9. Juni – Kommunalwahlen in Baden-Württemberg

Die Linke wählen – In Stuttgart drei Stimmen für Ursel Beck

In Stuttgart – Bad Cannstatt sind Sol-Mitglieder seit Jahrzehnten in der Linken aktiv und auch dieses Jahr kandidiert unsere Genossin Ursel Beck für den Gemeinderat

von Wolfram Klein, Sol Stuttgart

In Baden-Württemberg sind am 9. Juni neben den Europawahlen auch Kommunalwahlen. Wählende können einzelnen Kandidierenden bis zu drei Stimmen geben (kumulieren) und gleichzeitig Kandidierende von verschiedenen konkurrierenden Listen ankreuzen (panaschieren). Dabei müssen sie aber darauf achten, dass die Gesamtzahl der vergebenen Stimmen nicht die Zahl der bei der betreffenden Wahl zu vergebenen Sitze übersteigt (bei den Kommunalwahlen in Stuttgart z.B. sind es 60). Werden mehr Stimmen vergeben, sind alle Stimmen ungültig, werden weniger vergeben, sind Stimmen verschenkt.

Die Zahl der zur Wahl antretenden Listen hat in Baden Württemberg einen neuen Rekord erreicht. In Stuttgart treten 18 Listen zur Wahl an. Natürlich wäre es ein Unding, dieses komplizierte Verfahren in der Wahlkabine zu absolvieren, weshalb nicht nur die Wahlbenachrichtigungen, sondern auch die Stimmzettel (in kreisfreien Städten für die Gemeinderäte, in den anderen Städten für die Gemeinderäte und Kreistage – für die das gleiche Wahlsystem gilt -, in der Region Stuttgart auch für das Regionalparlament) nach Hause geschickt werden.

Bad Cannstatt

Mitglieder der Sol (bzw. bis 2019 der SAV) sind seit Jahrzehnten im Stuttgarter Stadtteil Bad Cannstatt aktiv und seit der Gründung der WASG und ihrer Vereinigung mit der PDS zur Partei Die Linke im Ortsverband Bad Cannstatt (seit einigen Jahren Bad Cannstatt – Mühlhausen – Münster) aktiv. Der Ortsverband stand von Anfang an auf dem linken Flügel der Partei. Außer uns waren bzw. sind weitere Ortsverbandsvorstands-Mitglieder in der Antikapitalistischen Linken (AKL) oder Kommunistischen Plattform innerhalb der LINKEN aktiv, was dazu beiträgt, dass unsere Initiativen sehr häufig umgesetzt werden. Unsere Genossin Ursel Beck war regelmäßig Gemeinderats- und auch schon Landtagskandidatin. Bei der Landtagswahl 2021 (in Baden-Württemberg ist das eine Personenwahl) hat sie mehr Prozente und mehr Stimmen bekommen als der damalige Linke-Parteivorsitzende Bernd Riexinger 2016 im selben Wahlkreis. Bei den aktuellen Kommunalwahlen kandidiert Ursel Beck auf Platz acht auf der Liste der Linken. Sie ist Mitglied im Vorstand des Ortsverbands der Partei Die Linke und Mitbegründerin der Mieterinitiativen Stuttgart und auch hier im Vorstand. Ein weiteres sehr aktives jüngeres Mitglied der Linken aus unserem Ortsverband kandidiert ebenfalls vorne auf der Liste auf Platz fünf.

Wahlkampfmaterial

Der Ortsverband hat sich bereits im Vorfeld in die Programmdiskussion eingebracht. Beim Landesparteitag hatten wir Änderungsanträge für radikalere Forderungen zu den kommunalpolitischen Eckpunkten des Landesverbands, von denen mehrere auch angenommen wurden. So zum Beispiel die Forderung nach Nulltarif im öffentlichen Verkehr.

