Stadtrat will Giftliste durchsetzen
Wie in diversen anderen Städten auch, stehen in Mainz jetzt massive Sparmaßnahmen, Kürzungen und Verschlechterungen für die arbeitende Bevölkerung an. Ende November legte der Finanzdezernent Günter Beck (Grüne) einen Haushaltsentwurf vor, der in der lokalen Presse als “Giftliste” und “Sparhaushalt” bezeichnet wurde. Gegen diese Pläne hat sich jetzt Protest formiert.
von David Müllers und Max Klinkner
Was möchte der Mainzer Stadtrat umsetzen? Besonders stark betroffen ist der Bereich für Soziales und Jugend. Hier werden 36 Millionen Euro weniger eingeplant, als von den jeweiligen Einrichtungen an Bedarf angemeldet wurde. Ein herber Schlag für alle Beschäftigten im Sozialbereich, die schon seit Jahrzehnten über fehlende Gestaltungsspielräume klagen.
Auch für Familien und Jugendliche gibt es deutliche Verschlechterungen. Das Mittagessen für Schulkinder soll verteuert werden, womit den Eltern insgesamt 500.000 Euro mehr aus der Tasche gezogen werden sollen. Für Kita-Kinder sollten die Beiträge für das Essen noch deutlicher steigen. Diese Entscheidung ist erst einmal in einen Ausschuss vertagt worden, der darüber noch für das Kita-Jahr 2025/26 abstimmen wird. Die Betreuungskosten für Grundschulkinder sollen komplett an die Eltern abgegeben werden. Sanierungen von Schulen und Sportanlagen werden vorerst ausgesetzt.
Auch im Kulturbereich stehen Kürzungen an, die bedeuten, dass geplante Projekte, wie ein Kulturkaufhaus, nicht umgesetzt werden und kulturelle Veranstaltungen wie das OpenOhr-Festival weniger Geld erhalten. Besonders bitter ist, dass keine Räumlichkeiten für das Palatin-Programmkino erworben werden sollen. Dieses fiel 2021 dem Verkauf an die Immobilienfirma Fischer und Co. zum Opfer und wurde letztes Jahr dauerhaft geschlossen. Für den Erhalt wurden 30.000 Unterschriften gesammelt. Mehrere Jahre Verhandlungen mit der Stadt sind nun erstmal zur Nichte gemacht, was auch den Fortbestand des Capitols, des letzten verbleibenden Programmkinos in Mainz gefährdet. Dem neuen Betreiber wurden nämlich die Räume des Palatins zugesichert, der auch betonte, dass er sich ohne diese Perspektive nicht ökonomisch halten können wird.
Zur Erhöhung der Grundsteuer B, die auf die Mieter*innen umgelegt werden kann, ist es vorerst nicht gekommen. Dieser Punkt hatte zuvor zu Streit in der regierenden Kenia-Koalition geführt, da die CDU angekündigt hatte, keiner Erhöhung zuzustimmen. Dies macht sie natürlich nicht im Interesse von Mieter*innen, sondern von (teils besserverdienenden) Hausbesitzer*innen. Durch die Grundsteuerreform werden die Abgaben aber definitiv steigen, was die Menschen in der neuntteuersten Stadt Deutschlands zu spüren bekommen werden. Die genauen Auswirkungen werden aktuell durch die Verwaltung geprüft. Zuvor wurde errechnet, dass die Grundsteuer von 480 auf 403 Punkte gesenkt werden müsste, um bei der vorherigen Abgabenhöhe zu bleiben.
Wo ist das Geld hin?
Eine Weile war Mainz vor allem für seinen Geldsegen durch das ansässige BioNTech-Unternehmen bekannt. Dieses spülte Milliarden in die Stadtkassen, doch wurde dieses Geld vor allem für die Tilgung von Schulden aufgewendet, anstatt sie für die Belange der einfachen Bevölkerung auszugeben. Würde man die Mainzer Bevölkerung direkt fragen, wofür das Geld genutzt werden sollte, wären bezahlbarer Wohnraum, Schulsanierung und Ausbau von Kulturangeboten wohl deutlich eher genannt worden, als Schuldentilgung und Prestigeprojekte.
