So nicht, DIE LINKE!

Foto: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c7/Wagenknecht%2C_Sahra%2C_2013.JPG von Wolkenkratzer [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], vom Wikimedia Commons

Weder Sahra Wagenknechts Rede noch die kritischen Reaktionen aus der Partei sind sozialistische Antworten auf die gegenwärtige Krise des Kapitalismus

Sahra Wagenknecht hat am gestrigen 8. September eine vielbeachtete Rede im Bundestag gehalten. Einmal mehr ist die Partei über die Positionen und das Auftreten ihres prominentesten Mitglieds tief gespalten. An Wagenknechts Rede ist viel zu kritisieren, leider kritisieren viele aus der Partei ausgerechnet die richtigen Aussagen der ehemaligen Fraktionsvorsitzenden.

Von Sascha Staničić

Sahra Wagenknechts Rede war kämpferisch, konfrontativ und polemisch. Wagenknecht hat zurecht die Profite der Energiekonzerne und den drohenden Absturz des Lebensstandards von Millionen angeprangert. Das braucht DIE LINKE gerade, wenn sie sich als klare Alternative zur Ampel-Koalition und zu CDU/CSU und AfD präsentieren will. Doch Form ist nicht wichtiger als Inhalt und wenn man so viel Applaus von den Bänken der AfD-Abgeordneten bekommt, wie Sahra Wagenknecht gestern im Bundestag, kann etwas nicht stimmen.

So deutsch

Sicher: nur weil die AfD das Ende der Wirtschaftssanktionen gegen Russland fordert, bedeutet das nicht, dass Linke dies nicht fordern sollten. „Wenn der Papst sagt, der Schnee ist weiß, sage ich nicht er sei schwarz“, ist eine Redewendung, die zum Ausdruck bringt, dass es halt vorkommen kann, das auch erbitterte Gegner*innen in bestimmten Fragen gleiche Positionen einnehmen können. Doch die AfD frohlockte sicher nicht nur wegen Wagenknechts ablehnender Haltung zu den Sanktionen, sondern auch weil sie eine deutschnationale Rede gehalten hat, die nicht die Interessen der Arbeiter*innenklasse in Deutschland (die nicht nur aus deutschen Lohnabhängigen besteht) und international, sondern die der „deutschen Wirtschaft“ in den Mittelpunkt rückte.

Mit markigen Worten kritisierte Wagenknecht die Regierung, vor allem Wirtschaftsminister Habeck, und betonte, dass andere Regierungen in Europa eine bessere Politik machen, indem sie – wie Frankreich – die Energiepreise deckeln und dabei nicht auf eine Entscheidung in Brüssel warten. Unerwähnt ließ sie, das dasselbe Frankreich den Energieriesen EDF re-verstaatlicht hat, um die Energieversorgung des Landes sicherzustellen. Unerwähnt ließ sie auch, was sie denn nun genau fordert. Kein Wort, wie Preisobergrenzen aussehen sollen. Kein Wort über eine automatische Anpassung der Löhne und Sozialleistungen an die Inflationsrate. Kein Wort über die Enteignung von Energie- und Immobilienkonzernen und Kriegs- und Krisenprofiteuren. Und vor allem: kein Wort über den heißen Herbst! Kein Aufruf an die Arbeiter*innenklasse auf die Straße zu gehen. Keine Solidarität mit den Gewerkschaften, die vor wichtigen Tarifrunden stehen. Kein Aufruf an die Gewerkschaften, gemeinsam mit der LINKEN eine Massenbewegung auf die Beine zu stellen. Auch wenn Sahra Wagenknecht an anderer Stelle zu Protesten aufruft, verzichtete sie auf die Chance, mit diesem Aufruf in die Tagesschau zu kommen und Millionen zu erreichen.

Aber sie drückte viel Sorge um den deutschen Mittelstand aus und dass die „guten alten Zeiten“ vorbei sind. Wann diese „guten alten Zeiten“ genau waren, verrät sie uns nicht. Zwanzig Jahre nach der Agenda 2010 und vierzig Jahre nachdem Helmut Kohl in der Bundesrepublik Kanzler wurde, fragt man sich schon, wie weit zurück Sahra Wagenknecht in der Geschichte gehen will oder ob sie tatsächlich nur an die „guten alten Zeiten“ für Unternehmer*innen denkt.

Eine linke, gar sozialistische Rede war das nicht. Sie war gespickt mit dem Wort „deutsch“ und enthielt keinen Funken Internationalismus. Wagenknecht machte es der AfD leicht, zu applaudieren – auch weil sie kein Wort der Abgrenzung von den Rassist*innen und Rechtspopulist*innen verlor.

