Die andere Seite der Ausgangsbeschränkungen

Zunahme von häuslicher Gewalt gegen Frauen in Corona-Krise zu erwarten

Im spanischen Staat kam es in Almassora und Sevilla zu einem Mord und einem Mordversuch durch Ehemänner an ihren Frauen, die sich aufgrund der verhängten Ausgangsperre in häuslicher Quarantäne befanden. Das zeigt einmal mehr, dass für viele Frauen das Zuhause kein sicherer Ort ist, selbst in normalen Zeiten und erst recht nicht in Krisenzeiten.

Von Alexandra Arnsburg, Mitglied im ver.di-Landesfrauenrat Berlin-Brandenburg*

Nicht nur in der Quarantäne gehen Männer mit Messern auf ihre Ehefrauen und Partnerinnen los. Allein 2019 führten Angriffe auf Frauen im spanischen Staat zu 55 Toten, in Italien wird alle 72 Stunden eine Frau ermordet und auch in Frankreich endeten 148 Angriffe auf die Partnerin tödlich. Das französische Innenministerium berichtete, dass während der Ausgangssperren im Nachbarland die gemeldeten Fälle häuslicher Gewalt bereits um dreißig Prozent gestiegen sind.

Die Mehrheit der Opfer von Gewalt in Paarbeziehungen auch hierzulande sind Frauen (81 Prozent), bei Vergewaltigungen und Nötigungen sind es fast nur Frauen (98,4 Prozent). In Deutschland gibt es jeden Tag einen Mordversuch durch einen (Ex-)Partner. Weltweit ist sexualisierte und häusliche Gewalt für Frauen bis 44 Jahren die häufigste Ursache für Tod und Behinderung. Die Dunkelziffer liegt deutlich höher. Frauenverbände und Studien gehen davon aus, dass nur zwanzig Prozent der betroffenen Frauen Hilfe suchen!

Durch die anhaltende Wirtschaftskrise gab es in den letzten Jahren bereits einen bedrohlichen Anstieg von häuslicher Gewalt. Nach dem Zusammenbruch der Wirtschaft in Griechenland 2009 gab es einen massiven Anstieg von Armut und Arbeitslosigkeit (heute noch vierzig Prozent). Armut – selbst schon eine Form von Gewalt – und Frustration führten vermehrt zu Gewaltausbrüchen und ein Steigerung von (offiziell erfassten) Fällen häuslicher Gewalt um 47 Prozent. Danach stiegen die Fälle weiter: 2014 bis 2018 um mehr als ein Drittel, gleichzeitig wurden die Mittel für Hilfeangebote gekürzt. Auch in Italien stürzten Millionen nach der Wirtschaftskrise in Arbeitslosigkeit und Armut, 17 Prozent können sich kein Fleisch leisten, die Kinderarmut hat sich auf 1,2 Millionen Betroffene verdreifacht. Seit einer Verschärfung der Strafen bei häuslicher Gewalt im letzten Jahr, hat sich die Anzeigequote von sechs auf zwölf Prozent verdoppelt, aber härtere Strafen reichen bei weitem nicht aus. Für viele Frauen in Italien gibt es keine Alternative, als in der vermeintlichen Sicherheit der Familie auszuharren; im ärmsten Stadtteil von Palermo gibt es gerade mal eine Kita. Sowohl in Griechenland, als auch in Italien hat die Krise enorme Auswirkungen vor allem für Frauen, so ist die Arbeitslosigkeit von 2008 bis 18 bei Frauen in Griechenland um 110 und Italien um vierzig Prozent gestiegen. Im gleichen Zeitraum ging sie zum Vergleich in Deutschland um 61 Prozent zurück, auch wenn das vorwiegend keine komplett sozialversicherungspflichtigen Vollzeitstellen sind.

Gewalt in Zeiten von Corona

Die desolate Wirtschaft wird durch die aktuelle Corona-Krise noch mehr erschüttert. Hunderttausende werden nicht nur unter der Isolation leiden, sondern auch unter Einbußen beim Einkommen und durch Jobverlust. In China wurden während der Quarantäne dreimal so viel Fälle häuslicher Gewalt gemeldet. Auch hierzulande wird ein massiver Anstieg von häuslicher Gewalt gegen Frauen und auch gegen Kinder befürchtet. Wegen der Isolationsmaßnahmen gehen gewalttätige Partner und Eltern seltener raus. Frauen, Kindern und Jugendlichen ist es so fast unmöglich, Hilfe zu rufen oder selbst Beratungsstellen aufzusuchen. Frauen und Kinder sind mit den Tätern praktisch eingesperrt. Doch auch nach der Aufhebung der Maßnahmen wird es zu mehr Gewalttaten kommen, da die Zahl der Trennung von Partnern nach der häuslichen Isolation zunehmen wird. Nicht selten endet der Versuch, sich der Kontrolle eines gewalttätigen Partners zu entziehen, mit schweren Verletzungen.