Im Interesse des Unternehmens wurde 2021 auch die Gewerbesteuer gesenkt, wogegen sich im Stadtrat nur die Linksfraktion zur Wehr setzte. Dadurch entgingen der Stadt seitdem über 603 Millionen Euro. Damit allein hätte man das aktuelle Haushaltsdefizit von etwa 296,8 Millionen Euro schließen und sogar investieren können. Die jetzt beschlossene Wiederanhebung der Gewerbesteuer ist daher ein notwendiger und richtiger Schritt – doch die Gewerbesteuer hätte nie abgesenkt werden dürfen.
Ein grundlegendes Problem
Viele Kommunen in Deutschland ächzen unter dem Druck des Spardiktats von Bund und Ländern. Immer mehr Kommunen geraten in die sogenannte Haushaltssicherung, in der nicht mehr die Kommunen selbst die Haushaltspläne aufstellen, sondern die Finanzaufsicht der Landesregierung. Die sogenannte “kommunale Selbstverwaltung” wird ausgesetzt und Kürzungen von oben durchgesetzt. Viele Kommunen setzen daher in vorauseilendem Gehorsam selbst den Rotstift an.
Auch auf kommunaler Ebene regieren die bürgerlichen Parteien, welche sich auch im Bund gegen die Interessen der arbeitenden Bevölkerung stellen. Sie setzen überall die Interessen des Kapitalismus um und verwalten ein System, wovon nur die Banken und Konzerne profitieren. Der Profitzwang der Kapitalist*innen sorgt jetzt dafür, dass bei der Masse der Bevölkerung gekürzt werden soll – denn die Banken und Konzerne und (ihre Eigentümer*innen) sollen im bundesweiten und globalen Wettbewerb vor höheren Steuern geschont werden. Innerhalb dieses Systems ist damit auch keine dauerhafte Umverteilung von oben nach unten möglich. Die prokapitalistischen Parteien werden sich nicht mit den Konzernchefs und Superreichen anlegen und zum Beispiel eine drastische Vermögenssteuer gegen diese durchsetzen.
Dabei ist all das nicht alternativlos. Schuldenbremse, Steuergeschenke für Reiche oder Kürzungen sind alles keine Naturgesetze, sondern ergeben sich aus dem Profitzwang und der Konkurrenz des Kapitalismus und sind politische Entscheidungen der Herrschenden. Der Kapitalismus wird also immer wieder Angriffe auf unsere Lebensstandards voranbringen, wogegen wir uns wehren und eine Systemalternative aufzeigen müssen.
Widerstand formiert sich
Was kann aber jetzt konkret getan werden? Gegen die Haushaltskürzungen in Mainz haben Sol-Mitglieder zusammen mit anderen ein erstes Treffen einberufen und die “Initiative gegen Kürzungen Mainz” gegründet. Es wurde beschlossen, die Stadtratssitzung, die am 16. Dezember nur acht Tage vor Weihnachten stattfand, mit Protest zu begleiten.
Trotz der ungünstigen Zeit an einem Montag um 14 Uhr, konnten 50 Menschen mobilisiert werden, die die Politiker*innen von CDU, SPD und Grünen mit Slogans wie “Kürzungen? Nicht mit uns!”, “300 Millionen, bei den Reichen holen” und “Wir wählen euch nicht mehr” empfingen. In mehreren Redebeiträgen wurde dargelegt, wie die geplante Sparpolitik das Leben der breiten Bevölkerung verschlechtern würde. Davon spürt ein Oberbürgermeister Nino Haase allerdings nichts, wenn man 11.000 Euro im Monat verdient und Millionen auf dem Konto hat. So scheiterte auch sein Versuch, auf der Kundgebung mit einer Erklärung dem Protest den Wind aus den Segeln zu nehmen. Er versuchte zu erklären, dass die Regierenden ja auch noch mehr hätten streichen können; dass es faktisch mehr Geld für den Sozialbereich gäbe und sich unser Protest doch eigentlich gegen den Landtag richten sollte. Dafür wurde er mit harschen Gegenworten konfrontiert. Sol-Mitglieder und andere Protestierende erklärten nochmal eindrücklich, dass man nicht bereit sei, die Sparmaßnahmen als alternativlos zu akzeptieren und man sich nicht an die nächsthöhere Stelle verweisen lassen wird; im Gegensatz zu den Regierenden im Mainzer Stadtrat, würde man auch gegen die Kürzungen von Land und Bund protestieren und für Vermögenssteuern und Umverteilung von oben nach unten kämpfen, statt den Druck nach unten abzugeben. Darüber wollte der Oberbürgermeister Haase aber nicht diskutieren und zog beleidigt ab, wobei er seinen Ordner und Tablet liegen ließ. Beides musste von einem Mitarbeiter abgeholt werden, da er sich scheinbar nicht mehr auf die Kundgebung zurück traute.
