
Chris Walter, ehemaliger Landesgeschäftsführer der linksjugend [´solid] NRW
Jens Jaschik, ehemaliges Mitglied des Landessprecher*innenrates NRW
Caspar Loettgers, ehemaliges Mitglied des Landessprecher*innenrates RLP
Max Klinkner, ehemaliges Mitglied des Landessprecher*innenrates RLP
2023 gründeten Sol Mitglieder zusammen mit anderen Aktiven in der linksjugend [´solid] Jugend für Sozialismus (JfS)[1]. Das “Comeback” der Linken und die Wiederbelebung der linksjugend [´solid] haben nun Jugend für Sozialismus Mitglieder zum Anlass genommen, unser Verhältnis zur linksjugend [´solid] neu zu diskutieren. Damals, wie heute, war unsere Motivation, stets für den Aufbau eines sozialistischen Jugendverbandes zu kämpfen. In vielen Orten arbeiten Genoss*innen wieder enger mit linksjugend [´solid] Basisgruppen zusammen und/oder beteiligen sich aktiv an diesen. Uns ist bewusst, dass dies bei manchen Aktiven innerhalb der linksjugend [´solid] zu Unsicherheiten und Fragen führt. Zum Teil gab es auch Unterstellungen, dass wir die linksjugend [´solid] 2023 gespalten hätten. Wir wollen in diesem Artikel deswegen auf diese Fragen eingehen. Außerdem wollen wir eine Bilanz unserer Arbeit in der linksjugend [´solid] bis 2023 aufstellen. Wir hoffen damit neueren Aktivist*innen innerhalb des Jugendverbandes ein Bild unserer Sichtweisen und Arbeit zu geben. Falls Genoss*innen Fragen haben, die nicht in diesem Artikel beantwortet werden, stehen wir jederzeit auch persönlich zur Verfügung.
Warum gründeten wir 2023 Jugend für Sozialismus?
Als wir Jugend für Sozialismus im Januar 2023 gegründet haben, hatten wir bereits über Jahre innerhalb der linksjugend uns für eine klassenkämpferische und revolutionäre Ausrichtung der linksjugend eingesetzt, unter anderem innerhalb des Bundesarbeitskreis “Revolutionäre Linke”, welcher eine Zeit lang der größte und aktivste BAK war, mit Dutzenden Teilnehmenden auf bundesweiten Verbandswochenenden.
Dabei stießen wir immer wieder auf enorm toxische Debatten und bürokratische Hindernisse. Bundeskongresse waren kein Ort der solidarischen Auseinandersetzung um Positionen, sondern geprägt von Anfeindungen und bürokratischen Manövern. Nichtsdestotrotz brachten wir uns immer wieder konstruktiv ein, stellten Anträge und entwarfen Vorschläge für Kampagnen. Diese wurden immer wieder abgelehnt oder bei Annahme oft einfach ignoriert. Nach außen hin schaffte es der Bundesverband und verschiedene Landesverbände immer wieder mit Kampagnen, wie “Deutschland knicken” oder “Hauptsache es knallt” die Außenwahrnehmung von einem ernsthaften sozialistischen Jugendverband hin zu einem unseriösen Partyhaufen zu verschieben.
Diese endlosen Debatten haben viel Kraft und Energie gekostet. Nicht zuletzt mussten Marxist*innen sich zweimal (2021[2] und 2018[3]) gegen Ausschlussanträge wehren (welche beide abgewehrt worden sind).
Die Pandemie verschärfte die Krise innerhalb des Verbandes. Viele Linke (auch der Bundesverband der linksjugend) gaben angesichts des tödlichen Virus dem Druck nach, die Maßnahmen der Regierung unkritisch zu unterstützen. Wir versuchten ein Programm zu entwickeln, das die Gefahren durch das Virus ernst nahm und gleichzeitig zeigte, dass eine prokapitalistische Regierung nicht in der Lage war diese Gefahr im Interesse der breiten Bevölkerung zu lösen. Deswegen organisierten wir Proteste (unter den erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen) z.B. gegen fehlende Luftfilter an Schulen oder das maroden Gesundheitssystem, welches Profite über Menschenleben stellt.[4]
Auch der Ukraine-Krieg und die damit verbundene Militarisierung stellte Sozialist*innen unter Druck. Doch auch hier schaffte es die Bundesebene der linksjugend nicht, eine klare Klassenposition einzunehmen und Kampagnen zu entwickeln.
