Bei der Urabstimmung mit Nein stimmen – Für kämpferische Gewerkschaften vernetzen
Nachdem vieles auf eine noch längere Tarifauseinandersetzung bei der Deutschen Bahn (DB) hingedeutet hatte, gaben die Vorstände der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und der DB am 25. März 2024 bekannt, eine Einigung für die unter dem GDL-Tarifvertrag fallenden 18 DB-Betriebe erreicht zu haben. Die InfraGo bleibt dabei weiterhin außen vor. Nach einer Woche Geheimverhandlungen zwischen den Spitzen der GDL und der DB, also ohne die Gewerkschaftsmitglieder und Streikleitung einzubeziehen oder gar über Zwischenstände zu informieren, wurde ein Ergebnis erzielt, welches Licht und viel Schatten aufweist.
Von Ronald Luther, Bahnbeschäftigter und EVG-Mitglied, Berlin
Eine der Kernforderungen der GDL wurde erfüllt, wenn auch über einen Zeitraum von fünf Jahren. So soll die Wochenarbeitszeit für im Schicht- und Wechseldienst arbeitendes Zugpersonal vom 01. Januar 2026 bis 2029 schrittweise von derzeit 38 auf 35 Stunden und für alle anderen im Schicht- und Wechseldienst arbeitenden Eisenbahner*innen von 39 Stunden auf 36 Stunden ohne Lohnverlust abgesenkt werden. Zukünftig wird es für sie außerdem eine Fünf-Tage-Woche geben und die jeweils maßgebliche Referenzarbeitszeit soll von 2026 bis 2029 um drei Stunden für Schichtarbeiter*innen ohne Lohnverlust sinken. Dieses Ergebnis zeigt, dass mit entschlossenem Kampf eine umfassende Reduzierung der Arbeitszeit erreicht werden kann. Diese Erkenntnis wird in Zukunft hoffentlich auch in anderen Gewerkschaften Schule machen.
Arbeitszeit bei Wunsch verkürzt, Urlaub geopfert!
Leider fällt ein großer Schatten auf die erreichte Arbeitszeitverkürzung. So erfolgt nur die erste „Stufe“ automatisch, ab 2027 sollen die Mitarbeiter*innen selber entscheiden, ob sie ihre Arbeitszeit verkürzen oder länger arbeiten wollen. Um die Mehrarbeit schmackhaft zu machen, sollen die Mitarbeiter*innen für jede Stunde Mehrarbeit 2,7 Prozent mehr Bruttolohn erhalten, sodass bei einer Wahl der maximal möglichen 40-Stunden-Woche insgesamt 14 Prozent mehr Bruttolohn möglich wären. Es ist absehbar, dass wegen der Personalknappheit der Druck auf die Kolleg*innen groß sein wird, länger zu arbeiten. Damit verstärkt die GDL außerdem die auch von der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) vorangetriebene Zersplitterung unter den Kolleg*innen und Unübersichtlichkeit in der Tariflandschaft der Bahnbranche. Für die Arbeitszeitverkürzung werden außerdem ab dem 01. Januar 2026 sechs Tage Urlaub aus dem bisherigen 12-Tage-Urlaubswahlmodell geopfert. Bisher konnten alle Mitarbeiter*innen zusätzlich sechs Tage mehr Urlaub für eine Stunde Mehrarbeit je Woche und weitere sechs Tage mehr Urlaub gegen Kürzung des Entgelts um 2,6 Prozent erhalten. Ab 01. Januar 2026 können sie nur noch Letzteres erhalten. Dabei wäre es richtig gewesen, die 12 Tage mehr Urlaub zu verteidigen, aber ohne in Zukunft die Mehrarbeit und/oder Lohnverlust zu akzeptieren. Laut DB hatten 42 Prozent der GDLer*innen beide Optionen gewählt gehabt. Dementsprechend sind viele GDL-Kolleg*innen sauer über das Ergebnis, sodass GDL-Chef Claus Weselsky am 11. April 2024 noch mal ein Statement zur Verteidigung des Tarifergebnisses nach schieben musste. Der Arbeitszeittarifvertrag läuft bis zum 31. Dezember 2028.
Reallohnverlust
Beim Entgelt sieht es traurig aus. In der Summe erhöht sich dieses um 420 Euro brutto, wobei der erste Erhöhungsschritt mit 210 Euro am 1. August 2024 und der zweite mit 210 Euro am 1. April 2025 erfolgt. Die Auszubildenden erhalten jeweils die Hälfte. Ursprünglich hatte die GDL eine allgemeine Entgelterhöhung von 555 Euro (bei Azubis von mindestens 324 Euro) bei einer Laufzeit des Entgelttarifvertrages von maximal 12 Monaten gefordert. Stattdessen hat die Gewerkschaft gerade mal eine Entgelterhöhung von knapp 194 Euro (Azubis die Hälfte) auf zwölf Monate umgerechnet erzielt. Im Mai 2024 wird es außerdem eine weitere steuerfreie Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 1350 Euro geben, nachdem bereits im März 2024 eine Auszahlung von 1500 Euro erfolgt war. Mit einer Inflationsausgleichsprämie von insgesamt 2850 Euro wurde damit die von der GDL geforderte Summe von 3000 Euro nicht ganz erreicht. Teilzeitbeschäftigte erhalten außerdem nur einen anteiligen Betrag, obwohl ursprünglich eine Inflationsausgleichsprämie für Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte gleichermaßen gefordert worden war. Die Auszubildenden bekommen eine Inflationsausgleichsprämie von insgesamt 1425 Euro.
