Beschluss des 13. Weltkongress des CWI im Januar 2022
1. Das CWI hat stets die Bedeutung der Arbeit in den Gewerkschaften unterstrichen. Marx, Engels, Lenin, Trotzki und alle großen maxistischen Führer*innen haben die Gewerkschaften als eine elementare Form des Kampfes der Arbeiter*innen gegen die kapitalistische Ausbeutung beschrieben.
2. Eine Bedingung für die Mitgliedschaft in der Dritten Internationale unter Lenin und Trotzki war, dass Parteien und Gruppen eine konsequente Arbeit in den Gewerkschaften leisten mussten. 1938 stellte Trotzki klar, dass „die kapitulierende Selbstisolierung außerhalb der Massengewerkschaften, gleichbedeutend mit dem Verrat der Revolution, ist unvereinbar mit der Zugehörigkeit zur IV. Internationale.“ Die Gründungsresolution des CWI von 1974 bekräftigte „unser Vertrauen in das Industrieproletariat als die entscheidende Kraft im Kampf für den Sozialismus in jedem Land.“
3. Doch während der Fraktionsauseinandersetzung 2018/2019 im CWI erwies es sich als notwendig, die grundlegenden Aspekte der Bedeutung der Gewerkschaftsarbeit erneut zu betonen. In einer Reihe unserer früheren Sektionen hatte die Opposition mit den Methoden und Traditionen des CWI gebrochen und zugelassen, dass die Gewerkschaftsarbeit verkümmerte, opportunistisch wurde oder fast nicht mehr existierte. In einigen wurde die oft mühsame Arbeit in den Gewerkschaften aufgegeben oder kaum beachtet oder gefördert. Aber wie Trotzki betonte: „Wir können uns den Schauplatz und die Bedingungen unserer Tätigkeit nicht nach unseren eigenen Vorlieben und Abneigungen aussuchen“. Ohne die realen bürokratischen Schwierigkeiten, mit denen die in den Gewerkschaften arbeitenden Genoss*innen konfrontiert sind, herunterzuspielen, wandte sich die Führung des CWI entschieden gegen diese Abkehr von der historischen Herangehensweise der Marxist*innen zu den Massenorganisationen der Arbeiter*innenklasse und beim Aufbau von Unterstützung für den Marxismus in den Betrieben.
4. Trotz aller bedeutenden Veränderungen in der Struktur und den Bedingungen der Arbeit, der Auferlegung gewerkschaftsfeindlicher Gesetze und des Rückgangs von Streiks und anderen Arbeitskämpfen in den letzten Jahrzehnten usw., die alle die „traditionelle“ Macht der Gewerkschaften geschwächt haben, existieren neue Möglichkeiten für Klasseneinheit und -aktionen. Der Prozess der „De-Qualifizierung“ in verschiedenen Wirtschaftszweigen hat beispielsweise dazu geführt, dass ehemalige Handwerksberufe und Angehörige traditionell eher kleinbürgerlicher Berufe wie Lehrer*innen jetzt viel mehr mit der Masse der Arbeiter*innen gemein haben und ein viel stärkeres gewerkschaftliches Bewusstsein entwickelt haben. Ein riesiges Online-Treffen, das von der größten britischen Lehrer*innen- und Erzieher*innengewerkschaft NEU organisiert wurde und an dem bis zu 400.000 Mitglieder teilnahmen, um Probleme im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zu erörtern, ist ein Beleg für diesen Prozess.
5. Gleichzeitig hat das CWI Veränderungen in der Klassenzusammensetzung festgestellt und analysiert. In den fortgeschrittenen kapitalistischen Volkswirtschaften ist ein Rückgang der „traditionellen“ Sektoren der Industriearbeiter*innenklasse zu verzeichnen, der mit technologischen und weiteren Veränderungen an den Arbeitsplätzen einhergeht. Dennoch sind das verarbeitende Gewerbe und der Industrie- und Transportsektor in vielen dieser Volkswirtschaften nach wie vor ein wichtiger Bestandteil mit einem enormen kollektiven Machtpotenzial, neben „neuen“ Industriezweigen in der Logistik und der elektronischen Kommunikation. Und die Größe und potenzielle Stärke der Arbeiter*innenklasse in Asien, insbesondere in China und anderswo, hat infolge der Globalisierung und der Verlagerung der Produktion in Niedriglohnländer massiv zugenommen.
6. Die Arbeiter*innenklasse ist größer als je zuvor und bleibt die wichtigste Akteurin sozialen Wandels. Weltweit sind etwa drei Milliarden Menschen in der einen oder anderen Form beschäftigt. Etwa zwei Milliarden von ihnen sind in den „informellen Sektoren“ beschäftigt (z. B. prekäre und „irreguläre“ Arbeiter*innen, nicht registrierte Unternehmen, Selbständige). Eine wichtige Aufgabe der Arbeiter*innenbewegung besteht darin, diese große Zahl von Arbeiter*innen zu organisieren und einzubeziehen.
7. Insgesamt ist die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern und anderen Teilen der Welt zurückgegangen, was auf die oben genannten Faktoren und das Versagen der trägen Gewerkschaftsführungen bei der Verteidigung ihrer Mitglieder zurückzuführen ist. Zusammenfassend lässt sich der Rückgang der Gewerkschaftsmitgliedschaft einerseits durch die jahrzehntelange Offensive der Bourgeoisie und andererseits durch die Unfähigkeit der reformistischen/rechten Gewerkschaftsführungen erklären, dem kapitalistischen Angriff ernsthaft Widerstand zu leisten und die grundlegenden Interessen der Arbeiter*innen zu verteidigen. Die pro-kapitalistische Politik vieler Gewerkschaftsführer*innen bedeutet, dass sie die Kämpfe der Arbeiter*innen bewusst zurückhalten oder verraten – was ein wichtiger Faktor dabei ist, die Attraktivität und Stärke der Gewerkschaften zu schwächen. Die Tatsache, dass es in den meisten Ländern nicht gelungen ist, die Gewerkschaften zu koordinieren, um ernsthafte und anhaltende Streiks, einschließlich Generalstreiks, während der Welle der brutalen Sparangriffe vor zehn Jahren durchzuführen, ist ein typisches Beispiel dafür. Es überrascht nicht, dass sich dies auf die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften ausgewirkt hat. Selbst im hochindustrialisierten Deutschland ist die Zahl der DGB-Mitglieder von mehr als sechs Millionen im Jahr 2016 auf heute 5,85 Millionen gesunken (1991, kurz nach der deutschen Wiedervereinigung, lag die Zahl der Mitglieder bei 11,8 Millionen). In einem Forbes-Artikel aus dem Jahr 2019 heißt es: „Im Jahr 1985 lag die durchschnittliche Gewerkschaftsmitgliedschaft in den OECD-Ländern bei dreißig Prozent, heute sind es nur noch 16 Prozent“. Der Rückgang des gewerkschaftlichen Organisationsgrads ist in den meisten OECD-Ländern üblich, und „die einzigen, die seit 1985 zugelegt haben, sind Island, Belgien, Spanien und Italien“. Die Zeitschrift fügt jedoch hinzu: „Angesichts der wirtschaftlichen Unzufriedenheit, des langsamen Lohnwachstums und der weit verbreiteten Ungleichheit gibt es ein erneutes Interesse an Gewerkschaften zur Stärkung der kollektiven Stimme und der Verhandlungsmacht der Arbeiter*innen“ (und dies wurde vor der Corona-Krise geschrieben, seither ist die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder in einigen Sektoren gestiegen, wie weiter unten erläutert wird).
