Für den Erhalt aller Arbeitsplätze!
In der letzten Woche sickerte durch, dass der Vorstand von Thyssenkrupp einen drastischen Einschnitt in der Stahlsparte plant. Heißt es offiziell vom Konzernvorstandschef Miguel López, dass die Produktionskapazität von 11,5 auf 9,5 Millionen Tonnen im Jahr reduziert werden solle, so konnte man am Mittwochabend inoffiziell sogar vernehmen, dass einer Minderung der Stahlproduktion auf fünf bis sechs Millionen Tonnen geplant wird. Dieses Szenario scheint realistisch. Eine einfache Senkung der Produktion um beispielsweise 500.000 Tonnen ist technisch nicht möglich: „Denn Stahlwerke und Produktionslinien laufen nur ganz oder gar nicht“, so die IG Metall. „Wenn López also weniger will, muss er hart zuschlagen.“
von Felix Jaschik, Bochum
Bei einer Halbierung der Jahresproduktion drohen Werkschließungen und zehntausend Kolleg*innen könnten ihren Arbeitsplatz verlieren. Dies wäre der größte Kahlschlag in der deutschen Industrie seit Jahrzehnten. Die Stahlindustrie hat eine große Bedeutung. Rund 85.000 Menschen arbeiten in Deutschland direkt in Stahlunternehmen. Hunderttausende weitere Arbeitsplätze in der Zuliefer- bzw. weiterverarbeitenden Industrie hängen am Stahl. Thyssenkrupp beschäftigt in seiner Stahlsparte in Deutschland rund 27.000 Arbeiter*innen und Angestellte.
Spontane Aktionen der Belegschaft an mehreren Standorten
Schon am Morgen nach der Bekanntgabe begannen spontane Proteste. Statt diese auszudehnen, rief die IG Metall zu Infoveranstaltungen und Versammlungen der Betriebsräte auf, um über die Pläne des Konzernvorstands zu informieren. So wurden unter anderem in Dortmund und Duisburg an den Werkstoren mobile Betriebsratsbüros eingerichtet. Im Laufe des Tages folgten tausende Arbeiter*innen ihren Betriebsräten vor die Werktore und legten damit die Produktion der Hütten faktisch lahm. Am Standort im Duisburger Norden kam es durch den großen Andrang zu einer Straßenblockade. LKWs und Straßenbahnen kamen an den Stahlarbeiter*innen nicht vorbei. 300 Mitarbeiter*innen von Thyssenkrupp in Dortmund zogen zum Borsigplatz, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen.
Bangen um Zukunft
Obwohl in die Dortmunder Westfalenhütte vor zwei Jahren viel investiert wurde, bangt jetzt die Belegschaft um ihre Zukunft. Man konnte bei den Veranstaltungen emotionale Reden vernehmen, sowohl von Kolleg*innen, die seit vierzig Jahren bei Thyssenkrupp angestellt sind, als auch von Azubis, die gerade erst mit ihrer Ausbildung begonnen haben. Die Schließung der Werke im Ruhrpott würde zu einer weiteren Verarmung in der Region führen. Die Sorge vor den Plänen von Vorstandsvorsitzenden Lopéz und den Aktionär*innen ist groß. Am 29. August tagt der Aufsichtsrat von Thyssenkrupp. Was dort hinter verschlossenen Türen beraten wird, bleibt abzuwarten, doch für die Stahlarbeiter*innen ist eines klar: Lopéz hat keine Ahnung vom Stahl.
Welche Zukunft für die Stahlindustrie?
Behauptete der Konzern noch vor vier Jahren die „Wasserstoff-Revolution“ werde die Stahlsparte retten und grüner Stahl sei die Zukunft, scheint diese Hoffnung sich als Illusion zu entpuppen. Bis 2045 soll Thyssenkrupp Steel klimaneutral werden. Doch heißt es jetzt, die Umwandlung zu grünem Stahl sei zu teuer. Ein Wechsel zur klimaneutralen Stahlproduktion könne nur mit der Verringerung dieser geschaffen werden. Die Interessen der Beschäftigten und der Umwelt werden hier von der herrschenden Klasse gegeneinander ausgespielt. Wir als Sol stellten schon 2021 fest: Ob die Stahlindustrie und die zigtausenden Arbeitsplätze, die daran hängen, eine Zukunft haben, hängt nicht nur von technologischen und ökonomischen, sondern vor allem von politischen Faktoren ab.