Leider hat es der Kreisverband Stuttgart diesmal zum ersten Mal abgelehnt, ein Kommunalwahlprogramm zu erstellen und beschränkt sich auf ein „atmendes Programm“. Angesichts dessen haben Ursel Beck und andere im Mietenbereich aktive Linke-Genoss*innen ein Teil-Programm zur Wohnungs- und Mietenfrage (siehe unten) erarbeitet, das mit geringfügigen Änderungen auch angenommen wurde.

Auf ihrem Kandidierendenflyer (den alle Kandidierenden auf den zehn vorderen Plätzen haben) schreibt Ursel Beck unter anderem:

„Der Kapitalismus treibt die Menschheit in den Abgrund: Kriege, Klimakatastrophe, Hunger… Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer.

Die 4.300 reichsten Haushalte in Deutschland hatten Ende 2023 ein Vermögen von 1,4 Billionen Euro. Gleichzeitig sind immer mehr Menschen arm. Im Stuttgarter Gemeinderat betreiben die Parteien von Grünen bis zur AfD Umverteilungspolitik zugunsten der Reichen.

Gegen den kapitalistischen Wahnsinn bin ich aktiv mit dem Ziel, den Kapitalismus abzuschaffen und eine sozialistische Demokratie zu erkämpfen.“

Aber selbstverständlich betreiben wir in unserem Material nicht abstrakte antikapitalistische Propaganda. In den kommunalpolitischen Eckpunkten des Landesverbands heißt es auf unseren Antrag:

„Das kapitalistische System mit seiner Profitlogik ist direkte oder indirekte Ursache der vielfältigen Krisen. Deshalb verbinden wir den Kampf gegen Verschlechterungen und für konkrete Verbesserungen mit der Perspektive der Überwindung des Systems und machen diese Verbindung in unserer täglichen Arbeit deutlich.“

Diesem Anspruch versuchen wir in unserem Material gerecht zu werden.

Kampf gegen Mieterhöhung

Beim Thema Mieten können wir im Bereich der städtischen Wohnungsbaugesellschaft zeigen, wie sich parlamentarische und außerparlamentarische Arbeit, Wahlkampf und gesellschaftliche Proteste miteinander verbinden lassen. Die Linke-Gemeinderätin (und jetzige Spitzenkandidatin) Johanna Tiarks brachte in Zusammenarbeit mit den Mieterinitiativen einen Antrag ein, die Kaltmieten in den Wohnungen der städtischen Wohnungsbaugesellschaft SWSG angesichts des SWSG-Überschusses von zwölf Millionen Euro 2023 um ein Euro pro Quadratmeter zu senken und auf die für 2025 geplante Mieterhöhung zu verzichten. Im zuständigen Ausschuss stimmte im Mai nur sie für die Mietsenkung, die Mehrheit, einschließlich der Grünen lehnte auch einen Verzicht auf die Mieterhöhung ab. Die Linke reagierte darauf Ende Mai mit einem Extra-Flyer (siehe unten) mit einer Auflage von 10.000 für die SWSG-Mieter*innen und macht gezielt Hausbesuche und Briefkastenverteilungen bei den Mieter*innen der SWSG, wodurch der Wahlkampf mit einer Kampagne zur Verhinderung der Mieterhöhung nach den Wahlen verbunden werden soll.