Schon vor Corona war es ein Problem, wenn Partner aufgrund von steigender Arbeitslosigkeit, geringem Einkommen oder Armut frustrieren und so leichter zu Gewalt neigen; doch mit der Quarantäne werden diese Entwicklungen zunehmen und sich in vielen Haushalten dramatisch verschärfen. Viele der eh schon wenigen Hilfseinrichtungen für Frauen und soziale Projekte und Anlaufstellen für Kinder und Jugendliche müssen aufgrund der Maßnahmen schließen, Hausbesuche durch Sozialarbeiter*innen fallen weg. Sucht- und psychische Erkrankungen werden sich verstärken und zunehmen. Ob alle Einrichtungen nach den einschränkenden Maßnahmen wieder eröffnet werden können ist fraglich. Momentan sollen soziale Dienste nicht unter den Corona-Rettungsschirm fallen, wie Diakonie und andere Träger berichteten. Profite stehen im Kapitalismus immer vor den Menschen. Damit muss Schluss sein.

Gewalt ist systemimmanent

Frauen sind im Kapitalismus Menschen zweiter Klasse. Sie verdienen über zwanzig Prozent weniger und leisten den größeren Anteil der Arbeit. Die Medien und Werbung nutzen Frauenkörper, die auf ein bestimmtes Schönheitsideal getrimmt sind, um ihre Produkte attraktiver zu machen. Ganz selbstverständlich wird hier weibliche Sexualität genutzt und die Frau an sich zur Dekoration. Die milliardenschwere Pornoindustrie und rückschrittliche Medien verbreiten weiterhin die Lüge von der jederzeitig sexuell verfügbaren Frau und dem Recht auf Sex von Männern. Eine Studie ergab, das ein Viertel der Bevölkerung eine Vergewaltigung unter bestimmten Umständen für akzeptabel hält, zum Beispiel unter Alkoholeinfluss, nach einer Verabredung oder wenn die Frau flirten würde. Das zeigt, wie tief gängige Vorurteile und Stereotype von der gefügigen Frau und dem Mann, der alles unter Kontrolle hat, in den Köpfen sitzen.

Verbesserungen, ob juristisch, materiell oder ideologisch werden uns nicht geschenkt, sie müssen gemeinsam durch Gewerkschaften und breite Kampagnen organisiert mit Frauenverbänden und der LINKEN erkämpft werden.

Besonders in Zeiten von Quarantäne ist es nötig, ausreichend staatlich finanzierte und von Frauenverbänden und Beschäftigten demokratisch verwaltete Schutzräume und Hilfsangebote zu schaffen. Deren Kapazitäten müssen am Bedarf gemessen werden, was ein unmittelbares öffentliches Investitionsprogramm zur Bereitstellung von Räumen und qualifiziertem Personal beinhaltet. Zur Zeit halten die Reiseverbote an, wodurch tausende von Hotelzimmern leer stehen, zusätzlich zum spekulativen Leerstand von Wohnungen und überdimensionierten Villen, die so gut wie unbewohnt sind. Eine staatliche Beschlagnahmung der Leerstände zur Schaffung von Schutzräumen für Menschen, die vor der Gewalt flüchten, wäre ein erster notwendiger Schritt. Statt Einrichtungen unter dem Vorwand der Infektionseindämmung zu schließen, lassen sich unter Einhaltung des Gesundheitsschutzes Kapazitäten über Nacht vervielfältigen, wenn man nicht Rücksicht auf das Interesse einer verschwindend kleinen Klasse von Eigentümer*innen nimmt, sondern auf die Bedürfnisse der am meisten von der Krise Betroffenen.

Auch wenn gut ausgestattete Frauenhäuser und Beratungsstellen und stärkere Gesetze helfen können und es genug Reichtum gibt, um jeglichen Bedarf zu decken und Ungerechtigkeiten wie ungleiche Löhne abzuschaffen: Die Ursachen der Probleme liegen im Kapitalismus, der Frauen und Männer in Konkurrenz zueinander setzt, Armut, Unsicherheit und Ängste schürt und damit die Grundlagen für Aggressionen und Gewalt legt.

*= Funktionsangabe dient nur zur Kenntlichmachung der Person