Ausverkauf der Menschenrechte von Schutzsuchenden

Asylrechtsreform der EU tötet und schafft Sündenböcke

Derzeit sind laut UNHCR über 110 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Gewalt, Verfolgung und Hunger. Noch nie gab es in der Geschichte so viele Geflüchtete. Das passiert, während das Asylrecht immer weiter eingeschränkt wird und bürgerliche Politiker beginnen, es sogar generell in Frage stellen.  Dieser Widerspruch, das Asylrecht einzuschränken, während so viele nach Hilfe suchen, zeigt nicht nur, dass erkämpfte Rechte wieder genommen werden können, sondern auch, dass die bürgerliche Klasse keine humane Antwort auf größere Flucht- und Migrationsbewegungen hat.

Von Marcel Schütte und Julian Müller, Sol Lemgo

Die kürzliche Verschärfung im EU-Asylsystem – kurz GEAS genannt – ist der neue Höhepunkt eines lange stattfindenden Prozesses einer immer weitergehenden Aushöhlung der Rechte von Geflüchteten. Als nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und mit Beginn des Jugoslawienkriegs die Anzahl der Asylanträge stieg, entbrannte in Deutschland nicht nur eine rassistische Debatte über Geflüchtete und das Recht auf Asyl. Sie wurde von Pogromen wie in Rostock Lichtenhagen, Mölln oder Solingen begleitet. Doch anstatt den Schutz für Geflüchtete zu erhöhen, wurde bereits 1993 das Asylrecht in Deutschland zum ersten Mal eingeschränkt. Die nächsten größeren Einschränkungen folgten dann ab 2015 mit der erneuten Zunahme der Zahl an Geflüchteten.

Die Festung Europa schließt ihre letzten Pforten.

Am 8.Juni 2023 beschlossen die EU-Innenminister*innen die neuen Verschärfungen im “Gemeinsamen Europäischen Asylsystem” (GEAS). Geflüchteten drohen nun Grenzverfahren, bei denen erst einmal entschieden wird, ob der Asylantrag überhaupt inhaltlich geprüft werden muss. Bis dahin gelten Schutzsuchende als nicht in die EU eingereist. Die aktuellen Grenzverfahren dürfen nun zwölf Wochen statt wie bisher vier Wochen dauern. Mit der Option des Rechtsbehelfs kann es vorkommen, dass die Menschen bis zu vier Monaten nur für ihr Asylverfahren hinter Stacheldraht und Mauern der Außenlager außerhalb der EU festgehalten werden.

Unter Haftbedingungen sind faire Asylverfahren nicht möglich. Die Geflüchteten sind oft traumatisiert und in einem psychischen Ausnahmezustand. Für sie wirkt es wie eine direkte Bestrafung, einen Asylantrag gestellt zu haben. Unabhängige Unterstützung von NGOs sind in der Praxis kaum mehr möglich. So haben in den geschlossenen Einrichtungen Griechenlands sogar Rechtsanwält*innen nur begrenzt Zutritt. Unter solchen Bedingungen wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu falschen Ablehnungen kommen mit schweren Auswirkungen bis hin zur Abschiebung von Betroffenen. 

Insgesamt sollen für die Grenzverfahren 30.000 Plätze stets freigehalten werden. Somit wäre es möglich, mindestens 120.000 Schutzsuchende im Jahr zu inhaftieren. Laut einigen Vorschlägen sollen vor allem Menschen die Grenzverfahren durchlaufen müssen, die aus Herkunftsländern mit einer EU-weiten Anerkennungsquote unter 20 Prozent stammen. Dies wären Länder wie Pakistan, Russland, Bangladesch und Nigeria. Die Quote missachtet das individuelle Asylrecht und verkennt, dass vulnerablen Gruppen wie LGBTQ’s oder politisch Verfolgte in diesen Ländern teils schwere Repressionen drohen. Kinder werden von dieser neuen Regelung anders als von der Bundesregierung behauptet ebenfalls betroffen sein, da nur unbegleitete Minderjährige davon ausgenommen werden. Der Rest der Kinder wird mit ihren Begleitpersonen hinter Stacheldraht festgehalten. 