8. Ferner verhindert ein geringerer gewerkschaftlicher „Organisationsgrad“ keine mächtigen Klassenkämpfe, wie wir in Frankreich gesehen haben, wo der Prozentsatz der Arbeiter*innen in Gewerkschaften historisch niedrig ist. Kleinere kämpferische Gewerkschaften können in einem verschärften Klassenkampf breitere Schichten von zuvor nicht organisierten Arbeiter*innen anziehen. Wie Trotzki in den 1930er Jahren betonte – als die Gewerkschaftsmitgliedschaft im Allgemeinen nicht mehr als 20 bis 25 Prozent der Arbeiter*innenschaft ausmachte (und hauptsächlich qualifizierte und besser bezahlte) – können kämpferische Arbeiter*innen in Zeiten eines verschärften Klassenkampfes Streikkomitees bilden, die alle Arbeiter*innen umfassen, nicht nur Gewerkschaftsmitglieder.
9. Während die meisten Arbeiter*innen in der neokolonialen Welt nicht gewerkschaftlich organisiert sind, hat sich in vielen Ländern bereits eine potenziell mächtige Arbeiter*innenklasse herausgebildet. Im Januar 2020 und Januar 2021 wurden wir Zeuge der kolossalen Bewegung von 250 Millionen Arbeiter*innen in Indien, die sich an den von zehn großen Gewerkschaftsorganisationen organisierten Generalstreiks beteiligten.
10. Es ist die Pflicht von Marxist*innen, wo immer es möglich ist, einer Gewerkschaft beizutreten und eine aktive Rolle zu spielen, andernfalls sind die Arbeiter*innen in den Gewerkschaften den Rechten und Reformist*innen schutzlos ausgeliefert. Engels bezeichnete die Gewerkschaften als „Schulen des Krieges“ für die Arbeiter*innenklasse. Unsere Genoss*innen können sich in Gewerkschaftsgliederungen und -gremien politisch profilieren und den Rechten und Reformist*innen mit unseren Ideen und Methoden entgegentreten. Dies bedeutet nun in vielen Fällen auch, dass wir uns der spaltenden Identitätspolitik annehmen, deren Terminologie und Praxis leider in vielen Ländern in die Arbeiter*innenbewegung eingesickert ist. (Wir müssen die historische Tatsache unterstreichen, dass Arbeiter*innen zwar verschiedene „Identitäten“ haben – wie Hautfarbe, ethnische Zugehörigkeit, Geschlecht, sexuelle Orientierung oder Religion -, die Gewerkschaften aber eine Rolle dabei spielen können, sie als Arbeiter*innen an ihrem Arbeitsplatz gegen ihre Ausbeutungsquelle, den Kapitalismus, zu vereinen.) Trotz des schwachen Organisationsgrades vieler Gewerkschaften werden unsere Genoss*innen von der Auseinandersetzung über Ideen und Methoden stark profitieren, indem sie die Überlegenheit des Marxismus demonstrieren. Mit unserem Aktionsprogramm und der Forderung nach Demokratisierung der Gewerkschaften heben wir uns von allen anderen Strömungen ab. Genoss*innen in Schottland, die an den Vorbereitungen für [die Proteste beim] COP26-Gipfel Ende 2021 beteiligt waren, sprachen sich für die Organisation eines Gewerkschaftsforums aus, in dem es darum ging, wie Arbeiter*innen und Gewerkschaften für Verstaatlichungen und die Notwendigkeit eines „sozialistischen Wandels“ zur Bewältigung der Umweltkrise kämpfen sollten. Aktivitäten in den Jugendorganisationen der Gewerkschaften können dazu führen, junge Arbeiter*innen zu gewinnen. Internationale Solidaritätsarbeit in den Gewerkschaften wird uns auch helfen, Unterstützung für das CWI in anderen Ländern aufzubauen.
11. Es ist wichtig, dass unsere alltägliche Arbeit in den Gewerkschaften und an den Arbeitsplätzen – die Kämpfe, Siege und Niederlagen – regelmäßig in unserer Parteiliteratur, auf unseren Websites und in den sozialen Medien veröffentlicht werden. Dadurch werden die Sektionen in der Arbeiter*innenklasse verankert und sind attraktiv für kämpferische Kontakte unter den Arbeiter*innen. Aber wir beschreiben nicht nur, was in den Betrieben passiert; wir müssen auch das notwendige Kampfprogramm und Taktiken vorlegen, um es mit den Bossen aufzunehmen und die Gewerkschaften zu verändern.
12. Obwohl unsere Gewerkschaftsarbeit vielfältig ist und oft von der Größe und den Ressourcen der einzelnen Sektionen abhängt, konnte das CWI kontinuierlich Aktivitäten durchführen und einige beeindruckende Erfolge erzielen. Die Bandbreite unserer Gewerkschaftsarbeit und unsere strategische Ausrichtung auf die organisierte Arbeiter*innenklasse wird in den folgenden Beispielen deutlich.
13. Die Wahl der Genossin Carmel Gates zur Generalsekretärin der NIPSA, der größten Gewerkschaft in Nordirland, zu Beginn dieses Jahres ist ein großer Erfolg für die Genoss*innen in Irland und für das gesamte CWI. Dieser Sieg war das Ergebnis der jahrzehntelangen hervorragenden Arbeit der Genoss*innen in einer der schwierigsten objektiven Lagen in Westeuropa, in einer entlang konfessioneller Linien geteilten Gesellschaft.
14. In England und Wales haben wir Genoss*innen in den nationalen Führungsgremien mehrerer Gewerkschaften, darunter Unison, RMT, Napo (Bewährungshelfer*innen), NEU (Lehrer*innengewerkschaft). Wir sind in rund 35 “trades councils” (lokale Gremien des Gewerkschaftsdachverbands TUC) in Großbritannien aktiv und haben in rund zwanzig dieser Gremien größere Bedeutung/führende Positionen.
