenzial zur Stärkung der Arbeiter*innenbewegung in dieser Zeit. Die Versuche, Arbeiter*innen bei Amazon, Google und anderen großen Unternehmen gewerkschaftlich zu organisieren, sind ebenfalls eine wichtige Entwicklung. Diese Trends sind auch eine Anklage der Gewerkschaftsbürokratie und ihres Versagens, dieses Potenzial zu nutzen. Ein Aufschwung von Arbeiter*innenkämpfen wird jedoch eine neue Generation jüngerer Arbeiter*innen in den Kampf in der Arbeiter*innenbewegung einbeziehen, was der Schlüssel zur Aufrüttelung und schließlich zur Umgestaltung der Gewerkschaften ist.
  6. Der explosive Cocktail, der in den USA existiert, bedeutet, dass die Ereignisse im Vorfeld der nächsten Präsidentschaftswahlen im Jahr 2024 jene des Jahres 2020 wie eine Generalprobe erscheinen lassen könnten. Trump oder der Trumpismus haben sich nicht in Luft aufgelöst. Trump hat seine Kontrolle über die Republikanische Partei gefestigt. Das interne Regime in der Republikanischen Partei, wo Gewaltandrohungen und Einschüchterungen gegen diejenigen, die sich Trump widersetzen oder ihn kritisieren, an der Tagesordnung sind, zeigt, wie weit die Partei nach rechts gerückt ist.
  7. Die Veränderungen, welche die Republikaner auf bundesstaatlicher Ebene durchsetzen, indem sie Beamte, die 2020 gegen Trump entschieden haben, absetzen und durch Trump-Loyalist*innen ersetzen, drohen zusammen mit der eklatanten Verschiebung der Wahlbezirke 2024 zu einer großen Verfassungskrise zu führen. Die Republikaner kontrollieren derzeit in 23 Bundesstaaten alle Zweige der Regierung, die Demokraten nur in 15. Trump oder ein “Trumpista”-Kandidat könnte nach Wähler*innenstimmen verlieren und dennoch zum Sieger erklärt werden [dies war bereits 2016 der Fall A.d.Ü.]. Dies würde zu massiven Konflikten führen. Es würde auch die Legitimität des gesamten Wahl- und Regierungssystems weiter untergraben. Der britische Kommentator Martin Wolf warnte in seinem Artikel in der Financial Times mit dem Titel “Der seltsame Tod der US-Demokratie” vor dem drohenden Zusammenbruch der “liberalen Demokratie in den USA”.
  8. Die gesamte Situation schreit nach dem Aufbau einer neuen Arbeiter*innenmassenpartei und einem Bruch mit den Demokraten. Doch Sanders, Cortez und die “Linke” der Demokraten weigern sich, in diese Richtung zu gehen. Auch die Democratic Socialists of America (DSA) bleiben ein Anhängsel der Demokraten, indem sie unter anderem mit ihrem begrenzten Programm auf deren Listen kandidieren. Das Versäumnis, während der Wahl zwischen Sanders und Clinton die notwendigen Schritte zu unternehmen und eine neue Partei ins Leben zu rufen, hat es Trump ermöglicht, seine Unterstützer*innen zu sammeln, die er bisher halten konnte, und so die Situation verkompliziert.

Stärken und Schwächen der verschiedenen Aufstände

  1. Die Krise der US-amerikanischen Gesellschaft ist ein Maß für die globale Krise, mit der der korrupte globale Kapitalismus in den 2020er Jahren konfrontiert ist. Es gibt mehrere Krisen und mehrere Aufstände der Massen, die den Drang nach Veränderung widerspiegeln. Ecuador, Chile, Kolumbien, Hongkong, Irak, Libanon, Sudan, Myanmar, Algerien und andere Länder haben starke revolutionäre Züge. Auf diese Bewegungen folgte der Aufstand in Kasachstan, bei dem das diktatorische Regime von Tokajew ein brutales Massaker anordnete, das die Bewegung für eine gewisse Zeit zum Rückzug zwang. Wie lange, ist nicht sicher. Diese Ereignisse werden sich in das Bewusstsein der Massen einbrennen. Es gibt eine klare Spaltung unter den Oligarchen und Tokajew konnte sich in dieser Phase an die Macht klammern. Die Forderungen nach “Revolution” und “Ende des Neoliberalismus”, gegen das System, gegen die reichen Eliten und Regierungen und für Demokratie gehörten zu den Rufen der Massen, die von diesen Bewegungen aufgegriffen wurden.
