Nuklearenergie ist keine (Not-)Lösung!

Ampel einigt sich auf Laufzeitverlängerung der letzten drei deutschen AKW

Die Bundesregierung greift zu einer eigentlich längst abgeschriebenen Form der Stromerzeugung – der Atomkraft. Die Energiekrise lässt sich damit nicht lösen, brandgefährlich bleibt sie trotzdem.

von Marc Hausdorf

Es ist amtlich: Die Laufzeit der letzten drei aktiven deutschen Atommeiler Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland, die eigentlich zum Ende des Jahres ablaufen sollte, wird bis zum 15. April 2023 verlängert. Der Abstimmung im Bundestag vom 11. November war eine heftige Debatte besonders innerhalb der Ampelkoalition vorausgegangen. Dass die FDP die Laufzeitverlängerung begrüßt, ja, sogar noch einen deutlich längeren Weiterbetrieb gefordert hatte, wird niemanden wundern. Die Kehrtwende der Grünen hingegen dürfte manch einen mehr überraschen – sollte sie aber nicht. Dass die Regierungspartei bereit ist, ihre vermeintlich identitätsstiftenden Grundsätze über Bord zu werfen, hat sie dieses Jahr bereits mit ihrem fanatischen Aufrüstungskurs und der Verlängerung der Kohlekraftwerke bewiesen.

Freilich, die Laufzeitverlängerung sei nur ein vorübergehender Kompromiss, um sich gegen Strommangel im Winter abzusichern. Die nukleare Energie soll einen Teil der infolge des Ukrainekriegs und der Sanktionen wegfallenden Gaslieferungen aus Russland ersetzen. Ob sie das tatsächlich in nennenswertem Umfang leisten kann, ist fraglich. Nur 15 Prozent des gesamtdeutschen Energieverbrauchs stammen aus Gasstrom. Das meiste Gas wird zum Heizen verwendet, nur zwölf Prozent werden überhaupt zur Stromerzeugung genutzt. Laut zwei unabhängiger Studien würde die Laufzeitverlängerung der drei Atommeiler den Gasverbrauch um gerade mal ein Prozent senken. Auch die viel zitierte Abhängigkeit von Russland kann Atomkraft nicht mindern – jedenfalls nicht dauerhaft. Würde die Atomlaufzeit über das genannte Datum hinaus verlängert, wie es sich die FDP und auch die Union gewünscht hatten, müssten nämlich neue Brennstäbe gekauft werden. Deren Hauptexporteur ist Russland. 

Nuklearenergie ist und bleibt Hochrisikotechnologie

Tatsächlich scheint es zurzeit unwahrscheinlich, dass wir im Winter einen Strommangel erleben werden. Die Bundesregierung selbst bezeichnet Deutschlands Stromversorgung als eine der „sichersten in Europa“ (bundesregierung.de). Sollte es aber doch zu einem Versorgungsengpass kommen, wäre das trotzdem kein Grund, auf Kernenergie zurückgreifen zu müssen. Man könnte statt an der Energieerzeugung am Energieverbrauch der Konzerne ansetzen und nicht-essenzielle Produktion (bei voller Lohnfortzahlung) herunterfahren – beispielsweise die der massiven deutschen Rüstungsindustrie. Dazu bräuchte es demokratisch gewählte Vertreter*innen der Arbeiter*innenklasse, die den Einsatz der Energieressourcen und Versorgungsprioritäten kontrollieren könnten.

Die Notwendigkeit von Kernkraft ist also nicht gegeben. Ihr Risiko hingegen schon. Die Atomenergie ist besonders gefährlich, sie unterscheidet sich von fossilen Formen der Energieerzeugung dadurch, dass sie die Lebensgrundlagen der Menschheit nicht langfristig zu zerstören droht, sondern unerwartet und schlagartig. Die Reaktorkatastrophe von Fukushima hat gezeigt, dass Unfälle mit verheerenden Folgen für Mensch und Natur auch heutzutage keineswegs ausgeschlossen sind.

Gelegentlich wird die Atomkraft aber auch als Lösung für die gestiegenen Energiepreise verkauft. So meinte Christian Dürr (FDP), jedes aktive Atomkraftwerk trage dazu bei, den Strompreis zu senken. Auch die Union plädierte für eine Verlängerung der Laufzeiten bis mindestens Ende 2024 mit dem Verweis auf die hohen Strompreise. Hinter solchen Aussagen verbirgt sich die Mär, dass ein höheres Angebot automatisch auch zu einem niedrigeren Preis führe. Tatsächlich aber bestimmt in einem kapitalistischen System immer noch die Minderheit der Besitzenden den Preis und es ist keineswegs ein Naturgesetz, dass ein höheres Angebot an Strom auch zu einem niedrigen Preis bei den Endverbraucher*innen führen wird. Dazu bräuchte es eine staatliche Obergrenze für Energiepreise – auf Kosten der Profite der Konzerne. 

Kapitalismus bietet keine Lösung für die aktuelle Krise 

Zur Entlastung der arbeitenden Bevölkerung könnten auch diejenigen herangezogen werden, die jahrelang an der Kernenergie verdient haben. Eine Studie von Greenpeace kam auf eine Gewinnsumme von einer Million Euro pro Tag, die ein Energiekonzern an einem einzigen Meiler verdient hat. Dazu kamen öffentliche Subventionen, deren Höhe vom Umweltbundesamt auf 40 bis 60 Milliarden Euro geschätzt wird, so wie eine Entschädigung für den vorzeitigen Ausstieg von 2,4 Milliarden Euro. Enorme Geldsummen also, die von der öffentlichen Hand in Privateigentum geflossen sind. Die superreichen Eigentümer*innen der Energiekonzerne könnten nun zur Kasse gebeten werden, um die nötigen Sozialausgaben zur Abfederung der Energie- und Lebensmittelkostenkrise zu finanzieren. 

Die Laufzeitverlängerung ist also eine Scheinlösung, die die Folgen der Energiekrise kaum abmildern wird und schlimmstenfalls von Union und FDP genutzt werden könnte, um eine Abkehr vom Atomausstieg einzuleiten. Die Weiternutzung dieser hochriskanten Technologie ist aber eine nicht akzeptable Gefahr für die Menschheit, die klar und grundsätzlich abgelehnt werden muss. Auch SPD und Grüne haben bewiesen, dass ihnen nicht vertraut werden kann, das zu verhindern. Die Ampelkoalition hat mit ihrer Energiepolitik die Interessen des deutschen Kapitals im Blick und nicht die günstige und nachhaltige Versorgung der Bevölkerung. Dafür bräuchte es Preisobergrenzen und muss endlich an einem schnelleren und konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien gearbeitet werden, der auch heute schon möglich ist. Finanziert werden könnte dieser unter anderem durch die Besteuerung der Milliardär*innen und Eigentümer*innen von Vattenfall, RWE und Co. Bei Energiemangel sollten demokratisch gewählte Vertreter*innen der Arbeiter*innenklasse darüber entscheiden, wie die Energie verteilt wird. Nur so kann die aktuelle Krise überwunden werden, ohne dass die Masse der Bevölkerung dafür frieren muss. Umweltverträgliche Energieerzeugung im Interesse der arbeitenden Bevölkerung ist mit dem Kapitalismus nicht zu machen. Dafür braucht es den Aufbau einer sozialistischen und demokratisch geplanten Wirtschaft, in der die Masse der Arbeiterinnen und Arbeiter demokratisch über die Erzeugung und Nutzung von Energie entscheiden kann.

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