15. In Schottland haben wir Genoss*innen in Führungspositionen großer Unison-Zweige (10.000 in der Region Glasgow und 2.000 in Dundee Unison) und in der CWU (2.500 Mitglieder).
16. In Frankreich sind unsere Genoss*innen hauptsächlich in der CGT tätig. Zum Beispiel haben die Genoss*innen drei lokale CGT-Sekretärsposten inne, mehrere Genoss*innen haben lokale Verantwortung, und ein Genosse ist neu gewählter Nationaler Sekrtär einer kleinen CGT-Interimsgewerkschaft.
17. In der neokolonialen Welt sind unsere Genoss*innen häufig an der Unterstützung des Aufbaus neuer Gewerkschaften beteiligt. In Malaysia zum Beispiel arbeiten die Genoss*innen eng mit den Führern der neuen Gewerkschaft der Eisarbeiter*innen zusammen. Die Genoss*innen in Pune helfen den Bauarbeiter*innen, sich zu organisieren. In Nigeria verfolgen die Genoss*innen je nach den Umständen einen flexiblen Ansatz: Sie arbeiten innerhalb der Gewerkschaften, intervenieren über den CDWR und arbeiten als DSM im Rahmen verschiedener Bündnisse zwischen Arbeiter*innen und Teilen der „Zivilgesellschaft“
18. Die Corona-Krise hat die Schlüsselrolle der „systemrelevanten“ Beschäftigten in den öffentlichen Diensten und im Verkehrswesen (Gesundheit, Bildung, Soziales) ins Rampenlicht gerückt und deutlich gemacht, dass es die Arbeiter*innenklasse ist, die die Gesellschaft am Laufen hält. Die Situation nach dem Lockdown hat in vielen Ländern zu einer Intensivierung der Arbeitskämpfe geführt, da die Arbeiter*innen bereit sind, sich entschlossener gegen die neuen Angriffe der Bosse zu wehren. Der sechswöchige Streik der Beschäftigten in den beiden großen Berliner Krankenhäusern – der für einige Beschäftigte um die Löhne in den ausgegliederten Dienstleistungsunternehmen und für Pflegekräfte und andere Beschäftigte um eine bessere Personalausstattung geführt wurde – zeigt erneut, dass eine kämpferische Ausrichtung Unterstützung und Mitglieder gewinnen. In diesem Kampf konnten zweieinhalbtausend neue Mitglieder für die Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes gewonnen werden, und es hat sich eine neue Schicht von Aktivist*innen entwickelt, von denen viele zum ersten Mal Verantwortung im Kampf übernommen haben. Diese Auseinandersetzung zeigt aber auch die Grenzen einiger linker Kräfte auf, die keine klare Strategie vorgelegt haben, die den Apparat voll herausfordern kann. Die deutschen Genoss*innen konnten Beziehungen zu einigen der Streikaktivist*innen aufbauen und haben durch ihre Intervention bisher zwei Pflegekräfte für die Organisation gewonnen.
19. Die post-pandemische Situation führt in einigen Wirtschaftssektoren zu einem Mangel an Arbeitskräften und Materialien, wie z. B. dem gravierenden Mangel an LKW-Fahrer*innen in Großbritannien (der Brexit ist in diesem Fall auch ein Faktor). Dies kann Arbeiter*innen in einigen Sektoren dazu ermutigen, ihre relative Verhandlungsmacht zu nutzen, um für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Weltweit werden steigende Energiepreise und Versorgungsengpässe zu Forderungen nach höheren Löhnen führen. In der neokolonialen Welt ist die Krise noch tiefer. Die nach wie vor hohen Corona-Infektionszahlen und die geringe Impfquote machen diese Länder anfällig für eine schwache wirtschaftliche Erholung und eine hohe Inflation. Den Arbeiter*innen wird nichts anderes übrig bleiben, als für bessere Löhne zu kämpfen, um zu überleben.
20. In anderen Wirtschaftssektoren hat die Pandemie die Schließungen und den Abbau von Arbeitsplätzen beschleunigt. In den meisten Fällen bleiben die konservativen Gewerkschaftsführungen weit hinter den Bedürfnissen der Arbeiter*innen zurück. Die IG Metall in Deutschland hat in der Auto-, Zulieferer- und Maschinenbauindustrie Kompromisse geschlossen, bei denen Zehntausende von Arbeitsplätzen gestrichen und kleine Fabriken geschlossen wurden. Unter den Beschäftigten wächst die Verärgerung darüber, dass der Stellenabbau im Zusammenhang mit der Umstellung der Industrie, z.B. auf E-Motoren, dargestellt wurde, während in Wirklichkeit Produktionslinien in Länder verlagert werden, in denen die Arbeiter*innen niedrigere Löhne erhalten. Es gab lokale Proteste, aber keine ernsthaften koordinierten Streiks, um sich gegen den Kahlschlag zu wehren. Die Gewerkschaftsführung wollte wie so oft ein Sicherheitsventil für die Wut der Arbeiter*innen öffnen und zeigen, dass sie etwas tun.
21. Gewerkschaftsfeindliche Gesetzgebungen haben vielerorts noch immer eine blockierende Wirkung. Allerdings kommen immer mehr Arbeiter*innen zu dem Schluss, dass sie nichts zu verlieren haben, wenn sie die Gesetze missachten.
22. Es ist bemerkenswert, dass die Kämpfe am Arbeitsplatz zunehmen (z. B. in den USA) und die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder in einigen Ländern steigt, da die Lockdown-Krise den Bedarf an kollektiver Organisation und kollektiven Maßnahmen verschärft hat. In Großbritannien beispielsweise ist die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder seit vier Jahren in Folge gestiegen, wenn auch – wie in anderen Ländern – hauptsächlich im öffentlichen Sektor. In Schottland stieg die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder im Bildungswesen (Kindergärten und Schulen) und im Sozialwesen, wo auch die Zahl der neuen Vertrauensleute in den Kommunalverwaltungen und Schulen (tendenziell weiblich und jünger) stark zunahm. Dies sind alles Sektoren, die von der Krisensituation stark betroffen sind, und es zeigt, dass Arbeiter*innen eher bereit sind, einer Gewerkschaft beizutreten, wenn sie einen konkreten Grund dafür sehen.