Etwa 20 Teilnehmende setzten sich dann noch in den Zuschauerbereich der Stadtratssitzung und kommentierten die Reden der CDU mit lauten Buh-Rufen und applaudierten dem Redner der Linksfraktion, der die Besucher*innen begrüßte und sich für einen bedarfsgerechten Haushalt aussprach, was auch bedeuten würde, sich mit der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) rechtlich anzulegen. Dieses Vorgehen wäre durchaus richtig. DIE LINKE sollte sich deshalb der Protest-Initiative anschließen und gemeinsam mit ihr beraten, wie für solch eine Politik Unterstützung in der Mainzer Bevölkerung organisiert werden könnte. Dem Oberbürgermeister war diese Kommentierung durch die Besucher*innen aber zu viel und so wurde der Protest des Saales verwiesen. Der Aufforderung kamen alle nach – jedoch nicht, ohne nochmal lautstark Parolen zu rufen, die durch das kurfürstliche Schloss hallten.
Wie geht es weiter?
Auch wenn dieser Protest die Entscheidung der regierenden Kenia-Koalition zwar nicht aufgehalten hat, war dies ein wichtiger Grundstein für den Widerstand. Nach den beschlossenen Änderungen wird am 21. Januar die finale Abstimmung über den Haushalt stattfinden. Diese Sitzung wird von der Initiative auch wieder mit einem Protest begleitet werden. Es klang aber bereits an, dass die ADD den Haushalt nicht akzeptieren wird, da ein Defizit von 170 Millionen Euro bestehen bleibt. Und auch bis 2028 wird mit Defiziten von 180 Millionen Euro gerechnet. Das heißt: Es ist sehr wahrscheinlich, dass es zu einem Nachtragshaushalt kommt, der weitere Einsparungen mit sich bringen wird, auch wenn jetzt schon kaum noch Luft zum Atmen ist. Unter einem Kanzler Merz kann dies noch schlimmer werden.
Es ist also nötig, sich zu vernetzen, auf der Arbeit und im Stadtteil, und Widerstand gegen Kürzungen weiter aufzubauen – zum Beispiel im Rahmen der “Initiative gegen Kürzungen Mainz”. Da sich gerade in einigen Städten solche Bündnisse bilden, wäre eine Vernetzung untereinander und bundesweit sinnvoll. Die Gewerkschaften können dabei eine wichtige Rolle spielen, denn sie organisieren zehntausende Beschäftigte in eben den Bereichen, wo jetzt gekürzt wird. Außerdem sind nächstes Jahr Tarifverhandlungen im TVÖD. Streiks in diesem Rahmen könnten mit dem Kampf gegen Kürzungen verbunden werden.
Sol-Mitglieder in Mainz werden sich im neuen Jahr dafür einsetzen, dass der Kampf gegen die Kürzungen auf breitere Füße gestellt wird und weiterhin dafür argumentieren, ihn mit einer sozialistischen Perspektive zu führen. Denn nur wenn die Gesellschaft nicht mehr dem Profitzwang unterliegt, die großen Banken und Konzerne in demokratischem Gemeineigentum sind und jederzeit wähl- und abwählbare Vertreter*innen der arbeitenden Bevölkerung regieren, wird die Gefahr der Kürzungspolitik gebannt sein und kann der gesellschaftliche Reichtum in Bund, Ländern und Kommunen umfassend genutzt werden, um das Leben für alle angenehmer und sicherer zu machen.
Aufruf der “Initiative gegen Kürzungen Mainz” unterzeichnen: https://mainzgegenkuerzungen.wordpress.com/