  2. Allerdings fehlte es ihnen an einem Programm und einer Organisation, um sie voranzubringen, die bestehenden Regierungen zu stürzen und die Idee des Sozialismus als Alternative zum Kapitalismus zu vertreten. Diese Bewegungen waren hauptsächlich von einem spontanen Charakter geprägt und sind zum Stillstand gekommen oder zurückgegangen, als sie mit dem Hindernis konfrontiert wurden, was als nächstes zu tun sei. Die Grenzen der Spontaneität und das Fehlen eines Programms und einer Organisation haben sich bei allen von ihnen gezeigt.
  3. Einige dieser Bewegungen haben jedoch in jüngster Zeit auch bedeutende Fortschritte in Bezug auf Organisation und Bewusstsein gemacht, verglichen mit einigen der Bewegungen, die ihnen vorausgingen. Die Massenbewegung in Kolumbien war in größerem Umfang organisiert und schloss die Gewerkschaften und den Generalstreik mit ein, als dies bei der Bewegung in Chile der Fall war. Im Sudan ist die Bildung von Gemeinschaftskomitees, die in einigen Gebieten teilweise die Funktionen des Staates übernommen haben und die Gewerkschaften in den Kampf einbeziehen, eine äußerst wichtige Entwicklung.
  4. Ein weiteres Merkmal einiger dieser Bewegungen ist der Verlust der Angst unter den Massen, die mit ihrem Aufschwung einhergeht. Dies war zunächst in Hongkong und Chile zu beobachten, ist jetzt aber auch im Sudan und in Myanmar deutlich zu erkennen. Die Entwicklung, dass die Menschen auf der Straße bereit sind, im Kampf gegen den Staatsapparat notfalls zu sterben, ist ein entscheidender Punkt in jeder revolutionären Bewegung. Diese Bewegungen haben eine unglaubliche Widerstandsfähigkeit bewiesen. Obwohl sie auf Hindernisse stoßen und der Kampf eine Zeit lang in eine Sackgasse geraten ist, haben die Verzweiflung der Massen und der Durst nach Veränderung viele dieser Bewegungen dazu gebracht, wieder auszubrechen und zu einer zweiten, dritten oder weiteren Welle anzulaufen, wie kürzlich im Sudan zu beobachten war. Der Verlust der Angst vor den Regimen allein reicht jedoch oft nicht aus, um viele von ihnen zu stürzen, wofür Organisation, ein revolutionäres sozialistisches Programm und eine Massenpartei der Arbeiter*innenklasse und der Armen notwendig sind. Selbst wenn die Regime ohne diese entscheidenden Instrumente in den Händen der Massen gestürzt werden, ist die Frage, was auf diese brutalen Regime folgt, klar auf der Tagesordnung.
  5. Das revolutionäre Potenzial und die Bedeutung der Massenaufstände sind von entscheidender Bedeutung. Es ist jedoch falsch, in die Falle zu tappen, wie es einige Kräfte auf der Linken tun, die einfach nur Massenbewegungen – “Movementismus” – fordern und diese lediglich bejubeln. Die zentrale Aufgabe ist es, die Bewegungen dabei zu unterstützen, die richtigen strategischen, politischen und organisatorischen Maßnahmen zu ergreifen, um die Revolution voranzutreiben, und die Grenzen des Verbleibs im Kapitalismus zu erkennen und eine revolutionäre Veränderung der Gesellschaft auf sozialistischer Grundlage durchzusetzen. Andernfalls wird selbst die widerstandsfähigste und entschlossenste Bewegung in die Sackgasse geraten oder sogar eine blutige Niederlage erleiden, wie sich in Hongkong, Libanon, Myanmar und einigen anderen Ländern gezeigt hat.