23. Bei unserer Arbeit in den Gewerkschaften müssen wir stets das richtige Gleichgewicht finden. Wir müssen die Fallstricke des Sektierertums, der ultralinken Politik und des Opportunismus vermeiden. Es muss auch sichergestellt werden, dass die im Gewerkschaftsbereich tätigen Genoss*innen nicht in engen betrieblichen Fragen gefangen werden und dass unsere Genoss*innen umfassendere politische Fragen aufwerfen. Die NIPSA-Genoss*innen haben in den Jahren des Konflikts im Norden Irlands die Gewerkschaft zumindest formal zu einer Klassenposition gegenüber staatlicher Repression und sogar zum Eintreten für eine „sozialistische Wirtschaft“ gebracht. Marx und Engels begrüßten jeden konkreten Schritt nach vorn für die Arbeiter*innenklasse durch gewerkschaftliche Kämpfe, aber sie gingen noch weiter. Indem sie ihre Autorität in der Ersten Internationale nutzten, versuchten sie, die Gewerkschaften auf einen allgemeinen Kampf gegen den Kapitalismus auszurichten, während sie gleichzeitig alle ihre Tageskämpfe unterstützten. Obwohl sie mit einigen Gewerkschaftsführungen zusammenarbeiteten, wiesen Marx und Engels auch auf deren Grenzen und die der Gewerkschaften insgesamt hin: „… die Gewerkschaften haben ihre Macht, gegen das System der Lohnsklaverei selbst vorzugehen, noch nicht oll begriffen. Sie haben sich daher zu sehr von den allgemeinen sozialen und politischen Bewegungen ferngehalten“, kommentierte Marx.
24. Dies ist im Großen und Ganzen der Ansatz vieler Gewerkschaftsführungen heute. Sie ergreifen keine Initiativen zum Aufbau neuer Massen-Arbeiter*innenparteien und stehen solchen Entwicklungen in vielen Fällen bewusst im Wege. Einige distanzieren sich von der rechten Sozialdemokratie, nehmen aber eine „überparteiliche“ Haltung ein, die letztlich die Gewerkschaften und die Interessen ihrer Mitglieder untergräbt. Nach der Niederlage des Corbynismus in der britischen Labour-Partei hat sich unter einer Schicht von Aktivist*innen eine „unpolitische“ Gewerkschaftsbewegung entwickelt. In einigen Ländern sind halb-syndikalistische Ideen gewachsen. Doch wie Engels bemerkte, wird sich diese Stimmung ändern, denn auch wenn die Gewerkschaften „den Widerstand der Arbeiter gegen die… Allmacht der Bourgeoisie lebendig hielten“, gab es ein „Eingeständnis, dass etwas mehr nötig ist, als Gewerkschaften und Streikende, um die Macht der herrschenden Klasse zu brechen“. Es ist unsere Pflicht, mutig auf die Notwendigkeit des Aufbaus einer neuen Massenpartei der Arbeiter*innenklasse hinzuweisen. Wir müssen uns über die verschiedenen Möglichkeiten im Klaren sein, wie neue Massenparteien der Arbeiter*innenklasse gebildet werden können, wobei wir stets die Einbeziehung der besten kämpferischen Arbeiteraktivist*innen, sozialen und Jugendbewegungen usw. fordern.
25. Der südafrikanische Gewerkschaftsbund kündigte Pläne für den Aufbau einer neuen Partei an, aber der Prozess ist schmerzhaft langsam, während er sich auf den Weg macht, eine neue Arbeiter*innenpartei zu „katalysieren“. Unter Druck wurde ein zweiter „Working Class Summit“ für den 27. Oktober 2021 einberufen – dieser fand jedoch nicht statt. Unsere Genoss*innen haben sich richtigerweise an diesem Prozess beteiligt und ein Dokument für die Debatte über den Weg zu einer solchen Partei vorgelegt, das die Argumente der Stalinist*innen, die versucht haben, den Fortschritt durch die Gründung einer eigenen Partei zu kappen, und anderer, die zögern, aufgreift.
26. Wir haben gesehen, dass viele Gewerkschaftsführungen während der Corona-Krise im Namen der „nationalen Einheit“ und des „sozialen Friedens“ mit den kapitalistischen Regierungen kollaboriert haben. Dies spiegelt die „doppelte Rolle“ wider, die Gewerkschaften zu verschiedenen Zeiten spielen können: nicht nur als Mittel, um die Kämpfe der Arbeiter*innen voranzubringen, sondern auch, um die Arbeiter*innen zurückzuhalten. Gewerkschaftsführungen können zwar nach jedem Vorwand suchen, um Aktionen abzusagen, aber manchmal ist ihr Verrat offenkundig. Im September 2020 kündigten nigerianische Gewerkschaftsführer*innen einen Generalstreik gegen die Erhöhung der Kraftstoff- und Strompreise an, um ihn dann kurz vor Beginn abzubrechen, nachdem sie einen faulen Kompromiss vereinbart hatten, der die Argumente der Regierung akzeptierte. Gewerkschaftskampagnen und -forderungen, im Grunde der Klassenkampf, wurden von kompromissbereiten Gewerkschaftsführungen während der Lockdown-Krise „auf Eis gelegt“. Trotzki wies in einem unvollendeten Artikel „Gewerkschaften in der Epoche des imperialistischen Niedergangs“ darauf hin, dass die Gewerkschaften unter dem immensen Druck der bürgerlichen Gesellschaftsordnung zu Hindernissen werden können, die dazu genutzt werden, die Arbeiter*innenklasse in die Enge zu treiben und zu hindern, frühere Errungenschaften wirksam zu verteidigen. Von März bis Juli 2020 gab es in Großbritannien fast keine Arbeitskämpfe und viele Gewerkschaftsstrukturen wurden stillgelegt – ein düsteres Bild, das sich in vielen Ländern wiederholte.
27. Im Gegensatz dazu betonte das CWI die Notwendigkeit unabhängiger Klassenaktionen und entwickelte ein umfassendes Programm zur Bewältigung der Corona-Katastrophe, einschließlich der Forderung nach Arbeiterkontrolle und Entscheidungsgewalt von Arbeiter*innen über Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz. Mit unserer Übergangsmethode verknüpften wir geschickt die Bedürfnisse der Arbeiter*innenklasse während der Corona-Krise mit der Notwendigkeit, die Gesellschaft nach sozialistischen Grundsätzen zu verändern.
28. Nach den Lockdowns sind neue Angriffe auf Arbeiter*innenrechte, wie z.B. die „fire and rehire“-Politik vieler Bosse (Entlassung von Arbeiter*innen und anschließende Wiedereinstellung zu schlechteren Lohn- und Arbeitsbedingungen), ein zentrales Thema für die Gewerkschaften. Viele unserer Sektionen werden ihre Forderungen und Programme anpassen müssen, um den neuen Entwicklungen Rechnung zu tragen, wie z.B. „Homeoffice“ und Büroarbeit, was die Forderung nach einer demokratischen Kontrolle der Arbeitsbedingungen (zu Hause oder am traditionellen Arbeitsplatz) durch die Gewerkschaften sowie nach Gesundheit und Sicherheit usw. mit sich bringt.
