“Frauenhölle” Polen

Massenproteste für das Recht auf Abtreibung

Zehntausende Frauen sind in Polen in einem Aufstand gegen das Leben in einer “Frauenhölle” auf die Straße gegangen. Das Verfassungsgericht hat Abtreibungen faktisch verboten, indem es sie auch in Fällen schwerer fötaler Missbildungen für verfassungswidrig erklärt hat. Diese Fälle machten 96 Prozent der nur 1100 Abtreibungen aus, die im vergangenen Jahr legal im Land vorgenommen wurden.

Von Christine Thomas, zuerst veröffentlicht am 29.10.2020 auf socialistworld.net

Mit Plakaten, auf denen Slogans wie “Ich wünschte, ich könnte meine Regierung abtreiben” verkündet wurden, sind Demonstrant*innen zu Zehntausenden erschienen, nicht nur in Warschau und anderen Großstädten, sondern auch in den Kleinstädten, die bisher als Bastionen der regierenden PiS (Partei des Rechts und der Gerechtigkeit) gegolten hatten. Ihnen schlossen sich inzwischen auch Bergarbeiter, Bauern und Bäuerinnen, LGBT-Demonstrant*innen und andere unzufriedene Gruppen an.

Wenn die PiS der Meinung war, dass ein Angriff auf die Abtreibung als Ablenkung von ihrem ungeschickten Umgang mit der Covid-Pandemie nützen würde, so ist das Gegenteil eingetreten. Die Coronavirus-Beschränkungen trotzend sind die Abtreibungsproteste zu einem Kristallisationspunkt für die immense soziale Unzufriedenheit geworden, die sich gegen die reaktionäre rechte PiS-Regierung, auch wegen Covid-19, angestaut hat.

Im Jahr 2016 wurde die Regierung durch Massenproteste, die internationale Nachahmer inspirierten, gezwungen, von ihrem Versuch Abstand zu nehmen, Abtreibungen in Kooperation mit der katholischen Kirche zu kriminalisieren. Diesmal umging die PiS unter dem Deckmantel von Covid das Parlament und agierte stattdessen durch das Verfassungsgericht, das sie bereits mit ihren Lakaien vollgepackt hatte.

Schon vor dem Gerichtsurteil hatte Polen eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze in Europa. Nur zehn Prozent der Krankenhäuser führen legale Abtreibungen durch. Heute ist jeder Schwangerschaftsabbruch kriminalisiert, außer in den seltenen Fällen von Vergewaltigung, Inzest oder wenn das Leben der Mutter bedroht ist. Wie eine Protestierende sagte, werden Frauen in menschliche Brutkästen verwandelt, “gefoltert” und gezwungen, sogar einen toten Fötus zur Welt zu bringen.

Nach Angaben von Frauenorganisationen gehen jedes Jahr 80.000 bis 100.000 polnische Frauen ins Ausland, um abzutreiben. Es werden also vor allem die Frauen aus der Arbeiter*innenklasse und arme Frauen, die nicht über die Mittel verfügen, um zu reisen, “in der Hölle leben”.

Weitere Proteste

Am Mittwoch, dem 28. Oktober, organisierten die Demonstrant*innen einen landesweiten Frauenstreik mit Massendemonstrationen auf der Straße. Weitere Proteste sind geplant. Der nächste Schritt sollten Massendemonstrationen und Arbeitskampfmaßnahmen sein, bis hin zu einem 24-stündigen Generalstreik aller Arbeiterinnen und Arbeiter, sowie falls nötig, eine Eskalation, um die Aufhebung des reaktionären Gerichtsurteils zu fordern und zu erreichen, dass alle Frauen Zugang zu sicheren Abtreibungen haben und dass die wirtschaftlichen Ressourcen für Gesundheitsversorgung, sichere Verhütung, erschwingliche Kinderbetreuung usw. zur Verfügung gestellt werden, damit Frauen wirklich das Recht haben, zu entscheiden, wann und ob sie Kinder bekommen wollen, und das frei von Armut und religiöser Einmischung.

Aber die Bewegung hat das Potenzial, noch viel weiter zu gehen: Sie kann all jene zusammenbringen, die sich den Angriffen der PiS-Regierung auf die Rechte der Frauen, die Rechte von LGBT, die demokratischen und Arbeiter*innenrechte und die wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-Pandemie widersetzen – und damit die Grundlage für eine Massenpartei legen, die für die Interessen der Arbeiter*innen und aller unterdrückten Gruppen in der kapitalistischen Gesellschaft kämpfen könnte.