Die neuen Regelungen schließen zudem nicht aus, dass Asylsuchende aus Afghanistan und Syrien wieder abgeschoben werden. Kommen Geflüchtete aus diesen Ländern ohne Pass an die Außengrenze an, so stehen die Chancen auf Asyl gleich Null. Die Mitgliedstaaten können zudem ihr Grenzverfahren im Kontext der sogenannten “Drittstaaten-Regelungen” zusätzlich verschärfen. Wenn Menschen aus Afghanistan oder Syrien über die Türkei fliehen, können sie mit sehr einfachen Maßnahmen in die Türkei abgeschoben werden, da Griechenland die Türkei als sicheres Herkunftsland einstuft. In dem Kontext ist es wichtig zu betonen, dass Herkunftsstaaten nun nicht mehr als Ganzes sicher sein müssen, sondern bereits die Einstufung von Teilgebieten eines Landes als vermeintlich “sicher” ausreicht. So soll die Kategorisierung in angeblich “sichere” Drittstaaten ausgeweitet werden. 

Gemeinsam für soziale Verbesserungen

Bürgerliche Politiker wie Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sprechen in diesem Kontext von “Entlastungen” für die Kommunen und zeigen damit die zynische und menschenfeindliche Zielsetzung der von der Ampel-Koalition unterstützten Verschärfungen auf. In der Bevölkerung werden bewusst Vorbehalte geschürt mit der Argumentation, dass die zunehmende Aufnahme von Geflüchteten soziale Probleme verschärfen, um so davon abzulenken, dass pro-kapitalistische Politiker*innen mit ihrer Kürzungs- und Sparpolitik bei gleichzeitiger Sicherung der Profite der Banken und Konzerne für die Misere verantwortlich sind.

Denn faktisch gäbe es auch unter heutigen kapitalistischen Bedingungen genug Mittel in Europa, um die bisher angekommenen Geflüchteten vernünftig aufnehmen zu können, ohne dass es zu sozialen Problemen führen müsste. So stehen Hunderttausende Wohnungen allein in Deutschland aus Spekulationsgründen leer, die sofort bewohnt werden könnten. Und auch die Überlastung der Kommunen, Geflüchtete adäquat unterzubringen und ausreichend Schul- und Kitaplätze für alle zur Verfügung zu stellen, ist vor allem Folge der jahrzehntelangen Spar- und Kürzungspolitik der Bundesregierung. Um diese sozialen Missstände zu beheben, bräuchte es statt rassistischer Spaltung und gegenseitigen Ausspielen einen geeinten Kampf von Arbeiter*innen über die Grenzen der Herkunft hinweg für soziale Verbesserungen für Alle, finanziert durch die Profite der Banken und Konzerne.

Fluchtursachen beseitigen – Kapitalismus abschaffen

Mit der Verschärfung der Asylgesetzgebung werden die Ursachen für die immer weiter zunehmenden Fluchtbewegungen nicht bekämpft, nämlich die sich zuspitzendende multiple Krise des Kapitalismus, die wir in verschiedenen Facetten sehen: die ökologische Krise in Form des Klimawandels, welche immer größere Teile der Welt faktisch unbewohnbar macht; Die Zunahme imperialistischer Spannungen und Kriege und nicht zuletzt die Verschärfung der Wirtschaftskrisen einhergehend mit Inflation und Zinssatzerhöhungen, die in vielen Ländern der neokolonialen Welt die Gefahr von Finanz- und Hungerskrisen befördert. 

All diese Krisen sind der Nährboden, auf dem Flucht immer weiter zunimmt. Die Verschärfungen des Asylrechts sind jedoch Beleg, dass die Herrschenden weder willens noch in der Lage sind, diese Krisen innerhalb des kapitalistischen Systems aufzulösen. Die EU kann noch so hohe Zäune bauen und das Asylrecht weiter aushöhlen – an der Entwicklung, dass immer mehr Menschen gezwungen sind aus ihrer Heimat aufgrund von Bürgerkrieg, Klimawandel, Hungersnöten und Verfolgung Richtung Europa zu fliehen, wird es nichts ändern.