Im Nachgang zum Bundeskongress im November 2022 schreiben wir:
“Trotz der stürmischen Zeiten, in denen wir leben, bleibt die Linksjugend im Stillstand. (…). Die erste Tagung des 15. Bundeskongresses lässt (…) deutlich mehr Fragen offen als sie beantwortet. Beispielsweise fehlten Debatten dazu, wie der Bundesverband in Bewegungen, zum Beispiel gegen explodierende Preise oder gegen den Klimawandel bzw. Tarifauseinandersetzung für mehr Lohn und mehr Personal agieren möchte. Stattdessen wurden Diskussionen kurz gehalten, Anträge auf zeitliche Verlängerung der Debatte gingen selten durch. (…) Auffallend war dabei auch der unsolidarische Umgang untereinander, teilweise sogar vonseiten des Präsidiums.”[5]
Das Versagen des Verbandes auf drängende Fragen der Zeit eine klare Haltung zu entwickeln, die linkspolitisierte Jugendliche als Orientierungspunkt hätte dienen können, hat aus unserer Sicht die weitere Entleerung des Verbandes beschleunigt und das interne Verbandsleben erstickt.
Die Gründung von “Jugend für Sozialismus” war ein Versuch einen Weg zu finden, mehr Energie in den Kampf gegen den Kapitalismus zu stecken und ein attraktiveres Angebot für Jugendliche zu schaffen, frei von unkonstruktiven Debatten und einem toxischen Klima, wie wir es in der linksjugend erlebt hatten.
Dabei war es uns wichtig immer wieder zu betonen, dass wir keine Konkurrenzorganisation aufbauen wollen, sondern dass linksjugend Mitglieder und Basisgruppen in der linksjugend bleiben konnten und trotzdem bei uns mitmachen können. So betonten wir in der Jungen Welt: “Um mitzumachen ist es nicht nötig, aus der Linksjugend Solid auszutreten. Doch wir halten es nicht für sinnvoll, den Kampf um den Bundesverband fortzuführen und wollen vor allem auch an bisher unorganisierte Jugendliche herantreten, um sie für sozialistische Ideen zu gewinnen.”[6]
Im Übrigen ist diese Position auch nicht neu. In der Vergangenheit gab es immer wieder verschiedene Jugendstrukturen in und um die Partei Die Linke. So gründeten in manchen Landesverbänden Genoss*innen “Junge Linke” Strukturen, die parallel zu den linksjugend [´solid] Strukturen existieren.
Im Nachhinein müssen wir auch zugeben, dass wir das “Come back” der Linken und die damit einhergehende Erneuerung des Jugendverbandes für zu unwahrscheinlich hielten. Rückblickend hätten wir die Entscheidung vielleicht anders gefällt. Aus der damaligen Sicht war dies aber unmöglich vorherzusehen
Haben wir mit der Gründung von JfS den Verband gespalten, weil wir keine Mehrheiten mehr hatten?
In der oben beschriebenen Situation haben wir uns innerhalb des Bundesarbeitskreises Revolutionäre Linke nach einer breiten Debatte entschieden, Jugend für Sozialismus zu gründen. Uns war dabei wichtig zu betonen, dass wir nicht zum Austritt aus der linksjugend aufrufen und dass jede Basisgruppe, die uns politisch zustimmt, aber weiterhin als linksjugend Basisgruppe bestehen bleiben will, dies tun kann und trotzdem auch Jugend für Sozialismus Mitglieder werden konnten. Wir sind daher der Meinung, dass der Vorwurf, wir hätten die linksjugend gespalten, keine Grundlage hat.
Wir brachten unsere Beweggründe und Ideen demokratisch in die Plena der Basisgruppen, in denen wir aktiv waren und der LMV und LVV in Rheinland-Pfalz und NRW ein. In manchen Orten haben sich die Basisgruppen mehrheitlich entschieden, Jugend für Sozialismus beizutreten. In anderen gab es keine Mehrheit. Bei der LMV und LVV haben Mitglieder auch Anträge eingebracht. Diese wurden abgelehnt.
