Das Corona-Chaos geht weiter

CC BY-SA 2.0 / flickr.com / Heinrich-Böll-Stiftung, Foto: Stephan Röhl

Auch unter der Ampel wird die Pandemie nicht effektiv bekämpft

Seit über zwei Jahren hält uns die Pandemie schon in Atem. Ein Ende ist leider noch immer nicht in Sicht.

von Torsten Sting, Rostock

4. April: Karl Lauterbach, Bundesgesundheitsminister, erklärt nach der Konferenz mit den Landesgesundheitsminister*innen, warum die verkürzte Isolation auf fünf Tage kommt und dass sie nur noch freiwillig sein soll.

5. April: Der Gesundheitsminister geht seiner großen Leidenschaft nach und besucht mal wieder eine Talkshow. Bei „Lanz“ erklärt er nun, dass diese Entscheidung falsch war. Ein verspäteter Aprilscherz? Leider nein. Dieses Chaos, binnen 24 Stunden vorgeführt, steht exemplarisch für das Versagen nicht nur dieser Regierung, sondern der herrschenden Klasse eines der reichsten Länder des Planeten.

Impfpflicht-Desaster

Dazu passt, dass die Impfpflicht im Bundestag vorerst gescheitert ist. Die Ampel-Koalition konnte sich auf keine gemeinsame Position verständigen. Stattdessen wurden von den Abgeordneten fraktionsübergreifende Anträge eingebracht. Keiner der Anträge, die sich für eine wie auch immer geartete Impfpflicht aussprachen, bekam die erforderliche Mehrheit. Das ist auch ein Hinweis auf die politische Instabilität dieser Dreier-Konstellation.

Die Sol lehnt eine Impfpflicht, auch für die Kolleg*innen der Pflegebranche, unter den gegeben Umständen ab, auch wenn wir das Impfen als wichtigste Maßnahme zur Überwindung der Pandemie betrachten. Sie soll letztlich nur das Versagen der Regierung kaschieren. Statt mit einer überzeugenden Impf-Kampagne die Menschen zu überzeugen und Ängste zu zerstreuen, soll nun mit Zwang nachgeholfen werden. Abgesehen davon, dass ihre Effektivität aus verschiedenen Gründen fraglich ist, würde die Impflicht jedoch nur den rechten Schwurbler*innen nutzen. In den Pflegeberufen führt die Impfpflicht zudem dazu, dass weitere Kolleg*innnen, die dringend gebraucht werden, den Job an den Nagel hängen werden und der Pflegenotstand noch schlimmer wird.

Öffnungen

Obwohl sich bis in den April hinein jeden Tag mehrere Hunderttausend Menschen mit der hoch ansteckenden Omikron-Variante infiziert haben und täglich bis zu 300 Menschen an den Folgen starben, wurden weitgehende Öffnungsschritte beschlossen. Virologinnen und Virologen warnten allenthalben vor den Folgen, doch Bund und Länder zeigten sich beratungsresistent.

Pandemie adé?

Bei dieser politischen Gemengelage entsteht der Eindruck, dass die Gefahr vorüber ist. Es ist nachvollziehbar, dass sich vor dem Hintergrund der letzten beiden Jahre nahezu jede*r nach Normalität sehnt. Dennoch ist es richtig, weiterhin vorsichtig zu sein, sich und andere gerade in Innenräumen mit Masken zu schützen, massenhaft kostenfreie PCR Tests einzusetzen und sich für den Herbst zu wappnen. Doch von der Bundesregierung ist dies nicht zu erwarten.

Die Rolle von Lauterbach…

Viele hatten sich gefreut, als der Rheinländer das Amt des Gesundheitsministers nach der Bundestagswahl übernahm. Der Epidemiologe war vom Fach und hatte sich in der Zeit der Pandemie den Ruf des Mahners erworben, der gegen zu schnelle Öffnungen das Wort erhob. Umso größer ist nun die Enttäuschung, da sich Lauterbachs Politik kaum von der seines Vorgängers Jens Spahn (CDU) unterscheidet. Woran liegt das? „An der FDP!“, lautet die Antwort von Lauterbach-Fans. Doch dies geht an der Realität vorbei. Zum einen gehört der Gesundheitsminister als Sozialdemokrat einer Partei an, deren Politik er seit vielen Jahren maßgeblich mitverantwortet. Die SPD hat mit der Agenda 2010 im Gesundheitswesen, dem Profit Tür und Tor geöffnet. Fallpauschalen wurden eingeführt und viele Krankenhäuser privatisiert. Sie trägt damit die Verantwortung für die tiefere Ursache der Probleme, etwa die personelle Unterbesetzung und die damit verbundene chronische Überlastung der Kolleg*innen in den Krankenhäusern.

…und der FDP

Richtig ist, dass die Liberalen am deutlichsten die kurzfristigen Profitinteressen des Kapitals zum Ausdruck bringen. Möglichst rasche Öffnungen sollen das Geschäft ankurbeln, staatliche Vorgaben für die Firmen müssen wegfallen, weil sie Kosten verursachen und die Gewinne schmälern. Doch diese Politik unterscheidet sich nicht qualitativ von jener der Grünen und der SPD. Letztere hat zusammen mit der Union die Politik während der ersten beiden Jahre der Pandemie zu verantworten und die Grünen sind Teil von vielen Landesregierungen, die keine grundsätzlich andere Politik machen. Alle sind in der Logik des kapitalistischen Systems gefangen. Und diese bedeutet in ihrer Konsequenz, dass den Profitinteressen Vorrang gegenüber den Bedürfnissen der Masse der Menschen eingeräumt wird.

Alternative

Diese Entwicklung hätte jedoch verhindert werden können. Um sich für den Herbst zu wappnen, ist es noch nicht zu spät. Dafür gilt es jetzt Druck zu machen.

Statt 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung der Bundeswehr raus zu schmeißen, sollte das Geld unter anderem für den Ausbau des Gesundheitswesen ausgegeben werden:

  • Mehr Personal, bessere Arbeitsbedingungen und kürzere Arbeitszeiten in Kombination mit deutlich besseren Gehältern. So können die dringend benötigten Beschäftigten gehalten und neue gewonnen werden.
  • Die Schulen, wie auch andere öffentliche Gebäude müssen endlich mit ausreichend Luftfiltern ausgestattet werden.
  • Maßnahmen ergreifen, die die Impfquote erhöhen. Es gibt gute Gründe Biontech und Co. zu misstrauen. Die Sol setzt sich dafür ein, dass die Pharmakonzerne unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten verstaatlicht und die Patente offengelegt werden. Wenn klar ist, dass es nicht mehr um Gewinnmaximierung geht, kann das Misstrauen von Vielen überwunden werden.
  • DIE LINKE und die Gewerkschaften sollten sich an die Spitze einer Bewegung stellen, um für diese Forderungen zu kämpfen und deutlich machen, dass zur Finanzierung die Reichen und Superreichen herangezogen werden müssen.
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