Wirtschaftssanktionen

In der Linkspartei entzündet sich die Kritik an Wagenknechts Rede aber ausgerechnet an dem Punkt, an dem sie prinzipiell Recht hat – ihrer Ablehnung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland und der Bezeichnung derselben als „Wirtschaftskrieg“ (womit sie nicht alleine ist, schon im Frühjahr sprach zum Beispiel der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze davon) . Ihre Herleitung dieser Ablehnung ist wiederum hochproblematisch, weil sie „deutsche Interessen“ (ohne diesen Begriff direkt zu benutzen, jedoch spricht sie von „unserem größten Energielieferanten“) fabuliert, wo Linke von Klasseninteressen sprechen sollten. Aber natürlich sind die Wirtschaftssanktionen abzulehnen, weil sie die gesamte russische Bevölkerung treffen sollen (und diese deshalb eher in die Arme Putins als in die Opposition zu ihm treiben werden) und die Konsequenzen für die Arbeiter*innenklasse hier ebenfalls katastrophal sind. Und natürlich führt der Westen einen Wirtschaftskrieg gegen Russland – ja, als Reaktion auf den militärischen Krieg Russlands gegen die Ukraine, das ändert aber nichts an der Tatsache, dass wir es beim Ukraine-Krieg auch um einen Konflikt zweier imperialistischer Lager zu tun haben, in dem die Arbeiter*innenklasse keinen Verbündeten hat.

Dass nun manche LINKE, wie offenbar der ehemalige Parteivorsitzende Bernd Riexinger, sich ausgerechnet von dem Begriff des „Wirtschaftskriegs“ distanzieren, zeigt wie sehr sich die führenden Kreise der Linkspartei von der so genannten öffentlichen Meinung unter Druck setzen lassen.

Zukunft der LINKEN

Für Parteimitglieder stellt sich jedoch eine andere Frage. Die Auseinandersetzung um Wagenknechts Rede ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung gewesen. Es war völlig klar, dass Wagenknechts Positionen – egal wie man zu ihnen steht – und ihre Person Widerspruch hervorrufen würden. Dass sie trotzdem diese Rede halten konnte – immerhin in der wichtigen und medial sehr wahrgenommenen Haushaltsdebatte -, obwohl sie keinerlei Funktion bekleidet, die sie dafür prädestiniert, muss die Frage aufwerfen, ob die Entscheidungsträger*innen in der Fraktion und sie selbst der Partei eigentlich mehr schaden als nutzen wollen – nur zwei Tage nachdem DIE LINKE mit der Großdemonstration in Leipzig endlich mal etwas auf die Beine gestellt hat, was einfach nur gut war. Jetzt diskutieren wieder alle über Wagenknecht, welche wahrscheinlich die Pläne für eine Parteineugründung und Kandidatur zur Europawahl schon in der Schublade liegen hat.

Wenn DIE LINKE so weiter macht, macht sie sich überflüssig. Eine sozialistische Alternative zum Kurs der Parteiführung vertritt Sahra Wagenknecht jedoch nicht. Alle ihre Unterstützer*innen, die sich zur Parteilinken zählen, sollten sich bewusst sein, dass sie einen Tanz auf dem Vulkan veranstalten, wenn sie keine klare Trennlinie nach rechts ziehen. Doch ein nicht minder großes Problem der LINKEN sind die Ramelows, Lederers und Schuberts, die Waffenlieferungen an die Ukraine befürworten und gänzlich in der kapitalistischen Logik angekommen sind. Und auch diejenigen Parteilinken, die in den letzten Jahren angepasster und moderater geworden sind, wo mehr Radikalität und sozialistische Prinzipien gefragt gewesen wären.

Ob der Zug für DIE LINKE schon abgefahren ist, ist schwer zu sagen. Die Regierung und die kapitalistische Krise geben der Partei gerade so etwas wie die Chance auf eine Wiederbelebung. Am Montag in Leipzig konnte man Hoffnung haben, dass sie diese Chance nutzt. Nach dem gestrigen Tag ist diese Hoffnung wieder ziemlich verflogen.

Das bedeutet aber für die nächsten Wochen auch: Linke in der LINKEN dürfen sich nicht in innerparteilichen Kämpfen verrennen, sondern müssen ihre ganze Kraft auf die Organisierung von Bündnissen und Demonstrationen gegen Preissteigerungen und für einen heißen Herbst konzentrieren. Wenn DIE LINKE noch mal einen Impuls nach links bekommen sollte, dann nur aus solchen, jetzt möglichen, Massenbewegungen.