Danach traten wir nicht erneut für Posten innerhalb des Landesverbandes an, sicherten aber trotzdem eine geordnete Übergabe des Landesverbandes an die neu gewählten Genoss*innen (inklusive aller Finanzen). Ein Genosse in NRW arbeitete sogar noch mehrere Monate konstruktiv für den Landesverband als Geschäftsführer.
In den vergangenen Jahren haben wir anschließend immer wieder konstruktiv mit linksjugend Strukturen zusammengearbeitet. Zur Bundestagswahl organisierte die Jugend für Sozialismus Ortsgruppe in Mainz eine Veranstaltung mit der linksjugend Mainz auf der sich die Jugendkandidatin Lin Lindner sich vorgestellt und begründet hat, warum junge Leute die Linke wählen sollten[7]. In Neukölln organisierten wir zusammen mit der örtlichen linksjugend eine Demo gegen Kürzungen und den Anstieg von rechter Gewalt. [8]
Haben wir andere Meinungen in Basisgruppen und Landesverbände in denen wir aktiv waren unterdrückt?
In den Jahren vor 2023 wurde uns immer wieder vorgeworfen, dass Sol Mitglieder andere Meinungen in den Landesverbänden Rheinland-Pfalz und NRW unterdrücken würden. Da dieser Vorwurf auch heute öfter erhoben wird, wollen wir dazu Stellung nehmen.
Bislang wurde kein einziger Beleg für diese Behauptung hervorgebracht. Fakt ist, dass Sol Mitglieder auf LMV/LVV´s in Rheinland-Pfalz oder NRW nie in der Mehrheit waren, sondern stets in der Minderheit waren. Dass Beschlüsse angenommen wurden, die von Sol Mitgliedern gestellt wurden, lag stets daran, dass es eine mehrheitliche Unterstützung für die politischen Positionen gab. Gleiches gilt für die Basisgruppen und Landessprecher*innenräte in NRW und Rheinland-Pfalz (bis auf eine Legislaturperiode in Rheinland-Pfalz).
Darüber hinaus haben wir immer grundlegende demokratische Rechte auch innerhalb der linksjugend [`solid] verteidigt. Wir haben stets das Recht verteidigt, dass Strömungen eigenes Material erstellen dürfen und auch demokratische Debatten zu kontroversen Themen auf landesweiten Treffen organisiert (etwa zur Regierungsbeteiligung der Linken oder der Haltung von Sozialist*innen zur Religion). Im Gegensatz zu anderen haben wir nie versucht mit bürokratischen Methoden wie Ausschlussanträgen oder dem Verbot Material zu verteilen, Meinungen zu unterdrücken.
Noch einmal deutlich wurde dies als der aktuelle Landessprecher*innenrat in NRW eine online Veranstaltung unter dem Titel “Geschichtsstunde Linksjugend NRW” durchführte, von der Teilnehmende berichteten, dass der Referent schwerwiegende Vorwürfe gegen den früheren LSp*R erhoben hat, an dem auch Mitglieder von uns beteiligt waren. Wir haben daraufhin mit zahlreichen anderen Aktiven aus der Zeit, einen Brief an den aktuellen LSp*R geschickt, in dem wir ihn aufgefordert haben, uns die Möglichkeit zu geben, in Zukunft bei solchen Veranstaltungen unsere Sichtweise darzustellen. Dieser Brief wurde bislang nicht beantwortet.
Haben Sol-Mitglieder die Landesverbände, in denen sie aktiv waren, “an die Wand gefahren”?
Vereinzelt wurde uns in den letzten Monaten vorgeworfen, wir hätten die Krise innerhalb des Jugendverbandes (insbesondere in Rheinland-Pfalz und NRW) nach 2023 zu verantworten. Wir sehen keinerlei Grundlage für diese Behauptung, sondern würden dem entgegnen, dass wir in den Jahren bis 2023 mit dafür sorgten, dass die Landesverbände zahlreiche erfolgreiche Kampagnen durchgeführt haben und stark gewachsen sind. In NRW gab es zeitweise 38 Basisgruppen. Dass der Jugendverband irgendwann in eine Krise geriet, lag aus unserer Sicht (wie oben beschrieben) an den objektiven Bedingungen während der Pandemie und den politischen Schwächen der Bundesebene.
