Energiekrise sozialistisch lösen
Energie ist nicht nur extrem teuer, sondern auch knapp geworden. Wie bereits in der Pandemie soll die Krise auf die arbeitende Bevölkerung und Jugend abgewälzt werden. Gegenwehr ist angesagt.
von Ursel Beck, Stuttgart
„Seit Beginn der Pandemie hat man den Menschen viel Lebensqualität weggenommen, das kann man nun nicht noch einmal machen“, so rechtfertigt ein Hotelchef die Ablehnung von Energiesparmaßnahmen bzw. den uneingeschränkten Weiterbetrieb von Saunen, beheizten Außenpools und energieintensiven Wellnessoasen in Luxushotels. Ein Preisaufschlag für höhere Energiekosten ist für reiche Hotelgäste kein Problem. Denn es sind diese Schichten, die zu den Krisengewinnern gehören. Von den jährlich zehn Milliarden Euro Steuererleichterung durch die Änderung bei der Steuerprogression im dritten Entlastungspaket der Ampel-Regierung erhält das obere Drittel der Bevölkerung mit den höchsten Einkommen eine Entlastung von neun Milliarden im Jahr.
Erzwungene Energiesparmaßnahmen
Spekulation und Anarchie auf dem Energiemarkt, Krieg und Sanktionspolitik könnten dazu führen, dass es nun auch in Europa zu Rationierung und Stromausfällen kommt. Die Folgen sollen vor allem die Masse der arbeitenden Bevölkerung mit dem weiteren Verlust von Lebensqualität ausbaden. Mit der „Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung durch kurzfristig wirksame Maßnahmen“ der Bundesregierung sollen bis Ende Februar 2023 mindestens zwanzig Prozent Gas eingespart werden. Dafür wird vorgeschrieben, dass die Temperatur für Büros im öffentlichen Dienst auf maximal 19 Grad (statt mindestens 20 Grad) begrenzt wird, wenn vorwiegend sitzend gearbeitet wird. Bei Arbeit mit Bewegung darf die Temperatur je nach Bewegungsintensität auf 18 Grad, 16 Grad und bei körperlich schwerer Arbeit sogar auf 12 Grad abgesenkt werden. Eine Erwärmung des Wassers zum Händewaschen ist untersagt. Ausgenommen von diesen staatlich verordneten Temperaturabsenkungen sind Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Kitas und Schulen – nicht jedoch Universitäten. Sie senken die Temperatur in den Hörsälen auf 19 Grad, schränken die Öffnungszeiten von Bibliotheken und Arbeitsräumen ein oder wollen sogar wochenlang auf Online-Betrieb umstellen. Einige Kommunen haben bereits weitergehende Energieeinsparungen zulasten der Arbeiter*innenklasse beschlossen, wie zum Beispiel bei Schwimmbädern. Für die Privatwirtschaft gibt es keine verpflichtenden Vorgaben. Viele Unternehmen übernehmen die Vorgaben für öffentliche Betriebe oder schicken ihre Angestellten wieder ins Home Office, um Energiekosten zu sparen.
Kalte Wohnungen
Der Verband der Wohnungsunternehmen fordert, dass die Heiztemperaturen „auf eine maximale Untergrenze von 18 Grad tagsüber und 16 Grad nachts“ abgesenkt werden dürfen. Vertragliche Vereinbarungen in Mietverträgen über eine garantierte Mindesttemperatur in Wohnungen wurden durch die Ampel bereits aufgehoben. Die Wohnungskonzerne VONOVIA und LEG senken nachts die Heiztemperaturen ab. Aufgrund von Temperaturabsenkungen beim Warmwasser durch Vermieter sind bereits erste Fälle von Legionellenbefall bekannt geworden.
Energiekürzung und -verschwendung
Während auf private Haushalte und abhängig Beschäftigte Druck aufgebaut wird zu verzichten, wird weiter im Profitinteresse extrem viel Energie verschwendet. Sechzig Prozent des Gases verbrauchen industrielle Großkunden. Das Ökoinstitut hat errechnet, dass in der Industrie kurzfristig zehn Terrawattstunden Strom in den Bereichen Motoren, Beleuchtung und Prozesskälte eingespart werden könnten. Das ist so viel Strom, wie die aktuell betriebenen Braunkohlekraftwerke liefern. Durch Verzicht auf gedruckte und digitale kommerzielle Werbung, mit nachhaltiger Produktion und nachhaltigen Produkten könnte ab sofort enorm viel Energie eingespart werden, ebenso mit Nulltarif im ÖPNV und auf längere Sicht durch den Ausbau des öffentlichen Verkehrs. All das ist im Kapitalismus nicht gewollt, weil es die Profite begrenzt.
Gegenwehr ist angesagt
In Mannheim haben der Gesamtelternbeirat und die GEW Anfang Oktober zu einer Demonstration für eine qualitativ gute Bildung aufgerufen. Die Demo richtete sich explizit gegen die drohende Absenkung der Heiztemperaturen in Schulen und Kitas, gegen größere Klassen und für mehr Personal in Schulen und Kitas. Die Mieter*inneninitiativen Stuttgart kämpfen gegen eine Erhöhung von Heizkostenvorauszahlungen und die Reduzierung der Heiztemperaturen. In Betrieben, Schulen, Unis, Wohnsiedlungen sollten sich Gewerkschafter*innen, Betriebsräte, Personalräte, Studierende, Schüler*innen, Mieterinitiativen und Hausgemeinschaften gegen erzwungene Energiesparmaßnahmen zur Wehr setzen. Während Arbeitsmediziner*innen vor der Absenkungen der Heiztemperaturen am Arbeitsplatz warnen, werden sie von der Gewerkschaftsführung bislang akzeptiert. Das muss sich ändern. Gewerkschaften müssen den Kampf gegen die erzwungenen Energiesparmaßnahmen und Preiserhöhungen und für Preisdeckel anführen. Dabei sollten auch die laufenden Tarifauseinandersetzungen genutzt werden. Es ist notwendig, die Systemfrage aufzuwerfen. Die Energieproduktion und ihre Verwendung, die energieverschwendende krisenhafte Großproduktion müssen in öffentliche Hand und unter demokratische Verwaltung und Kontrolle. Dafür müssen alle Konzerne im Energiebereich und in der Produktion, sowie die Banken und Wohnungskonzerne in Gemeineigentum überführt werden. Dann kann eine erneuerbare dezentrale klima- und umweltfreundliche kostengünstige Energieproduktion aufgebaut werden, unsinnige Energieverschwendung gestoppt und sinnvoll mit Energie und allen anderen Ressourcen umgegangen werden.