Repression, die linken Parteien und die Aussichten für den Sozialismus

  1. Die herrschende Klasse hat auf diese Aufstände mit brutaler Repression geantwortet. Die herrschenden Klassen bereiten sich international auf Bewegungen dieses Ausmaßes vor. Die Repressionsapparate wurden verstärkt, auch in den imperialistischen Ländern. Der Staat im Allgemeinen hat in vielen Ländern einen stärker bonapartistischen Charakter angenommen. Dies ist ein weiterer Beleg für den Charakter der Epoche, in der wir uns befinden. Die soziale Situation und die politische Polarisierung, die es gibt, bedeuten, dass alle Aspekte des Klassenkampfes unweigerlich einen schärferen und brutaleren Charakter annehmen werden. In diesem Prozess gibt es Merkmale, in einigen Fällen starke Merkmale, der Konterrevolution und wird es auch weiterhin geben. Die extreme Rechte und einige faschistische Kräfte um Trump in den USA, Bolsonaro in Brasilien oder Modi in Indien werden in dieser Ära der Revolution und Konterrevolution weiterhin eine Bedrohung darstellen. Das gilt auch für die rassistischen, rechtsextremen populistischen Kräfte in Europa und anderswo.
  2. Die Schärfe des Kampfes und die Brutalität der Situation können für die junge Generation zunächst abschreckend wirken. Diese kann jedoch durch die Erfahrung, sich in die ausbrechenden Kämpfe einzumischen, schnell abgehärtet werden.
  3. Die tiefe und tiefgreifende Natur der Krise geht einher mit einer anhaltenden ideologischen und politischen Desorientierung und einem Rückzug der linken Parteien in allen Ländern. Sie haben unter dem Druck der “Politik des kleineren Übels” kapituliert und versäumen es, die Idee eines Bruchs mit dem Kapitalismus oder des Sozialismus aufzugreifen. Der Gedanke, dass “diese Art von Kapitalismus beendet werden muss”, wird von ihnen oft vertreten. Damit implizieren sie, dass er durch eine andere Art von Kapitalismus ersetzt werden kann, und weiter geht ihr Programm auch nie. Dies hat dazu beigetragen, dass die Idee des Sozialismus als Alternative zum Kapitalismus erst mit Verzögerung wieder auftaucht.
  4. Dies beginnt sich jedoch bei einer kleinen Schicht zu ändern. In Großbritannien und den USA steht eine Mehrheit der Jugendlichen der Idee des Sozialismus positiv gegenüber, auch wenn sie keine klare Vorstellung davon haben, was das ist. Dies spiegelt in verzerrter Form die Rolle des subjektiven Faktors wider. Die Unterstützung für die Idee des Sozialismus unter der Jugend in diesen beiden Ländern ist trotz ihrer Beschränkungen und ihrem Versagen, ein wirkliches sozialistisches Programm zu erklären, ein Nebenprodukt von Sanders und Corbyn. Marxist*innen können in diesem Prozess helfen, indem sie die Frage des Sozialismus mutig und mittels der Übergangsmethode aufwerfen, indem sie Klarheit darüber schaffen, was Sozialismus ist und wie er erreicht werden kann.
  5. Die Tiefe der globalen Krise des Kapitalismus in seinem Todeskampf bedeutet, dass das Schicksal der Menschheit davon abhängt, dass die Arbeiter*innenklasse in der Lage ist, ihre Organisationen wieder aufzubauen und zu stärken und eine politische Kraft mit einem sozialistischen Programm aufzubauen. Es ist klar, dass die alte Welt im Sterben liegt und die neue noch um ihre Geburt ringt. Durch eine geschickte Anwendung der marxistischen Methode in den 2020er Jahren, ein prinzipientreues Programm und eine flexible Taktik kann das CWI eine entscheidende Rolle beim Aufbau der Kräfte spielen, die notwendig sind, um die neue Welt schließlich zu verwirklichen. Das Schicksal der Arbeiter*innenklasse und der Unterdrückten der Welt hängt davon ab, dass dies erreicht wird.
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