Gegen den Abriss-Neubau der Schleyerhalle

Ein Schwerpunkt des Ortsverbands seit Sommer 2023 war die Kampagne gegen den Abriss-Neubau der Schleyerhalle. Dieses Prestigeprojekt soll nach bisherigen Planungen 612 Millionen Euro kosten (aber erfahrungsgemäß explodieren solche Kosten), die anderswo fehlen und wäre auch in Zeiten des Klimawandels ökologisch unverantwortlich. Entgegen der ursprünglichen Planung wurde das Projekt nicht in den Doppelhaushalt 2024/25 aufgenommen. Möglicherweise hat unsere Kampagne dazu geführt, dass bewusst entschieden wurde das Thema aus dem Kommunalwahlkampf rauszuhalten, zumal sich nach unserer Initiative auch die Architects for Future und andere gegen den Abriss-Neubau ausgesprochen haben. Wir rechnen aber damit, dass das Thema nach den Wahlen wieder auf den Tisch kommt, möglicherweise mit einem Nachtragshaushalt … und dass Parteien, die sich jetzt im Wahlkampf im Wahl-O-Mat als neutral positioniert haben (wie SPD oder Grüne), dann plötzlich wieder dafür sein werden. Natürlich machen wir bei dem Versuch, das Thema aus dem Wahlkampf herauszuhalten, nicht mit. Wir haben auch an unseren Wahlkampfinfotischen die Unterschriftenliste gegen den Abriss-Neubau, das Banner und die Flugblätter zu diesem Thema und haben ein eigenen Wahlplakat dazu gemacht. Wir wollen, dass die Schleyer-Halle als Gebäude bleibt. Und die dafür vorgesehenen kommunalen Mittel dorthin fließen, wo sie dringend gebraucht werden: Kitas, Schulen, Krankenhäuser, Bau von städtischen Wohnungen mit niedrigen Mieten… Wir sind dafür, dass die Schleyerhalle nicht länger nach einem NSDAP-Mitglied und SS-Untersturmführer benannt wird, sondern den Namen Fritz-Bauer-Halle bekommt, nach dem Stuttgarter Nazi-Gegner, der nach dem Krieg als Jurist seine Aufgabe darin sah eine demokratische Justiz aufzubauen und NS-Verbrecher konsequent strafrechtlich zu verfolgen.

Kampf gegen rechts

Ein weiteres Thema ist der Kampf gegen rechts. Selbstverständlich sind wir beim Gegenprotest präsent, wenn die AfD im Cannstatter Kursaal oder anderswo Veranstaltungen macht. Aber weil das nicht ausreicht, haben wir ein Extra-Faltblatt „Warum die AfD nicht die Partei der kleinen Leute ist“ (siehe unten) erstellt, in dem wir Positionen der AfD und der LINKEN zu den Themen Wohnen, Rente, Arbeit/Löhne/Bürgergeld und Frauen gegenüberstellen und das Abstimmungsverhalten der AfD und der LINKEN im Gemeinderat zu einigen Fragen dokumentieren. Dieses Faltblatt wollen wir bei Aktionen gegen die AfD und gezielt in Wahlbezirken mit hohem AfD-Wähler*innenanteil verteilen. Natürlich macht keine Partei von Grünen bis CDU etwas derartiges. Sie müssten ja schreiben: „Warum die AfD nicht die Partei der kleinen Leute ist … wir aber auch nicht“. Stattdessen versucht die CDU, die AfD zu „bekämpfen“, indem sie sich auf ihren Wahlplakaten rechtspopulistisch positioniert, während die AfD immer deutlicher rassistisch auftritt. Das Plakat des Kandidaten Rosspacher (auf dem leider aussichtsreichen Listenplatz drei) „Schnelle Remigration schafft Wohnraum“ machte bundesweit Schlagzeilen. Und gegen Linke-Mitglieder wird gehetzt, insbesondere Luigi Pantisano, auf Platz zwei der Liste der LINKEN, der sich immer wieder deutlich gegen rechtsaußen positioniert hat, ist wiederholt ins Visier rechter Hetze geraten, bis hin zu Morddrohungen.

Außerdem haben wir als Ortsverband ein eigenes Faltblatt (siehe unten) mit unseren radikaleren Positionen zur Kommunal- und Europawahl erstellt. Zugleich haben wir auch das gemeinsame Wahlkampfmaterial des Kreisverbandes mit verteilt.

