Widerstand gegen drohende Kürzungen und Angriffe weiter nötig
Am 5. Juli verkündeten Scholz, Lindner und Habeck eine Einigung im Haushaltsstreit und damit den Fortbestand der Ampelkoalition. Auf wundersame Weise wurde scheinbar erreicht, dass sowohl die Schuldenbremse eingehalten, es aber auch keinen Kürzungshaushalt mit Einsparungen im Sozialressort und anderen umstrittenen Bereichen geben wird. Wie ist das möglich und bedeutet das nun Entwarnung?
von Katja Sonntag, Gewerkschaftssekretärin* in Münster und Sascha Staničić, Sol-Bundessprecher
Im Vorfeld der Einigung war von einem Kürzungsvolumen von circa 22 Milliarden Euro die Rede; jetzt fällt der Bundeshaushalt acht Milliarden Euro kleiner aus als der des letzten Jahres. Es wird also gekürzt, nur nicht so viel wie zuerst befürchtet.
Tricks
Das ist im Wesentlichen durch drei Maßnahmen (oder besser gesagt: Tricks) möglich: Es werden (bei Einhaltung der Schuldenbremse) mehr Kredite aufgenommen als ursprünglich vorgesehen; Zinskosten für Staatsanleihen werden zukünftig anders berechnet (und die Zahlung gestreckt) und 16 Milliarden Euro werden als “globale Minderausgabe” eingeplant, es wird also darauf spekuliert, dass diese gar nicht ausgegeben werden. Damit erkauft sich die Koalition Zeit.
Dass der Streit über den Haushalt und insbesondere den Umgang mit der Schuldenbremse jederzeit wieder aufflammen kann, machte SPD-Fraktionschef Mützenich deutlich, der betonte, die Einigung der Regierungsspitze sei noch keine finale Entscheidung.
Tatsächlich haben die drei Herren der Ampel den Konflikt nur in die Zukunft verschoben. Es spricht viel dafür, dass der Haushaltsstreit nach dem zu erwartenden Desaster für die Ampel-Parteien bei den ostdeutschen Landtagswahlen im September zur Projektionsfläche für einen immer wahrscheinlicher werdenden Bruch des Regierungsbündnisses wird.
Keine Entwarnung
Vor allem darf es keine Entwarnung geben. Erstens ist völlig offen, ob es letztlich “nur” acht Milliarden Euro Kürzungen oder doch über zwanzig Milliarden werden. Neben den schon genannten Faktoren hängt das auch davon ab, wie sich die – schwächelnde – Wirtschaft und damit die Steuereinnahmen entwickeln. Zweitens sind Kürzungen des Bundeshaushalts nicht die einzige Form, in der es Angriffe auf die Rechte und den Lebensstandard der Arbeiter*innenklasse geben kann und wird. Da sind zum einen die Landes- und kommunalen Haushalte, in denen in vielen Fällen ebenfalls Kürzungen anstehen. Drittens ist dieser Haushalt schlimm genug: Rüstungsausgaben werden erhöht, mehr Druck auf Bürgergeld-Beziehende, Steuervergünstigungen für Unternehmen, das Kindergeld wird nur um lächerliche fünf Euro erhöht…
Des Weiteren ist unter anderem mit einer Erhöhung der Krankenkassenbeiträge zu rechnen, will die FDP die Axt an das Streikrecht anlegen und gibt es viele weitere Forderungen der Kapitalist*innenklasse, die uns bedrohen: weitere Flexibilisierungen der Arbeitszeiten, weitere Verschlechterungen im Rentensystem, Senkung von Unternehmenssteuern usw.
Was wäre nötig?
Und wir sollten auch nicht vergessen: Es darf nicht nur darum gehen, Kürzungen zu verhindern. Wir brauchen dringend milliardenschwere Investitionen in Bildung, Umwelt, Gesundheit, Soziales, Infrastruktur etc. Ohne solche werden die gesellschaftlichen Missstände nicht nur bleiben, sondern zunehmen.
„Wir schlagen Alarm“
Um gewerkschaftlichen Widerstand gegen die drohenden (und schon laufenden) Kürzungen und Angriffe aufzubauen, gibt es seit dem 1. Mai unter dem Namen „Wir schlagen Alarm“ einen Aufruf von aktiven Gewerkschafter*innen. Bereits 600 Kolleg*innen haben diesen Aufruf unterzeichnet, doch wir müssen mehr werden! Um die Themen in die Gewerkschaften zu tragen, findet sich auf www.wir-schlagen-alarm.de nicht nur der Aufruftext, sondern auch eine Musterresolution, die in Gewerkschaftsgremien eingebracht werden soll, um die Proteste ins Rollen zu bringen. Der Gewerkschafter*innenkreis plant unmittelbar Proteste vor FDP-Büros angesichts der liberalen Pläne zur Einschränkung des Streikrechts.
Aktionsplan nötig
Es braucht eine Informationskampagne in Betrieben und der Öffentlichkeit durch Betriebs- und Gewerkschaftsversammlungen, Massenflugblätter und Plakatkampagnen. Auf lokalen, regionalen und bundesweiten Aktionskonferenzen, die gewerkschaftliche und andere Aktive zusammenbringen, sollte ein Aktionsplan ausgearbeitet werden. Dieser könnte mit dezentralen und betrieblichen Aktionen beginnen und über lokale und regionale Demonstrationen zu einer bundesweiten Großdemonstration in Berlin führen. Gleichzeitig sollte in den Gewerkschaften endlich die Debatte darüber geführt werden, wie der politische Streik als Mittel im Kampf für die Interessen der Lohnabhängigen eingesetzt werden kann.
Alternative zum Kapitalismus
Als Sozialist*innen sagen wir aber auch: solange der Kapitalismus existiert, wird jeder Erfolg, den wir in Kämpfen erreichen, wieder zur Disposition gestellt werden. Abwehrkämpfe sollten deshalb Ausgangspunkt für den Kampf um eine sozialistische Demokratie werden!
“Wir schlagen Alarm” fordert:
- Nein zu jeglichen Kürzungen und Verschlechterungen in der öffentlichen Daseinsvorsorge
- Nein zu Einschränkungen von demokratischen Rechten – Hände weg vom Streikrecht
- Für die Abschaffung der Schuldenbremse
- Massive Erhöhung von Steuern auf Gewinne und Vermögen von Banken, Konzernen und Superreichen
- Für Milliardeninvestitionen in Bildung, Gesundheit, Infrastruktur, Klima und Soziales – statt Milliarden für Aufrüstung und Militarisierung
- Rekommunalisierung und Ausbau von Krankenhäusern, ÖPNV, Wohnungsbaugesellschaften unter demokratischer Kontrolle
- Verstaatlichung des Energiesektors unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung, um die Preissteigerungen für die Masse der Bevölkerung zu stoppen und eine ökologische Energiewende ohne Verlust von Arbeitsplätzen demokratisch geplant durchzuführen
*Angabe der Funktion dient nur der Kenntlichmachung der Person