Für den Zeitraum vom Ende des alten Tarifvertrages am 31. Oktober 2023 bis zur ersten Lohnerhöhung am 01. August 2024 gibt es außerdem eine neunmonatige Nullrunde! Auch bei den Zulagen für Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit hat die GDL wenig erreicht. Diese werden nur um vier Prozent am 01. August 2024 und weitere vier Prozent am 01. April 2025, also um insgesamt acht Prozent erhöht. Ursprünglich hatte die GDL eine Erhöhung der Zulagen für Schichtarbeit um insgesamt 25 Prozent gefordert. Weiterhin wurde vereinbart, dass die Wasch- und Umkleidezeiten zukünftig pauschal mit sechs Euro je Schicht beziehungsweise fünfzig Euro im Monat abgegolten werden. Die besondere Teilzeit im Alter gilt weiterhin, aber das Mindestalter wird schrittweise auf 62 Lebensjahre erhöht. Außerdem wird das Deutschland-Ticket mit 12,50 Euro bezuschusst.
Faule Vereinbarungen
Der Entgelttarifvertrag läuft 26 Monate und endet am 31. Oktober 2025. Danach ist eine Friedenspflicht bis Ende Februar 2026 mit dem Ziel vereinbart, durch Verhandlungen ohne Streiks zu einem Ergebnis zu kommen. Sollte keins erzielt werden, dann soll eine Schlichtung eingeleitet werden. Über den Inhalt der Schlichtungsmodalitäten ist bisher nichts bekannt. Die Erfahrung hat jedenfalls gezeigt, dass Schlichtersprüche immer Kompromisse zulasten der Kolleg*innen sind. Gleichzeitig wächst der öffentliche Druck zur Annahme dessen enorm und die Aufnahme von Streiks nach der Schlichtung wird dadurch stark erschwert.
Claus Weselsky musste in der Pressekonferenz, bei der er das Ergebnis bei der DB verkündete, zugeben, dass in den anderen 29 Eisenbahnverkehrsunternehmen mehr erreicht worden ist und diese Ergebnisse nun in Frage stehen. Dabei verkündet er, dass es tatsächlich eine entsprechende Klausel in deren Tarifverträgen gibt. So müssten die Ergebnisse neu verhandelt werden können, wenn das Ergebnis bei der DB schlechter ausfällt: „Und ja, wir haben eine Klausel in den Tarifverträgen, die uns die Möglichkeit einräumt, diese Unternehmungen auch mit einer veränderten Arbeitszeittreppe im Wege von Verhandlungen teilhaben zu lassen. Wir sind die Garanten dafür, dass kein Wettbewerb über die Lohnkosten und über Arbeitszeiten erfolgt und deswegen kommen wir unserer Verpflichtung nach und bieten den Unternehmen, deren Einstieg bereits am 01.01.25 ist, mit einer halben Stunde, auch an, die Arbeitszeitabsenkungen zu verändern. Das gehört zu unserem Geschäft, das liegt in unserer Verantwortung und das machen wir im vollem Bewusstsein.“ Auf die nun ebenfalls in Frage stehenden Abschlüsse bei NETINERA und Go-Ahead gehen wir hier näher ein: https://solidaritaet.info/2024/01/gdl-abschluesse-bei-netinera-und-go-ahead-kein-ruhmesblatt/
Es war mehr drin
Klar ist, dass die GDL mit einen unbefristeten Streik mehr erreicht hätte. Deren Mitglieder hatten in der Urabstimmung mit 97 Prozent für einen unbefristeten Streik zur Durchsetzung der ursprünglichen Forderungen gestimmt. Die Deutsche Bahn ist das größte Eisenbahnverkehrsunternehmen in Deutschland, welches es sich leisten kann, ihren Vorstandsmitgliedern Millionen Euro an Gehältern und Boni auszuzahlen, sowie Milliarden an Euro für Prestigeobjekte wie Stuttgart 21 zu verschleudern. Es gibt daher keinen Grund, ein solches Ergebnis zu akzeptieren! Deshalb sollten die GDL-Mitglieder bei der bis zum 24. April 2024 laufenden Urabstimmung über Annahme oder Ablehnung des Ergebnisses mit Nein stimmen! Allerdings müssen mehr als 75 Prozent gegen den Abschluss stimmen, was schwer zu erreichen sein wird. Viele Kolleg*innen werden sich außerdem fragen, wer den Streik organisieren soll, wenn die GDL-Führung den Abschluss mit solch Vehemenz verteidigt. Es ist aber auch wichtig, ein Zeichen zu setzen, so wie es die EVG-Mitgliedschaft in ihrer Urabstimmung tat,als 48 Prozent gegen die Annahme stimmten.
Deutlich geworden ist, dass wir transparente und demokratische Gewerkschaften brauchen, wo Entscheidungen unter Einbeziehung der betroffenen Kolleg*innen gemeinsam gefällt werden. Dies könnte während Streiks durch Streikversammlungen und Streikdelegiertenkonferenzen auf lokaler und Bundesebene gelingen. Diese Delegiertenkonferenzen sollten dann über jeden Schritt im Arbeitskampf entscheiden können und auch darüber, ob ein Angebot so gut ist, dass es in die Belegschaften zurück gekoppelt werden sollte. Dann sollten Abstimmungen in den Betrieben stattfinden, bevor es angenommen wird.
Aktiv werden und vernetzen!
Es ist nötig, dass wir uns vernetzen, um einen anderen Kurs unserer Gewerkschaften zu erreichen. Bei der Bahn beschäftigte Sol-Mitglieder sind aktiv in der Bahnvernetzung von kämpferischen EVG- und GDL-Kolleg*innen. Diese trifft sich jeden ersten Mittwoch im Monat in Berlin und/oder online. Infos auf: www.bahnvernetzung.de .