Bericht vom 18. linksjugend [‘solid] Bundeskongress
Am vergangenen Wochenende tagte der 18. Bundeskongress (BuKo) der linksjugend [‘solid]. In den Debatten und Abstimmungen wurde deutlich, dass sich die Mehrheiten im Verband deutlich verschoben haben. Etwa zwei Drittel der Delegierten stimmten dabei für Anträge und Personen aus dem breiteren linken Flügel. Die politische Mehrheitsverschiebung bringt viel Potenzial mit sich, die linksjugend [‘solid] zu einem schlagkräftigen sozialistischen Jugendverband aufzubauen. Gleichzeitig wurde auf dem Kongress auch klar, dass bis dahin noch ein weiter Weg zu gehen ist.
Von Caspar Loettgers, linksjugend [‘solid] Mitglied in Berlin und Gast beim Bundeskongress
Insbesondere beim Thema Palästinasolidarität war offensichtlich, dass es eine merkliche Linksverschiebung gegeben hat. So wurde der Antrag A12 mit dem Titel “Nie wieder zu einem Völkermord schweigen” mit großer Mehrheit angenommen, während alle Änderungsanträge, die eine Abschwächung des Ursprungsantrages bedeutet hätten, abgelehnt wurden. Im Antrag wurde unter anderem festgehalten, dass der Jugendverband in der Vergangenheit versagt hat, die Verbrechen des israelischen Staates gegenüber den Palästinenser*innen klar zu benennen. Gleichzeitig wurden diese Verbrechen als fester Bestandteil der imperialistischen Politik des Westens und Israels benannt. Im Antrag wird daraus die Schlussfolgerung gezogen, dass “auch die Befreiung Palästinas als Teil einer breiteren demokratischen und sozialistischen Revolution betrachtet werden [muss], die den Imperialismus aus der Region herauswirft.”.
Damit hat der Bundesverband eine Position eingenommen, die noch vor einigen Jahren undenkbar gewesen wäre. Wie sehr dies auch ehemalige führende Mitglieder im Verband kränkte, zeigte sich in den prompt erschienenen Artikeln u.a. in der Springer-Presse, in denen unter anderem Mitglieder des antideutschen BAK Shalom sich über die neuen Mehrheiten beschwerten. Jugend für Sozialismus, in der Sol-Mitglieder noch aktiv sind, hat sich in einer eigenen Stellungnahme mit dem Bundesverband solidarisiert und deutlich gemacht, dass stattdessen in Partei und Jugendverband eine inhaltliche Debatte über die vielen komplizierten Fragen im Kampf gegen die Ermordung und Unterdrückung der Palästinenser*innen geführt werden sollte (einschließlich der Rolle der israelisch-jüdischen Arbeiter*innenklasse und ihrem Recht auf Selbstbestimmung).1
Auch beim Thema Militarisierung wurden die Anträge A42 und A45 angenommen, die sich gegen die Wehrpflicht und Aufrüstung aussprechen und den Bundesverband dazu auffordern, Aktionen dagegen zu organisieren.
Darüber hinaus wurden einige Änderungsanträge an den ansonsten politisch sehr vage gehaltenen Leitantrag des alten Bundessprecher*innenrates beschlossen, die diesen politisch schärften. Der Begriff “Soziale Gerechtigkeit” wurde mit “Sozialismus” ausgetauscht und in Bezug auf die Gewerkschaften setzt sich der Bundesverband nun (zumindest laut Beschlusslage) für eine kämpferische Ausrichtung ein, anstatt diese nur in allgemeiner Form zu unterstützen.
Dass diese Positionen nun Mehrheiten gefunden haben, liegt sicherlich einerseits an den vielen neuen Mitgliedern, die insbesondere durch die Palästinasolidaritätsbewegung geprägt wurden und den Verband nach links schieben. Wie sehr der Verband gewachsen war (die Mitgliedschaft wurde in kurzer Zeit fast verdoppelt) zeigte sich im Übrigen auch auf dem Kongress – viele Gäste und Delegierte waren zum ersten Mal auf einem BuKo. Wichtig war aber sicherlich auch die viele Arbeit in den Landesverbänden und Basisgruppen durch Teile des linken Flügels.
Politische Diskussionen kamen kurz
Trotz der positiven Seiten des BuKos waren politische Diskussionen, wie schon bei vergangenen Kongressen, Randerscheinungen. Denn auch wenn Freitag und Samstag spät in die Nacht hinein getagt wurde, war ein Großteil des Kongresses geprägt von Geschäftsordnungs-Anträgen, Verzögerungstaktiken des rechten Flügels und Randdebatten, die teils absurde Züge annahmen. Der Bundesverband zeigte damit auch wieder seine Schwächen.
Dabei gäbe es gerade so viele drängende Fragestellungen: Wie kann der Widerstand gegen Merz´ Agenda 2030-Pläne organisiert werden? Wie sollte die Linke sich in Zukunft ausrichten inkl. der Frage von Regierungsbeteiligungen? Wie kann der Kampf gegen die AfD effektiv geführt und wie können Jugendliche und Arbeiter*innen erreicht werden, die sich außerhalb der “linken Szene” bewegen?
Wenn diese Fragen nicht ernsthaft angegangen werden, droht der Jugendverband erneut in eine Krise zu geraten, bei der viele der neuen Mitglieder sich frustriert vom Verband wieder abwenden. Dabei wird es nicht reichen, über die Struktur des Verbandes zu diskutieren. Vielmehr müssen diese Debatten mit dem Ziel geführt werden, politische Klarheit zu schaffen.