29. Die Pandemie offenbarte die Schwäche nicht nur der rechten Gewerkschaftsführer*innen, sondern auch des Programms der linken Gewerkschaftsführer*innen. Der Südafrikanische Gewerkschaftsbund legte im Grunde ein „Minimal- und Maximalprogramm“ vor – reformistische Forderungen mit dem Zusatz „Sozialismus“ am Ende. Vor der Pandemie forderte Saftu ein Konjunkturpaket und eine Senkung der Zinssätze – Maßnahmen, die die ANC-Regierung nach dem Ausbruch des Corona-Virus umgehend als Notmaßnahmen ergriff. Erst in den letzten Monaten hat Saftu die Verstaatlichung der Banken gefordert, und selbst dann nur in Form von öffentlichem Eigentum an „oligopolistischen Banken“.
30. Die Warnstreiks der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes in Deutschland bezüglich der Löhne, an denen sich eine beträchtliche Anzahl von Arbeiter*innen beteiligten, zeigten, dass die Möglichkeit besteht, Bewegungen zu entwickeln. Die Gewerkschaftsführung wollte jedoch nicht weiter gehen. Selbst einige linke Gewerkschaftsführer*innen und -aktive bezeichneten den Abschluss als “unter den gegebenen Umständen gut”. Vor allem unter den Pflegekräften herrschte jedoch die Meinung vor, dass die Erhöhung angesichts der Arbeitsbelastung und des Personalmangels viel zu gering sei. Ende des Jahres wurde in einem anderen Teil des öffentlichen Sektors ein noch schlechterer Abschluss vereinbart, der auf Kritik stieß. In Ermangelung einer organisierten linken Opposition findet diese jedoch bisher keinen klaren Ausdruck.
31. Junge Menschen wurden von den Auswirkungen der Corona-Krise am stärksten getroffen, viele verloren ihren Arbeitsplatz oder sahen sich mit noch schlechteren prekären Arbeitsbedingungen konfrontiert. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir unsere Klassenforderungen für junge Arbeiter*innen in den Gewerkschaften vorbringen. In England und Wales haben die Genoss*innen die Kampagne „Youth Fight for Jobs“ wieder ins Leben gerufen, die bereits einen bedeutenden Rückhalt in den Gewerkschaften hat und eine wichtige Rolle bei der Entwicklung unserer Basis unter jungen Arbeiter*innen spielen kann.
32. Das Versagen der Gewerkschaftsbürokratie bei der wirksamen Organisierung von prekär Beschäftigten, insbesondere von jungen Arbeiter*innen, hat in einigen Ländern zur Entstehung neuer, kleinerer „aktivistischer“ Gewerkschaften geführt. Die Gewerkschaften IWGB und United Voices in Großbritannien beispielsweise, die jeweils etwa 3-4.000 Mitglieder haben, konnten einige Siege für junge Beschäftigte (oft Migrant*innen) in prekären Arbeitsverhältnissen, z. B. bei Deliveroo, erringen. In Deutschland kommt es in Amazon-Zentren seit Jahren immer wieder zu Streiks. Kürzlich fanden wilde Streiks von Gorillas-Fahrer*innen (hauptsächlich junge Migrant*innen) in Berlin statt. Solche Aktionen, an denen überwiegend junge prekär beschäftigte Arbeiter*innen beteiligt waren, wurden nicht nur von neuen kleineren Gewerkschaften, sondern auch von etablierten Gewerkschaften organisiert. Der Eintritt dieser jungen Arbeiter*innen in den Arbeitskampf ist eine wichtige Entwicklung, die in anderen Ländern Nachahmung finden wird.
33. Marxist*innen haben keinen Fetisch für Organisationsformen, auch nicht für die der Gewerkschaften. Wo sich neue Gewerkschaften etablieren können, können wir uns an ihnen orientieren. Es ist jedoch notwendig, die anarchistischen und syndikalistischen oder semi-syndikalistischen Ideen, die oft in diesen kleineren Gewerkschaften vorherrschen, gekonnt zu bekämpfen. Aufgrund organisatorischer und ideologischer Schwächen können sich einige der neuen kleineren Gewerkschaften nur bis zu einem gewissen Grad entwickeln. Und wenn diese neuen Gewerkschaften wachsen und nicht dem Konservatismus und der Bürokratisierung zum Opfer fallen sollen, muss die Auseinandersetzung um die gewerkschaftliche Demokratie gewonnen werden, mit der Wahl von Funktionär*innen zu einem Arbeiter*innenlohn usw.
34. Zweifellos hat sich in einigen Gewerkschaften ein fortgeschrittener Grad der bürokratischen Degeneration vollzogen, und die hochbezahlten, privilegierten Gewerkschaftsfunktionär*innen sind zunehmend vom Lebens- und Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder entfernt. Viele Gewerkschaften haben eine „Dienstleistungsrolle” eingenommen. Die Beteiligung der Basis ist zunehmend zurückgegangen, die Wahlbeteiligung bei Gewerkschaftswahlen ist sehr niedrig, und das Durchschnittsalter der aktiven Mitglieder ist höher geworden. In den USA und anderen Ländern sind viele Gewerkschaftsführungen notorisch korrupt (siehe z.B. der jüngste Skandal um die United Autoworkers‘ Union). Viele Gewerkschaftsmitglieder sind angewidert von der korrupten Bürokratie, die ihre Mitglieder im Austausch für relativen Reichtum und die Bequemlichkeit ihrer Positionen verrät. Viele Gewerkschaften in den ehemaligen stalinistischen Staaten sind nichts anderes als „gelbe Gewerkschaften“, die Hand in Hand mit reaktionären Verbrecherregimen arbeiten. Es ist jedoch richtig, auf diese Gewerkschaften zu orientieren, wenn sie eine bedeutende Anzahl von Arbeiter*innen organisieren oder mobilisieren können. Lenin forderte die Bolschewiki auf, in den vom Zarismus geführten Gewerkschaften zu arbeiten, weil dort eine beträchtliche Zahl von Arbeiter*innen zu finden war, und Trotzki befürwortete sogar die Arbeit in Gewerkschaften unter faschistischen Regimen, in denen es keine unabhängigen Gewerkschaften gab. In der neo-kolonialen Welt stehen viele Gewerkschaften unter der Schirmherrschaft des Staates und der Unternehmen, während sich die schwache Bourgeoisie in diesen Ländern auf die Gewerkschaften stützt, um ihre Herrschaft zu erhalten. In Ausnahmesituationen, in denen die Gewerkschaftsführung konsequent darauf hinwirkt, die Basis für kämpferische Aktivitäten zu zerstören, kann der Austritt von Mitgliedern in eine andere Gewerkschaft oder die Gründung einer neuen Gewerkschaft gerechtfertigt sein.