Veranstaltungen

Wir haben verschiedene Veranstaltungsformate angeboten: wir haben eine inhaltliche Veranstaltung zum Thema „Wie stoppen wir das Verkehrschaos auf Straßen und Schienen“ gemacht. Bei einem „politischen Kino“ im Bezirksrathaus Anfang Mai haben wir zwei Filme gezeigt, einen zur Portugiesischen Revolution 1974 und einen Film zumKrankenhausstreik in Nordrhein-Westfalen 2022. Schließlich haben wir ein kostenloses politisches Frühstück organisiert. Wir können sagen, dass alle diese Veranstaltungen bei den Beteiligten gut angekommen sind. Die Kehrseite ist, dass die Teilnehmer*innenzahlen uns nicht zufriedenstellen konnten. Das lag teils daran, dass wir uns etwas viel vorgenommen hatten und deshalb Material erst spät fertig war. Dazu kam, dass die Druckereien in Wahlkampf anscheinend so überlastet sind, dass sie ihre Liefertermine nicht einhalten. Wir hatten auch fest damit gerechnet, Eindruckplakate zu haben, mit denen wir sowohl zu Veranstaltungen mobilisieren als auch kurzfristig Slogans und Forderungen zu konkreten Themen aufgreifen können. Leider hat der Kreisvorstand unseren Vorschlag solche Plakate für den Wahlkampf in Auftrag zu geben, nicht umgesetzt.

Nach den Erfahrungen von anderen Veranstaltungen ist es in diesem Wahlkampf aber generell schwer, Menschen zu Veranstaltungen zu bekommen. Dagegen erleben wir häufig eine gute Resonanz bei den Wahlkampf-Infotischen und bei Hausbesuchen.

Aber selbstverständlich versuchen wir auch andere Veranstaltungen, die wir organisieren oder an denen wir teilnehmen, mit dem Wahlkampf zu verbinden. So haben die Mieterinitiativen am 2. Juni die Stuttgart-Premiere des Films „Sold City“ organisiert, bei der in der anschließenden kurzen Diskussion sowohl Ursel Beck als auch Johanna Tiarks für eine andere Wohnungspolitik eingetreten sind und Ursel Beck auch unter großem Beifall die Notwendigkeit erklärt hat, den Kapitalismus (und nicht nur, wie es in dem Film rüberkommt, das Privateigentum an Grund und Boden) zu überwinden.

Unser Ortsverband hat im Wahlkampf einige Mitglieder gewonnen und an unseren Infoständen und bei Veranstaltungen haben sich einige in Listen für unseren Mail-Verteiler eingetragen. Auch versichern bei den Infoständen einige Passant*innen, sie würden Die Linke wählen oder hätten sie per Briefwahl schon gewählt.

Aussichten

Natürlich können wir nicht vorhersehen, wie die Wahlen ausgehen werden. Sicher wird sich der bundesweite Zustand der Partei Die Linke negativ auf lokale Wahlergebnisse auswirken. Inwieweit der im Vergleich dazu bessere Zustand der Linken Stuttgart dem entgegenwirken kann, ist unsicher. Hinzu kommt, dass auf zwei konkurrierende Wahllisten, darunter der Klimaliste, ehemalige linke Stadträt*innen, die einen gewissen Bekanntheitsgrad haben, auf Platz eins bzw. zwei stehen. Wir können sagen, dass die Wahlplakate der Linken dieses Jahr die besten von allen Stuttgarter Listen sind. Die Themenplakate haben meist klare Aussagen, die auch deutlich lesbar sind und nicht in Layout-Schnickschnack untergehen. Dass diesmal auf Wahlplakaten der Partei Die Linke Nulltarif gefordert wird, bedeutet, dass der linke Flügel in der Stuttgarter Partei einen innerparteilichen Kampf nach fast zwanzig Jahren endlich gewonnen haben. Wenn Die Linke in Wahlkämpfen immer solche Plakate gehabt hätte, stünde sie jetzt besser da.

Insgesamt können wir sagen, dass es in der Stuttgarter Linken eine Reihe von neuen, engagierten, oft jungen Menschen gibt. Auf der anderen Seite sind langjährige Mitglieder ausgetreten oder haben sich zurückgezogen. Es gibt ein deutliches Ungleichgewicht zwischen einem erfreulichen Engagement auf der einen Seite und einem teilweise verwässerten politischen Profil und der Schwächung demokratischer Strukturen der Partei zugunsten von Aktiventreffen und informellen Strukturen auf der anderen Seite. Wenn diese Schieflage nicht behoben wird, wird sie früher oder später zu Problemen führen.

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