Krise der CDU

Bild von Michael Lucan | CC-BY-SA 3.0 von Wikimedia Commons cropped

Auch Merz wird ihr keinen neuen Frühling verschaffen

Vorbemerkung: Dieser Artikel erschien zuerst in der Dezember/Januar-Ausgabe der “Solidarität” und wurde vor der Wahl von Friedrich Merz zum neuen CDU-Vorsitzenden geschrieben.

Nach dem Bundestags-Wahldebakel ist CDU-Parteichef Armin Laschet zurückgetreten. Friedrich Merz, der 2018 und 2021 gegen Krampp-Karrenbauer bzw. Laschet verloren hat, wird wahrscheinlich dieses Mal gewinnen, zum einen, weil seine Konkurrent*innen von damals krachend gescheitert sind, zum anderen, weil seine Unterstützung an der Parteibasis schon vorher höher war als im Apparat.

Von Wolfram Klein, Plochingen bei Stuttgart

In den 72 Jahren seit Gründung der Bundesrepublik stellte die CDU 52 Jahre lang den Kanzler bzw. die Kanzlerin. Auch wenn die alte Bezeichnung „Kanzlerwahlverein“ aus der Mode gekommen war, blieb viel Wahres an ihr. Obendrein war die CDU/CSU 61 Jahre lang die stärkste Fraktion im Bundestag. Von daher ist es schon eine bittere Niederlage, wenn die CDU nicht mehr den Kanzler stellt … und obendrein eine SPD, die auch noch das drittschlechteste Ergebnis ihrer Nachkriegsgeschichte hatte, die stärkste Fraktion im Bundestag ist. Das CDU-Ergebnis lag um über siebzehn Prozent unter dem Wahlergebnis von 2013 und fünfzehn Prozent unter dem Umfragehoch zu Beginn der Coronapandemie im Mai 2020. Aber nicht nur bei den Wahlen ging es abwärts. Die Mitgliederzahlen hat sich von 1990 bis 2020 von 789.000 auf 399.000 fast halbiert.

Vom Spagat … 

Der Kapitalismus bedeutet die Herrschaft einer Minderheit. Eine bürgerliche Demokratie kann für die Herrschenden nur funktionieren, wenn beträchtliche Teile der Beherrschten Parteien unterstützen, die gegen ihre eigenen Interessen arbeiten. In Zeiten von Wirtschaftsaufschwüngen, in denen man den Massen ein paar Krümel vom Tisch der Reichen in Form von begrenzten Reformen zukommen lassen kann, geht das noch relativ leicht. In Krisen, wenn diese Parteien gegen ihre eigene Basis aktiv Politik machen, ist es viel schwerer. Konservative Parteien stützen sich dabei auf nationalistische, rassistische, sexistische, homophobe Vorurteile in Schichten der Bevölkerung.

Aber der Kapitalismus wälzt die Lebensumstände der Bevölkerung in einem viel höheren Maße um, als alle vorhergehenden Gesellschaftsformen und zerstört damit die materielle Grundlage solcher Vorurteile. Deshalb sehen sich auch konservative Parteien oft gezwungen, die Vorurteile, auf die sie sich stützen, behutsam zu modernisieren. Das bedeutet für sie einen politischen Spagat, wenn sie ihre Anhänger*innen nicht an zum Beispiel rechtspopulistische Kräfte verlieren wollen..

… zur Zerreißprobe?

Doch was ist die Alternative für die CDU? Kapitalistische Interessen ohne dumpfe Vorurteile? Diese Rolle spielen die Grünen besser. Sich nur auf zunehmend entfremdete Schichten stützen, die Migrant*innen oder emanzipierte Frauen zum Sündenbock für ihr verständnisloses Unbehagen machen, wenn ihr Lebensumfeld für kapitalistische Profitinteressen durch den Fleischwolf gedreht wird?

Wenn die CDU es nicht mehr schafft, auf beiden Klaviaturen zugleich zu spielen, wird ihre politische Basis noch weiter zusammenschrumpfen. Von daher würde auch Merz versuchen, beides unter einen Hut zu bringen, wenn er auch rechten Ideologien mehr Futter geben würde.

Wegen der Schwäche der Arbeiter*innenbewegung und Linken standen oft Fragen eines „Kulturkampfs“ zum Umgang mit Frauen, Homosexuellen, Migration etc., der ein Stück weit mitten durch die CDU ging, im Vordergrund.

… und die soziale Frage?

Unter Merkel gab es keine mit Schröders Agenda 2010 vergleichbare Frontalangriffe auf die Arbeiter*innen in Deutschland. Merz steht für ein aggressiveres Vorgehen. Das war aber für die Herrschenden bisher nicht nötig, nicht zuletzt, weil der beispiellose Rückgang der Zinsen die deutschen Staatshaushalte enorm entlastete: die staatlichen Zinsausgaben fielen von 2,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts 2005 (Merkels erstem Amtsjahr) auf 0,6 Prozent im Jahr 2021. Gegenüber den Arbeiter*innen Griechenlands (und Südeuropas allgemein) dagegen setzte Merkel eine brutale Kahlschlagpolitik mit durch.

Früher oder später wird aus Sicht der Herrschenden Sozialkahlschlag in Deutschland auf die Tagesordnung kommen. Es wird von den konkreten Umständen abhängen, ob dann ein offener Vertreter von Profitinteressen wie Merz oder ein salbungsvoller Heuchler besser für dessen Umsetzung geeignet ist … und welche Rolle dann ein rechtspopulistischer „Kulturkampf“ als Ablenkung spielen wird.

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