35. Dennoch sind die meisten Gewerkschaften nach wie vor ein Ausdruck der organisierten Arbeiter*innenklasse. Grundsätzlich zielen wir darauf ab, bestehende Gewerkschaften aufzubauen und zu stärken, indem wir die Mitglieder mit einem Kampfprogramm zum Handeln und für gewerkschaftliche Demokratie mobilisieren. Selbst die rechtesten und degeneriertesten Führungen können durch Druck von unten zum Handeln gezwungen oder zur Seite gedrängt werden. Der Sieg der Linken bei den Wahlen zum nationalen Führungsgremium von Unison in Großbritannien zu Beginn dieses Jahres zeigt, dass selbst das, was wie ein eiserner Griff der Rechten aussah, gebrochen werden kann. Dies geschah nicht spontan, sondern erforderte jahrelange Aktivitäten linker Aktivist*innen und auch den wachsenden Widerstand der Unison-Mitglieder gegen die faulen Deals der rechten Führung mit dem Management, die durch die Corona-Krise noch verstärkt wurden.
36. Wie die mächtige Bewegung des „Arabischen Frühlings“ in Ägypten und Tunesien vor zehn Jahren gezeigt hat, können selbst Gewerkschaften, die an reaktionäre, bonapartistische Regime gebunden sind, als Ventil für Streikwellen und andere Massenaktionen der Arbeiter*innenklasse zum Sturz von Diktatoren dienen. Gewerkschaften können zu einem Zeitpunkt eine konservative Rolle und zu einem anderen Zeitpunkt eine aufständische Rolle spielen. Anstatt die Gewerkschaften sektiererisch abzutun, fordern wir die vollständige Demokratisierung der Strukturen, die Kontrolle durch die Basis und die Rechenschaftspflicht aller Funktionär*innen sowie die Umwandlung der Gewerkschaften in kampagnenfähige, klassenkämpferische Organisationen. In dem Maße, wie sich das Tempo der Klassenkämpfe beschleunigt, werden auch die Gewerkschaften, selbst einige der am weitesten rechts stehenden, nicht vor der Radikalisierung großer Teile der Arbeiter*innenklasse und der Jugend gefeit sein, und dies wird sich in einem Anstieg neuer kämpferischer Gewerkschaftsmitglieder und einem scharfen Konflikt mit der konservativen Bürokratie niederschlagen.
37. Während Arbeitskämpfen können sich Formen der Selbstorganisation der Arbeiter*innen außerhalb der bestehenden Gewerkschaftsstrukturen entwickeln. Zunehmend können sich Aktionskomitees und Solidaritätskomitees/-netzwerke bilden, in denen streikende Arbeiter*innen versuchen, ihren Arbeitskampf zu kontrollieren und Sabotage und Ausverkauf durch die Bürokratie zu verhindern. Im jahrelangen Konflikt der Debenham-Arbeiter*innen in Südirland, in den unsere Genoss*innen immer wieder eingriffen, gab es Elemente lokaler Organisierung durch Arbeiter*innen, die versuchten, die konservative Führung ihrer Gewerkschaft zu umgehen.
38. Viele soziale Kämpfe und Klassenkämpfe (Gemeinwesen, Wohnungsbau usw.) finden außerhalb der Gewerkschaftsstrukturen statt. Einige der Aktivist*innen in diesen Kampagnen betrachten die Gewerkschaften mit Misstrauen, da sie eine bürokratische, entmachtende Rolle spielen könnten. Dennoch sollten wir versuchen, die organisierte Arbeiter*innenbewegung mit diesen anderen Kämpfen zu verbinden, indem wir die besten Gewerkschaftsaktiven und die potenzielle Macht der Gewerkschaften mit den Kampagnen verbinden. Während des Anti-Poll-Tax-Kampfes in Großbritannien Anfang der 1990er Jahre haben unsere Genoss*innen trotz der Weigerung der Gewerkschaftsbürokratie, „illegal“ zu handeln, immer wieder versucht, die Kampagne zu Gewerkschaftsaktivist*innen und lokalen Gliederungen usw. zu tragen, um Unterstützung zu gewinnen und Kämpfe zu vernetzen.
39. Viele „linke“ Gewerkschaftsführer*innen, die nach rechts gerückt sind, wenn auch nicht in Worten, sondern in Taten, können auch von Mitgliedern weggefegt werden, die durch ihre eigenen schmerzlichen Erfahrungen mit Arbeitsbedingungen, Löhnen und Renten, „fire and rehire“ usw. lernen, dass eine kämpferische Führung erforderlich ist. Auch „linke“ Gewerkschaftsführer*innen können unter dem Druck der Mitglieder einen Zickzackkurs fahren und sich manchmal sogar auf ein ultralinkes Element einlassen.
40. Ungeachtet dieser allgemeinen Entwicklungen kann es jedoch auch zu Spaltungen in den Gewerkschaften und Gewerkschaftsverbänden kommen, wenn die Arbeiter*innen mit den erdrückenden, konservativen Führungen ungeduldig werden, insbesondere in der neokolonialen Welt, wo sich die Massen in einer verzweifelten Lage befinden und die Probleme sehr scharf aufgeworfen werden. „Gewerkschaften sind kein Selbstzweck, sie sind nur Mittel auf dem Weg zur proletarischen Revolution“, schrieb Trotzki in den 1930er Jahren, und er stellte fest, dass es unter bestimmten Umständen notwendig ist, „einen direkten Bruch mit dem konservativen Apparat der Gewerkschaften zu vollziehen“. In bestimmten Situationen würden Marxist*innen helfen, neue Gewerkschaften zu gründen, um hoffnungslos undemokratische und bürokratische Gewerkschaften zu ersetzen. In Südafrika haben wir uns vor allem an der South African Federation of Trade Unions orientiert, einer 2017 erfolgten Abspaltung von Cosatu (die immer noch an die ANC-Regierung gebunden ist). Saftu ist hauptsächlich unter Industriearbeiter*innen organisiert, wird aber auch zunehmend von Beschäftigten des öffentlichen Sektors unterstützt. Durch unsere EPWP-Kampagne haben wir eine Beziehung zu Saftu-Aktivist*innen aufgebaut.
41. Generell fordern wir jedoch die Arbeiter*innen auf, die Gewerkschaften zurückzuerobern. Vor allem in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern geben die Arbeiter*innen ihre Gewerkschaften nicht einfach auf und gründen neue Gewerkschaften. Sie werden zunächst versuchen, diese Organisationen zu demokratisieren und neu aufzubauen.