Wer die vielen Ursachen für die Zunahme an Fluchtbewegungen tatsächlich eindämmen möchte, muss somit an der zentralen Fluchtursache Kapitalismus ansetzen. Auf der Grundlage von internationaler Solidarität und gemeinsamer Gegenwehr gegen die wahren Verursacher*innen der Missstände ist es möglich, eine Alternative zu schaffen. Eine Welt ohne Kriege, Umweltzerstörung und Ausbeutung; eine Föderation sozialistischer Länder, in denen nicht die Bosse der weltweit größten 500 Konzerne und Banken das Sagen haben und miteinander konkurrieren, sondern wo die Masse der arbeitenden Menschen demokratisch und in Einklang mit der Umwelt und in gegenseitigem Austausch friedlich miteinander leben. Damit könnten ein für allemal die heutigen Fluchtursachen beseitigt werden. Wo durch Naturkatastrophen oder die Folgen der jetzigen Klimaerwärmung nötig wäre, dass Menschen in andere Gebiete umsiedeln, würden sie nicht daran gehindert, sondern mit offenen Armen empfangen. Es wird Zeit für eine solche grundlegende Veränderung der Gesellschaft – für eine weltweite sozialistische Demokratie.

Wir als Sozialistische Organisation Solidarität fordern daher:

Kein Mensch ist illegal!

  • Gleiche Rechte für Alle, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben – gegen jede Form von Diskriminierung auf Grund von Nationalität, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, Behinderung oder sexueller Orientierung
  • Herstellung eines wirklichen Asylrechts: Grundrecht auf Asyl, wenn Leib und Leben aufgrund von politischer und gewerkschaftlicher Betätigung, nationaler, religiöser oder ethnischer Zugehörigkeit, sexueller Orientierung, Geschlecht, Krieg, Umweltzerstörung und sozialer Not, durch staatliche und nichtstaatliche Verfolgung gefährdet sind
  • Nein zu Abschiebungen! Bleiberecht für Alle – Schließung von Abschiebegefängnissen
  • Nein zur Festung Europa! Frontex abschaffen, Grenzzäune an den Außengrenzen einreißen, Aufhebung des “Sichere Herkunftsländer”- Status
  • * Für sichere und legale Einreisemöglichkeiten für AsylbewerberInnen in die EU und nach Deutschland – Aufhebung der Visumpflicht für Geflüchtete
  • Gegen staatlichen Rassismus und Diskriminierung aufgrund von Nationalität, Hautfarbe, Religionszugehörigkeit, zum Beispiel durch “racial profiling”, Benachteiligung auf dem Arbeits- oder Wohnungsmarkt
  • Rücknahme der diversen „Anti-Terror“- und Polizeiaufgaben-Gesetze. Auflösung von Polizei-Sondereinheiten. Demokratische Kontrolle der Polizei durch aus der arbeitenden Bevölkerung und Gewerkschaften gewählte Komitees.

Fluchtursachen konsequent bekämpfen!

  • Verbot von Rüstungsexporten, Exportkontrollen durch demokratisch gewählte Komitees der Beschäftigten an Flug- und Seehäfen, sowie Verladestationen
  • Überführung der Rüstungsindustrie in demokratisches, öffentliches Eigentum, Umwandlung auf zivile Produktion bei Arbeitsplatzgarantie
  • Abzug aller Bundeswehrsoldaten von den aktuell laufenden Auslandseinsätzen
  • Deutschland raus aus der NATO! 
  • Bundeswehr abschaffen und Material sowie Personal dem zivilen Katastrophenschutz und der Industrie übergeben
  • Schluss mit der wirtschaftlichen Ausbeutung anderer Länder, Schluss mit Freihandelsabkommen, Deregulierung, Privatisierung, “Strukturanpassungsprogrammen” von IWF, Weltbank, EZB
  • Überführung der großen Banken und Konzerne in öffentliches Eigentum bei demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung
  • Demokratische Planung und Kooperation statt Konkurrenz und Produktion für den Profit
  • Für sozialistische Demokratie weltweit
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