Diese Debatten müssen auch innerhalb des linken Flügels, einschließlich des BAK Klassenkampfs, der zu einem Orientierungspunkt für die linken Kräfte geworden ist, geführt werden. Dabei muss es nicht in allen Fragen eine hundertprozentige Übereinstimmung geben, aber gerade durch das rasante Wachstum des Jugendverbandes und die tiefe Krise, ergeben sich wichtige Fragen. Das gilt für das Verhältnis zur Partei Die Linke und den Debatten, die dort stattfinden, wie zur Regierungsbeteiligung mit prokapitalistischen Parteien. Es gilt aber auch für andere grundlegende, theoretische und programmatische Fragen, wie das Verhältnis zum Stalinismus/den Ostblock-Staaten bzw. dem staatskapitalistischen China und wie eine sozialistische Gesellschaft tatsächlich aussieht.
Mitarbeit in der linksjugend
Sol-Mitglieder hatten viele Jahre aktiv die linksjugend [‘solid] aufgebaut,2 bevor wir zusammen mit anderen linksjugend-Mitgliedern vor ca. zweieinhalb Jahren “Jugend für Sozialismus” gegründet hatten. Anders als der scheidende BSp*R in seinem Bericht auf dem Kongress behauptet hat, haben wir nie zum Austritt aus dem Verband aufgerufen oder dies selbst getan. Unsere Kritik an dem sogenannten “Revolutionären Bruch” von Klasse gegen Klasse haben wir im Übrigen hier ausführlich dargelegt. (https://solidaritaet.info/2023/05/wo-gehts-hier-zur-revolution/)
Seit dem Wiederaufschwung des Jugendverbandes haben viele Jugend für Sozialismus Ortsgruppen ihr Verhältnis zur linksjugend [‘solid] neu diskutiert – mit dem Ergebnis, dass alle wieder aktiv im Verband mitarbeiten.
Der Bundeskongress hat gezeigt, dass es viel Potenzial gibt, einen sozialistischen Jugendverband aufzubauen, wenn Kräfte gebündelt werden und die Lehren aus der Vergangenheit gezogen werden. Sol-Mitglieder werden sich daher auch nach diesem BuKo in Debatten auf Basisgruppen- und Landesebene weiter einbringen und Vorschläge machen, wie sozialistische Antworten auf die multiplen Krisen des Kapitalismus aussehen können. In einem Artikel, der in der Zeitung “Morgenrot”, die anlässlich des BuKos durch Teile des linken Flügels produziert wurde, skizzierte ich unter anderem, was das konkret bedeutet:
“Ein sozialistischer Jugendverband muss sich an der Arbeiter*innenklasse und Jugend als Ganzes orientieren, ohne den eigenen revolutionären Anspruch aufzugeben. Wir dürfen uns nicht darauf zu beschränken, die linksradikale Szene anzusprechen, aber auch nicht im Versuch, „offener“ zu wirken, das eigene sozialistische Programm aufweichen.
Streiks und Tarifrunden sollten wir zum Beispiel offensiv aufgreifen, ohne einfach unkritisch die Haltung der Gewerkschaftsführer*innen zu wiederholen, sondern sie (wenn nötig) auch kritisieren.
Wir müssen die Überwindung des Kapitalismus durch die Arbeiter*innenklasse immer zum Ausgangspunkt unseres Programms machen. In der Vergangenheit wurde auf Bundesebene oft keine klare Klassenposition eingenommen, z. B. in Fragen von Diskriminierung, der Klimakrise oder des Antimilitarismus und des Krieges.
Das drückte sich zum Beispiel im vorherrschenden Verständnis vom Kampf gegen Diskriminierung aus. Natürlich ist der Kampf gegen Diskriminierungsformen für Sozialist*innen zentral. Dazu gehört auch, ein Bewusstsein dafür zu haben, dass diese Fragen auch in den eigenen Reihen angesprochen werden müssen. Gleichzeitig muss der Kampf politisch verbunden werden mit dem Kampf für gemeinsame soziale Interessen und gegen den Kapitalismus als Ganzes. Ein bürgerliches Verständnis von Identitäten, die allein die Frage von Repräsentation betont, greift zu kurz und kann die Spaltung der Arbeiter*innenklasse verschärfen.”
(…)
“Dazu gehört aus unserer Sicht auch ein klares Bekenntnis gegen die anhaltende Besatzung, Massenmord und Vertreibung in Palästina und der Einsatz für eine sozialistische Lösung im Interesse aller Arbeiter*innen und Armen in der Region mit gleichen Rechten und Selbstbestimmung für alle Völker.
Ebenso wollen wir uns in der Linken gegen Regierungsbeteiligungen mit SPD und Grünen und eine Anpassung ans Establishment stark machen. Denn das sind Voraussetzungen, um den Aufstieg der AfD zu stoppen und dem Ziel einer sozialistischen Massenpartei näher zu kommen.”
1 https://jugend-fuer-sozialismus.de/beitraege/solidaritaet-mit-der-linksjugend/
2 https://solidaritaet.info/2025/10/stellungnahme-von-sol-mitgliedern-zu-ihrer-arbeit-in-der-linksjugend-und-der-gruendung-von-jugend-fuer-sozialismus/