42. In anderen Teilen der Welt, insbesondere in den ehemaligen stalinistischen Staaten, helfen wir beim Aufbau unabhängiger Gewerkschaften, wo es sie noch nicht gibt. Wir sind im Gespräch mit eine Gruppe in Kasachstan, die diese Arbeit leistet.
43. In einigen Ländern scheint die Idee der “reinen Basisarbeit (rank and filism)“ wieder auf die Tagesordnung zu kommen. Dieser Begriff kann in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich besetzt sein und in einigen Fällen steht er für den richtigen Versuch, die Arbeiter*innen in den Betrieben in Opposition zu den Bossen und der Gewerkschaftsbürokratie zu organisieren. In der Vergangenheit beinhaltete ein plumper Basis-Ansatz sektiererischer Gruppen die Entsendung junger Aktivist*innen an Industriearbeitsplätze und die Forderung, dass Gewerkschaftsaktivist*innen niemals hauptamtliche Gewerkschaftsämter, ob gewählt oder anderweitig, übernehmen sollten. Die DSA in den USA debattiert über die Vorzüge des „rank and file“-Ansatzes. Einerseits deutet dies darauf hin, dass die hauptsächlich kleinbürgerlichen Kräfte der DSA zunehmend anerkennen, dass in den Gewerkschaften eine kämpferischere Stimmung aufkeimt. Andererseits besteht die Gefahr, dass dieselben Fehler wiederholt werden, die die Sektierer*innen früher begangen haben, als Einzelpersonen aus der Mittelklasse in die Gewerkschaften eintraten und den Arbeiter*innen Vorträge über den Weg nach vorne hielten, während sie von den Arbeiter*innen trotz ihrer Bemühungen oft wenig Beachtung erhielten.
44. Das CWI ist zwar offen für mutige Initiativen in den Betrieben und die Annahme von Arbeitsplätzen in der Industrie und in Unternehmen, die Aufnahme von Ausbildungen usw. durch junge Genossen ist sehr wichtig für die Entwicklung unserer Arbeit in den Betrieben und sollte gefördert werden. Aber das CWI lehnte stets die plumpe Methode von Ultra-Linken ab, Kräfte von außen in die Gewerkschaften zu schicken, um die Arbeiter*innen aus ihrem Schlummer vermeintlich zu wecken. Wir haben zurecht für die Art von geduldiger Arbeit plädiert, die notwendig ist, um die besten Arbeiter*innen für unsere Ideen zu gewinnen und eine starke linke Opposition in den Gewerkschaften aufzubauen, die die reformistische und prokapitalistische Führung beseitigt. Dies kann zuweilen die Kandidatur von Genoss*innen für hauptamtliche Gewerkschaftspositionen beinhalten (wo es Wahlen für solche Positionen gibt), mit der Verpflichtung, nicht mehr als den Durchschnittslohn der von ihnen vertretenen Arbeiter*innen zu nehmen und sich für ein kämpferisches linkes Programm in der Gewerkschaft einzusetzen. Es gibt keinen Ersatz für den geduldigen Aufbau einer starken Basis in den Betrieben für die Durchsetzung unserer Ideen in den Gewerkschaften. Aber wir können hochrangige wählbare Positionen nutzen, um unsere Ideen mutig zu präsentieren und Gewerkschaftsaktivist*innen für unser Banner zu gewinnen, auch dort, wo wir derzeit relativ wenige Gewerkschaftsmitglieder haben.
45. Der Aufbau einer echten linken Opposition in der Gewerkschaftsbewegung ist eine zentrale Aufgabe für unsere Genoss*innen in vielen Gewerkschaften. Die Entwicklung von oppositionellen “Broad Lefts”, “Netzwerken” und “Bündnissen” usw. ist von Land zu Land unterschiedlich, aber in den meisten Fällen sind sie in den Gewerkschaften noch nicht weit verbreitet oder stark. Wir verbinden diese Arbeit mit der gleichzeitigen Stärkung unserer eigenen Kräfte. Dies ist ein Ansatz nach dem Vorbild der „Einheitsfront“, den das CWI seit Jahrzehnten erfolgreich verfolgt, bei dem wir mit anderen linken Kräften zusammenarbeiten, aber immer unser Recht ausgeübt, unsere eigenen Forderungen, unser Programm und unsere revolutionären Ideen zu vertreten. In vielen Gewerkschaften, wie z. B. in der britischen Bildungsgewerkschaft NEU, sind die traditionellen linken Blöcke jedoch nach rechts gerückt. Frühere breite linke Organisationen haben sich abgespalten und/oder in ihr Gegenteil verkehrt und spielen keine konstruktive Rolle mehr. Darin spiegeln sich oft die Ansichten und Interessen einer Schicht verbrauchter und zynischer ehemaliger Linker oder selbsternannter Linker nach wider, die jetzt ein Hindernis für echte linke Aktivitäten der Basis darstellen. Es besteht auch die Tendenz, dass linke Aktivist*innen in den Gewerkschaftsapparat integriert werden, wie dies in Deutschland und vielen anderen Ländern zu beobachten ist.
46. Wir dürfen uns nicht von solchen „Broad Left“-Strukturen binden lassen, die keine konstruktive Rolle mehr spielen. In der PCS in Großbritannien haben die Genoss*innen den wichtigen Schritt unternommen, ein neues „breites linkes Netzwerk“ zu gründen, auch wenn es noch klein ist und sich in einem frühen Stadium der Entwicklung befindet. Wie die Wahl des Generalsekretärs in Unite gezeigt hat, ist es erforderlich, einen wirkungsvollen breiten linken Flügel in dieser Gewerkschaft aufzubauen.
47. Unser Programm und unsere Forderungen für die Gewerkschaften sind von entscheidender Bedeutung für den Aufbau breiter linker Organisationen mit anderen. Gleichzeitig sind unsere Gewerkschaftsausschüsse wichtiger denn je, ebenso wie die konsequente Stärkung unseres Profils und unseres marxistischen Programms in den Gewerkschaften.
48. Wo es möglich ist, sollten wir versuchen, gewerkschaftsübergreifende, breite linken Organisationen zu gründen. Das NSSN in Großbritannien ist ein gutes Beispiel für den Erfolg dieses Ansatzes, der seit 15 Jahren verfolgt wird. An der Online-Vernetzung des NSSN auf der TUC-Konferenz im September 2021, auf der eine beeindruckende Anzahl von vier Gewerkschafts-Generalsekretären das Wort ergriff, nahmen 300 Gewerkschafter*innen teil. Unsere Genoss*innen, die sich zu Wort meldeten, nutzten die Gelegenheit, um zu koordinierten Gewerkschaftsaktionen aufzurufen, um die jüngsten Tory-Angriffe abzuwehren und die Lohnforderungen im öffentlichen Sektor durchzusetzen. Die deutschen Genoss*innen setzen den Aufbau der VKG (Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften) fort, allerdings muss sie eine breitere Anziehungskraft auf junge Arbeiter*innen entwickeln, da sie tendenziell von älteren Linken dominiert wird.