Auch warnten wir davor, dass der Konzern seine Stahlsparte abwerfen oder verscherbeln könnte. Dies steht jetzt beim Aufsichtsrat zur Debatte. Die unter der Wirtschaftskrise und asiatischen Billigimporten leidende Stahlsparte soll nämlich verselbständigt werden, um finanziell auf eigenen Füßen stehen zu können. Dafür ist eine Verringerung der Stahlproduktion geplant. Strittig bei diesem Plan ist vor allem die finanzielle Ausstattung durch den Mutterkonzern. Der Thyssenkrupp-Vorstand verscherbelte die als sehr profitabel geltende Aufzugssparte (Elevator) mit rund 50.000 Beschäftigten im Jahr 2020 in der Hoffnung, mit den Erlösen von rund 17 Milliarden Euro die Profitabilität anderer Sparten wieder herzustellen. Das Geld wurde verpulvert und der Stahlsparte droht jetzt das gleiche Schicksal. Findet auf internationaler Ebene ein Konzentrationsprozess der Stahlindustrie statt, sehen wir auf nationaler Ebene eine Zersplitterung dieser. Dies scheint widersprüchlich, doch stellte Karl Marx schon fest:
„Das Wachstum des gesellschaftlichen Kapitals vollzieht sich im Wachstum vieler individuellen Kapitale. […] wachsen die individuellen Kapitale, und mit ihnen die Konzentration der Produktionsmittel. […] Zugleich reißen sich Ableger von den Originalkapitalien los und funktionieren als neue selbstständige Kapitale. Mit der Akkumulation des Kapitals wächst daher auch mehr oder minder die Anzahl der Kapitalisten.“ Das Kapital Band I, S. 653
So könnte es also in den nächsten Jahren zu einer weiteren Monopolisierung auf dem Weltmarkt kommen. Denn Konkurrenz und Monopol sind kein Widerspruch zueinander: „Das Monopol erzeugt die Konkurrenz, die Konkurrenz erzeugt das Monopol… Die Synthese ist derart beschaffen, dass das Monopol sich nur dadurch aufrecht erhalten kann, dass es beständig in den Konkurrenzkampf eintritt.“ (Marx, Das Elend der Philosophie). Der weltweit größte Stahlproduzent ArcelorMittal entstand durch Fusionierung von durch Mutterkonzerne abgeworfene Stahlsparten und nach der Wiedervereinigung privatisierten Werken. Der indische Konzern Tata Steel ist das am schnellsten wachsende Unternehmen der Stahlsparte und hat ca. 6100 Beschäftigte in Deutschland. Es verfestigte sich im Wirtschaftsstandort Deutschland mit der Übernahme des britischen Stahlkonzerns Corus, welches Eigentümer der Traditionsstandorte der Stahlindustrie in Trier und Düsseldorf war. Dass die Thyssenkrupp Steel Standorte zum Beispiel in Dortmund in den nächsten Jahren in Hand des indischen Großkonzerns geraten könnten, ist nicht auszuschließen.
Nein zum Co-Management
Am Donnerstag hat sich gezeigt, dass die Belegschaften von Thyssenkrupp Steel kampfbereit sind. Die IG Metall darf sich nicht darauf ausruhen, sondern muss jetzt in die Offensive gehen. Wichtig, ist, dass am Tag der Aufsichtsratssitzung große Proteste stattfinden. Doch auch danach muss weitergekämpft werden.
Die Führung der IG Metall setzt überwiegend nicht auf Konfrontation, sondern auf Sozialpartnerschaft und Co-Management. Dieser Kurs rührt auch daher, dass angepasste Gewerkschaftsfunktionär*innen in den Unternehmen richtig Karriere machen können. Die sogenannte Montanmitbestimmung regelt, dass Kapital und Arbeit gleich viele Vertreter*innen in die Aufsichtsräte entsenden und die Gewerkschaften in der Regel den/die Arbeitsdirektor*in im Konzernvorstand stellen. So hat es Oliver Burkhard von der NRW-Bezirksleitung bzw. dem Bundesvorstand der IG Metall zum Arbeitsdirektor bei Thyssenkrupp gebracht. In dieser Position kassiert er jährlich 4,2 Millionen Euro – das sind über 11.000 Euro am Tag!
Statt Co-Management ist jetzt die Aktivierung der Kolleg*innen an der Basis und die Vorbereitung von Arbeitskämpfen das Gebot der Stunde! Nur mit entschlossenen, gemeinsamen Aktionen, die die Bosse schmerzlich bei den Profiten treffen, kann die Zukunft der Beschäftigten, ihrer Familien und der Region gesichert werden. Der Kampf muss standortübergreifend und auch international geführt werden. So sollte zum Beispiel auch der Schulterschluss mit den zweitausend von Arbeitsplatzverlust bedrohten walisischen Kolleg*innen bei Tata Steel in Talbot gesucht werden.