Uns ist es nicht möglich alles aufzuzählen, was wir an Arbeit innerhalb der linksjugend alles geleistet haben. Wir können daher nur einen kleinen Ausschnitt auflisten:
- In der Basisgruppe Dortmund und Lemgo organisierten wir erfolgreich Mieter*innen gegen Wohnungskonzerne. In Lemgo forderte zum Schluss die Mieter*inneninitiative die Enteignung des betroffenen Wohnungskonzerns[9]. In Dortmund stürmten Mieter*innen das Rathaus[10]. Darüber hinaus organisierten wir landesweite Aktionstage mit Mustermaterial und Aktionsreadern zum Thema „Mieten“.
- Während unserer Zeit im Landessprecher*innenrat in NRW und RLP organisierten wir mehrmals sozialistische Pfingstcamps, die mehr als hundert Besucher*innen angezogen haben und Raum boten für zahlreiche solidarische und kontroverse Diskussionen[11]. In Rheinland-Pfalz organisierten wir jährliche Bildungswochenenden in Worms mit reichhaltigem Programm
- International organisierten wir mehrmals Besuche von Delegationen nach Frankreich während den Gelbwesten-Proteste und luden Gäste zu landesweiten Treffen aus Frankreich, England und den Niederlanden ein.
- Wir produzierten einen “Theorie-Reader” mit grundlegenden Texten zum Thema Marxismus und kurzen Einleitungen zu den jeweiligen Texten. Die Reader wurden für wenig Geld allen Mitglieder zur Verfügung gestellt und sollten z.B. beim Organisieren von Lesekreisen helfen.
- Zu bundesweiten Terminen, wie dem 8. März, produzierten wir regelmäßig Aktionsreader und Mustermaterial und mobilisierten landesweit zu zentralen Demos, wo wir eigene linksjugend-Blöcke organisierten.
- Wir entwickelten in den Landesverbänden NRW und RLP “Jugendchartas”, die demokratisch auf den LMVs/LVV angenommen wurden und später die Grundlage bildeten für die Programm von Jugend für Sozialismus. (https://jugend-fuer-sozialismus.de/es-muss-nicht-bleiben-wie-es-ist/)
- Wir veröffentlichten zahlreiche Stellungnahmen zu aktuellen Themen, wie dem Ukraine-Krieg, der Pandemie, dem Ahrtal-Hochwasser und Mustermaterial für die Landtagswahlen
- Wir produzierten eine Fülle an Flyern, Stickern und Plakaten zu verschiedensten Themen, wie bezahlbarem Wohnraum, kostenlosen ÖPNV, guten Ausbildungen, Klima, dem Kampf gegen Sexismus und Rassismus…
- https://web.archive.org/web/20220122235528/https://solid-rlp.de/Material/flyer/
[1]https://www.jungewelt.de/artikel/444290.linksjugend-mitglieder-gründen-jugend-für-sozialismus.html
[2]https://solidaritaet.info/2021/04/linksjugend-solid-unvereinbarkeitsantrag-zurueckgenommen/
[3]https://archiv.sozialismus.info/maschinenraum/2018/03/linksjugend-solid-gegen-den-ausschluss-von-sav-mitgliedern/?fbclid=IwAR0nZ6rQbXkrsE3M3PgskxSABfljIRbr6Z61iM1o9iW-HoeUfoO3mKhiyc4
[4]https://web.archive.org/web/20230531042049/https://solid-rlp.de/termin/kundgebung-schulen-sicher-machen-lehrerinnen-und-schuelerinnen-schuetzen/
[5]https://solidaritaet.info/2022/11/in-der-krise-linksjugend-ohne-perspektive/
[6]https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/artikel/444290.linksjugend-mitglieder-gr%C3%BCnden-jugend-f%C3%BCr-sozialismus.html
[7]https://www.instagram.com/p/DF9iBXvCYKm/?img_index=1
[8]https://www.instagram.com/p/DMiIJIWMvsy/?img_index=1
[9]https://www.lz.de/lippe/lemgo/22425360_Bewohner-des-Biesterberg-Hochhauses-fordern-Enteignung.html
[10]https://www.deutschlandfunkkultur.de/hochhaus-in-dortmund-hannibal-2-geht-seinem-ende-entgegen-100.html
[11]https://www.instagram.com/p/CeVby2HKSIM/?img_index=8