49. Der Kampf um Gehaltserhöhungen im öffentlichen Sektor nach Jahren der Austeritätspolitik ist ein gemeinsames Merkmal auf internationaler Ebene und eine echte Bewährungsprobe für die Gewerkschaftsführungen. Die Genoss*innen in Südafrika haben ihn zu einem wichtigen Teil ihrer Gewerkschaftsarbeit gemacht – als konkretes Thema, das sie ansprechen und zu Aktionen auffordern, und das sie zur Analyse des Zustands der südafrikanischen Gewerkschaften nutzen. Im Juli 2020 unterzeichnete eine Mehrheit der südafrikanischen Gewerkschaftsführer*innen einen faulen Deal zu diesem Thema. Während wir zu koordinierten Gewerkschaftsaktionen für die Löhne im öffentlichen Sektor aufrufen, ruft der Rest der Linken abstrakt zu „Generalstreiks“ auf, die nichts mit der Situation vor Ort zu tun haben.
50. Das CWI hat die Frage eines Generalstreiks immer mit Bedacht gestellt, da viel auf dem Spiel steht, insbesondere in Ländern, in denen es keine Tradition gibt, zu solchen Aktionen aufzurufen. Wir sprechen uns gegen einen Generalstreik als symbolischen Akt und gegen den Versuch aus, ihn zu ein „Sicherheitsventil“ für die Wut der Arbeiter*innen zu machen, wie es beispielsweise in verschiedenen Ländern regelmäßig geschehen ist. Wenn zu einem begrenzten Generalstreik aufgerufen wird, dann muss er Teil eines Mobilisierungsplans sein und darf kein Selbstzweck sein. Kurze Generalstreiks mit konkreten Forderungen können erfolgreich sein, um Siege oder Zugeständnisse von Regierungen oder Unternehmen zu erreichen, wenn sie gut vorbereitet sind. Ein längerer oder unbefristeter Generalstreik kann die Machtfrage in der Gesellschaft und die nach Arbeiter*innenmacht aufwerfen. Dies erfordert eine besonders ernsthafte Vorbereitung durch die Gewerkschaften, einschließlich Massenaktionsausschüssen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene, die den Streik aufrechterhalten und die Verteilung von Lebensmitteln, Medikamenten und anderen dringenden Gütern usw. organisieren, um erfolgreich zu sein. Dies ist vor allem notwendig, um nicht organisierte Arbeiter*innen, Jugendliche, die Armen und, vor allem in neokolonialen Ländern, Kleinhändler*innen, Landarbeiter*innen und Kleinbäuer*innen usw. zu erreichen und einzubeziehen. Ein sorgfältig ausgerufener Generalstreik wird das Vertrauen und die Macht der Arbeiter*innenklasse erheblich stärken und sogar die Frage nach einer Regierung der Arbeiter*innenklasse aufwerfen. Dennoch kann ein Generalstreik nur die Frage der Macht stellen; er allein kann der Kapitalist*innenklasse nicht erfolgreich die Macht entreißen. Die heldenhafte Bewegung der Massen in Myanmar gegen die Militärdiktatur beinhaltete Generalstreiks, aber es gab keine revolutionäre Partei der Arbeiter*innenklasse, die einen Kampf zur Machtergreifung anführen konnte. Von der Gewerkschaftsführung schlecht ausgerufene Generalstreiks können das Vertrauen der Arbeiter*innenklasse schwächen und die Position der Kapitalist*innenklasse stärken. Seit der Pandemie hat es in Südafrika zwei „Generalstreiks“ gegeben, die sich als Flops erwiesen haben.
51. Die Einheit der Arbeiter*innenbewegung auf der Grundlage eines kämpferischen, sozialistischen Programms ist das A und O im Kampf. Die Bosse und die reaktionären Kräfte werden versuchen, die Arbeiter*innenbewegung zu teilen und zu spalten, wogegen wir uns an vorderster Front zur Wehr setzen müssen.
52. Unsere Aufgabe in den Betrieben und Gewerkschaften besteht vor allem darin, die Kräfte des revolutionären Sozialismus, des Trotzkismus aufzubauen. Eine zentrale Aufgabe ist es, unsere Kräfte in den Gewerkschaften mit jungen Mitgliedern aufzufrischen. Es ist die Aufgabe der langjährigen Gewerkschaftsgenoss*innen und der Sektionen insgesamt, dafür zu sorgen, dass in den Gewerkschaften eine neue Generation für unsere Ideen und Methoden gewonnen wird, als Vorbereitung auf die bevorstehenden großen Klassenkämpfe. Diese neuen Gewerkschaftsgenoss*innen müssen von Anfang an mit den Methoden und Ideen des CWI gestählt und vollständig in die Sektionen integriert werden. Während ein gewisses Maß an „Spezialisierung“ innerhalb der Organisation unvermeidlich ist, ist es wichtig, sicherzustellen, dass alle neuen Mitglieder mit gewerkschaftlichem Hintergrund in der Lage sind und dazu ermutigt werden, eine umfassende Rolle in den Ortsgruppen und anderen Parteistrukturen zu spielen und als Parteimitglieder aktiv zu sein (Verkauf der Zeitung/ Zeitschrift, Teilnahme an den Straßenaktivitäten, Einleitungen auf Ortsgruppen zu halten usw.). Ebenso müssen die Sektionen in ihrer Gesamtheit erörtern, wie sie die Arbeit der Gewerkschaftsgenoss*innen unterstützen können. Die Ortsgruppen müssen ihre Ausrichtung auf wichtige Arbeitsplätze diskutieren und schnell auf Arbeitskämpfe reagieren. Die Einzelheiten, wie die örtlichen Genoss*innen die betriebliche Arbeit entwickeln – wie die Genoss*innen in Streikposten eingreifen, Solidaritätsaktionen durchführen, Kontakte für die Organisation unter den Arbeiter*innen herstellen usw. – müssen auf allen Ebenen der Sektionen sorgfältig diskutiert werden. Die Identifikation der Gewerkschaftsgenoss*innen mit ihrer Sektion und dem CWI ist wichtig, um unser Profil zu schärfen und ein revolutionäres Bewusstsein zu fördern, das sich in der Arbeit der Genoss*innen in den Gewerkschaften fortsetzt. Die Entwicklung einer starken marxistisch-trotzkistischen Strömung in den Gewerkschaften ist der beste Weg, um sich auf die stürmischen Klassenkämpfe vorzubereiten, die vor uns liegen.
Die vorliegende Fassung des Beschlusses wurde leicht gekürzt.