Doch sollte die IG Metall Führung, wie so oft nicht bereit zum Kampf sein, sollten betriebliche Aktionskomitees gebildet werden, welche Streiks und auch Besetzung der Produktionsstätten organisieren. Ein Beispiel hierfür können die wilden Streiks bei den Bochumer Opel Werken 2004 sein. Damals organisierte die Arbeiter*innenschaft mit Hilfe von Aktionskomitees und außerordentliichen Betriebsversammlungen selbstständig Streiks, während die IG Metall lieber auf Verhandlungen mit den Konzernchefs setzte, anstatt den Kampf zu organisieren.
Kolleg*innen, die dem sozialpartnerschaftlichen Kurs der IG Metall-Führung kritisch gegenüberstehen und für einen ernsthaften gewerkschaftlichen Kampf um den Erhalt von Werken und Arbeitsplätzen sind, sollten sich vernetzen und gemeinsam für einen Kurswechsel eintreten.
Sozialistisches Programm für Stahlindustrie
Die Sozialistische Organisation Solidarität (Sol) schlägt ein sozialistisches Programm für die Stahlindustrie vor, das die Bedürfnisse von Mensch und Natur in den Mittelpunkt stellt und mit der kapitalistischen Profitlogik bricht. Die Stahlindustrie muss aus den Händen der Kapitalist*innen genommen und in öffentliches Eigentum überführt werden. Großaktionär*innen müssen enteignet und nur bei erwiesener Bedürftigkeit entschädigt werden. Alle Konzern- und Sparten-Vorstände gehören fristlos und ohne Abfindung entlassen – lange genug haben sie sich die Taschen auf Kosten der Belegschaften vollgemacht. An ihre Stelle gehören demokratisch gewählte, rechenschaftspflichtige und jederzeit abwählbare Gremien, die sich aus gewählten Vertreter*innen der Belegschaften, Gewerkschaften und dem Bund zusammensetzen. Sie dürfen keine Privilegien haben und sollten stattdessen einen durchschnittlichen, branchenüblichen Facharbeiterlohn erhalten. Wissenschaftler*innen, Anwohner*innen, Umwelt- und Verbraucherschützer*inen sollten in diese Gremien einbezogen werden.
Sollten Betriebsschließungen bevorstehen, müssen kämpferische Gewerkschafter*innen und Arbeiter*innen sich die Erfahrungen von Rheinhausen 1987 aneignen. Am 26.11.1987 erfuhren die Betriebsräte der Krupp-Stahl AG in Duisburg-Rheinhausen zufällig, dass das Werk Rheinhausen bis August 1988 geschlossen und die Produktion zu Mannesmann und Thyssen verlagert werden soll. Am Tag darauf stand die Produktion still. Alle drei Schichten legten die Arbeit nieder und demonstrierten in Rheinhausen. Auch am 28. und 29.11. wurde nichts produziert. Am 30.11. fand eine außerordentliche Betriebsversammlung mit 10.000 Teilnehmer*innen statt. Die Folge war einer der größten Arbeitskämpfe in der Bundesrepublik. Am 10.12.1987 fand im Ruhrgebiet ein faktischer regionaler Generalstreik statt. Im ganzen Ruhrgebiet kam es zu spontanen Arbeitsniederlegungen und Protestkundgebungen, an denen sich insgesamt 200.000 Menschen beteiligten. Dies war möglich durch die große Solidaritätswelle im Ruhrgebiet.
Auch heute noch besitzen die Stahlarbeiter*innen bei Thyssenkrupp hohes Ansehen im Ruhrgebiet. Es muss jetzt ein Bewegung gegen den Kahlschlag bei Thyssenkrupp Steel organisiert werden. Dieser Arbeitskampf sollte verbunden werden mit Protest gegen den drohenden Kürzungshaushalt und weitere drohende Angriffe unter einer wahrscheinlich CDU-geführten Bundesregierung nach den nächsten Wahlen. Sowohl gegen eine Kürzungspolitik auf Kosten der Arbeiter*innenklasse als auch die drohenden Massenentlassungen bei Thyssenkrupp Steel gilt es den Widerstand aufzunehmen.
Unser Aktionsprogramm:
• Erhalt aller Arbeitsplätze
• Nein zu Ausgliederungen, Betriebsschließungen und Produktionsverlagerung
• Nein zu Kurzarbeit, Lohnraub, Arbeitszeitverlängerung und Flexibilisierung
• Statt Co-Management und faulen Kompromissen: IGM in die Offensive
• Statt Standortkonkurrenz: Solidarität unter allen Belegschaften, die von Arbeitsplatzvernichtung bedroht sind
• Einsatz der vollen Kampfkraft bis hin zu einem branchenweiten Streik bzw. fortgesetzten Betriebsversammlungen und Fabrikbesetzungen
• Offenlegung der Geschäftsbücher für Gewerkschafts- und Belegschaftsvertreter*innen
• Überführung der Stahlindustrie in Gemeineigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung