Interview mit Vertrauensmann
Solidarität.info sprach mit Marcel, ver.di-Vertrauensmann bei der Post in Lemgo*, über die anstehende Tarifrunde
Wie ist die Lage im Betrieb?
Ich würde sagen, ziemlich durchwachsen. Seit der letzten Tarifrunde haben wir mit der Umstrukturierung der Post und dem dauerhaften Personalmangel zu kämpfen. Erst kam die Verbundausweitung, das heißt, dass die reine Paketzustellung sowie die reine Postzustellung abgeschafft wurden, und bis auf Ausnahmen alle Post und Pakete machen. Dazu kam die neue Zustellwand, wodurch es in der Theorie möglich ist, die Bezirke je nach Sendungsmenge zu vergrößern oder zu verkleinern. Im Endeffekt wurden dadurch aber die Bezirke nur noch größer. Denn wenn man die Bezirke theoretisch verkleinern könnte, weil es weniger Pakete gibt, fehlt dann das Personal, um die zusätzlichen Bezirke abzudecken und man macht Mehrarbeit. Die Stimmung ist dementsprechend ziemlich gedrückt.
Und was für Forderungen wurden nun von ver.di aufgestellt bzw. was ist von denen zu halten?
Zu den Forderungen muss gesagt werden, dass es zuerst eine Forderungsbefragung mit vier Fragen für die Mitglieder gab. Allerdings lassen die Fragen bzw. Antworten ziemlich viel Interpretationsspielraum für die Tarifkommission zu. Ergebnis ist jetzt, dass sieben Prozent mehr Geld für alle Tarifbeschäftigten, Auszubildenden und dual Studierenden gefordert werden. Dazu drei Tage mehr Urlaub für alle Tarifbeschäftigten und Auszubildenden plus ein extra Urlaubstag für ver.di Mitglieder. Die Forderungen sind für mich und viele Kolleg*innen zu niedrig. Zur Höhe vom Geld wurde gefragt, ob man eine Forderung von sechs Prozent bei zwölf Monaten für „viel zu gering“ (28 Prozent), „eher zu gering“ (26 Prozent), „in Ordnung“ (42 Prozent), „eher zu hoch“ (drei Prozent), „viel zu hoch“ (ein Prozent) hält. Obwohl über die Hälfte der Mitglieder sechs Prozent für zu niedrig gehalten haben, wurde die Forderung nur um einen Prozentpunkt erhöht. Ich finde, dass es stattdessen regionale Versammlungen hätte geben sollen, auf denen die Forderungen diskutiert und Kolleg*innen auch konkrete Vorschläge hätten machen und beschließen können.
Einige haben vielleicht noch die Bilder des letzten Poststreiks im Jahr 2023 im Kopf, als ihr für 15 Prozent gestreikt habt. Wie hat sich der Abschluss ausgewirkt?
Die 15 Prozent waren ja für ein Jahr Laufzeit gedacht. Am Ende waren es durchschnittlich 11,5 Prozent über zwei Jahre und ohne Einmalzahlung, die nicht tabellenwirksam ist – was deutlich weniger ist. Insgesamt hat das bei der damaligen Inflation Reallohnverlust bedeutet. Was viele Kolleg*innen wahrscheinlich auch noch in Erinnerung haben, ist, dass anfangs richtigerweise von ver.di gewarnt wurde, die Einmalzahlungen nicht als Gehaltserhöhung zu sehen, da sie nicht tabellenwirksam sind. Als dann mit der Urabstimmung klar war, dass wir streikbereit sind, hat die Post dann ein nur minimal verbessertes Angebot vorgelegt, welches die Tarifkommission als annehmbar eingestuft hat und dann auch von Betriebsräten empfohlen wurde. Ich denke, das ist auch ein Grund, warum die Stimmung gerade nicht sehr kämpferisch ist und auch im Betrieb bisher nicht viel über die nächste Tarifrunde diskutiert wird.
Was sollte jetzt getan werden, um den Kampf zu gewinnen?
Was mir beim letzten Streik, dem Postgesetz und auch der aktuellen Konzernumstrukturierung gefehlt hat, waren Veranstaltungen bei denen die Kolleg*innen zusammenkommen und gemeinsam über die Ziele und Strategie diskutieren und einen gemeinsamen Plan entwerfen können. Am besten wäre natürlich, wenn ver.di in allen Standorten sowas organisieren würde. Da das nicht passiert, wäre ein Vorschlag, dass sich kämpferische Vertrauensleute und Kolleg*innen zusammentun und versuchen, sowas selber auf die Beine zu stellen. Ich weiß, dass es schwierig ist Kolleg*innen nach Feierabend für sowas zu gewinnen, aber morgens die Zeit im Betrieb mit kurzen Begegnungen reicht da einfach nicht, um solche Sachen ausreichend zu diskutieren. Falls der Schritt zu groß ist, könnte man auch erstmal als Vertrauensperson regelmäßige Waffelstände im Betrieb machen oder sich mit einigen Kolleg*innen abends in einer Kneipe treffen. An manchen Standorten hat das schon zu einem besseren Austausch untereinander geführt. Im Betrieb gibt es, auch wegen der letzten Tarifrunde, Misstrauen gegenüber der Gewerkschaftsführung. Da ist es wichtig, diese Kritik aufzugreifen, aber gleichzeitig klarzumachen, dass wir starke Gewerkschaften brauchen und wir den Druck auf die Gewerkschaftsführung und Tarifkommission aufbauen müssen, um spürbare Verbesserungen zu erkämpfen. Wenn die Tarifkommission in dieser Runde wieder ein schwaches Angebot zur Annahme empfiehlt, reicht es nicht nur, mit Nein zu stimmen. Man muss auch Gespräche mit den Kolleg*innen suchen und erklären, dass die Gewerkschaftsführung nicht komplett gegen uns entscheiden kann. Es gibt zwar die Regel, dass bei einer erneuten Urabstimmung nur 25 Prozent dem Verhandlungsergebnis zustimmen müssen, damit es angenommen wird, aber dann muss man versuchen, das zu verhindern. Außerdem müssen sich kämpferische Kolleg*innen vernetzen. Das Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di wäre dafür ein Ansatzpunkt.
*Angabe dient nur zur Kenntlichmachung der Person