Spanischer Staat: Was ist aus Podemos geworden?

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Wichtige Lehren für die Linke

Pablo Iglesias, einer der Gründer von Podemos und ihr prominentester Vertreter, kündigte Anfang 2021 seinen Rücktritt aus der Politik an – zehn Jahre nach der “Bewegung der Empörten”, aus der die neue Partei hervorging. Dieser Artikel blickt zurück auf die Gründung von Podemos, ihre Entwicklung und die Fehler ihrer Führungsfiguren, die ihre Zukunft ernsthaft in Gefahr gebracht haben.

Von Ross Saunders, Socialist Party (CWI – England und Wales)

Vor rund zehn Jahren brach in Spanien der Aufstand der Indignados (der “Empörten”) als Protest gegen die brutale Sparpolitik aus. Die Regierung wurde von José Luis Rodríguez Zapatero und der fälschlicherweise so genannten Sozialistischen Arbeiter*innenpartei Spaniens (PSOE) gebildet, die treu die Interessen all derjenigen Kapitalist*innen vertritt, die sie unterstützen. Diese Regierung verlangte, dass die einfachen Menschen aus der Arbeiter*innenklasse die Rechnung für die Wirtschaftskrise zahlen sollten, die den spanischen Staat und den Rest der Welt 2007/2008 erschütterte.

Während die spanischen Banken riesige Rettungspakete ohne Auflagen erhielten, drückte Zapatero die Löhne und kürzte massiv bei öffentlichen Dienstleistungen, Renten und Sozialleistungen. Arbeitsplätze wurden vernichtet und neue Angriffe auf die Rechte von Gewerkschaften gestartet, um Versuche der Gegenwehr von Arbeiter*innen zu behindern.

Ein entschlossener, organisierter Widerstand der Arbeiter*innenklasse hätte diese Angriffe aufhalten können, aber die konservativen Führer*innen der großen Gewerkschaftsverbände leisteten nur symbolischen Widerstand gegen die Sparpolitik. Die Comisiones Obreras (CCOO) und die Unión General de Trabajadores (UGT) riefen zwar unter Druck der Bewegung ein paar eintägige Generalstreiks pro Jahr aus, verweigerten aber die Durchführung einer ernsthaften Kampagne, die die Kürzungen hätte stoppen können. Kämpfende Teile, wie die asturischen Bergarbeiter*innen, waren gänzlich auf sich allein gestellt. Anfang 2011 waren im spanischen Staat fünf Millionen Menschen arbeitslos, darunter die Hälfte aller jungen Arbeiter*innen und Zwangsräumungen fanden in großem Stil statt.

Die Wut angesichts solcher Angriffe fand unweigerlich einen Weg an die Oberfläche. Sie entlud sich am 15. Mai 2011 in spontanen Protesten (wodurch die Bewegung ihren zweiten Namen erhielt – 15M) und wütete den ganzen Sommer lang.

Zehntausende marschierten zu öffentlichen Plätzen wie der Puerta del Sol in Madrid und besetzten sie. Es entstanden Protestcamps, die in einer Reihe von Städten wochenlang aufrecht erhalten wurden. Auf Versammlungen erhob sich eine Stimme nach der anderen gegen das korrupte kapitalistische Establishment, insbesondere gegen die Banken und die bestehenden politischen Parteien, die sich Ersteren freiwillig unterordneten.

Die Wut war jedoch nicht auf eine bestimmte Organisation gerichtet. Es bestand Abscheu über die Rolle, die ehemalige Arbeiter*innenparteien wie die PSOE und die auch die Kommunistische Partei (PCE) spielten, sowie über das Versagen der Gewerkschaftsspitzen, Kämpfe anzuführen. Dies hatte in den Jahrzehnten zuvor zu einem tiefen Misstrauen gegenüber politischen Parteien und sogar zu einer Skepsis gegenüber der Idee von Organisierung im Allgemeinen geführt. Infolgedessen gelang es der Bewegung nur langsam, ein politisches Instrument aufzubauen, das die entstehenden Kämpfe verallgemeinern und die kapitalistischen Parteien auch bei Wahlen herauszufordern imstande gewesen wäre.

Die Revolte der Indignados entstand unter denselben Bedingungen wie die Revolutionen des Arabischen Frühlings zu Beginn des Jahres. Diese wiederum inspirierten die Occupy-Bewegung, die die Revolte im Herbst 2011 in das Herz des US-Kapitalismus trug. In Spanien hatte sie eine tiefgreifende Wirkung auf die Ideen und das Selbstvertrauen der Massenbewegung. Sie zeigte, dass es möglich ist, sich auf nationaler und internationaler Ebene zu wehren. Diese Revolte würde schon bald dem Zweiparteiensystem ein Ende setzen, das dem Großkapital jahrzehntelang die Durchsetzung seiner Interessen im spanischen Staat sicherte.

Das Ende des Zweiparteiensystems

Diese positiven Auswirkungen blieben jedoch zunächst unter der Oberfläche verborgen. Vorerst war es die politische Rechte, die auf dem Vormarsch war: Noch während der Proteste gewann die Volkspartei (PP) die Ratswahlen, eine konservativ-kapitalistische Partei rechts von der PSOE. Sie siegte auch bei den Parlamentswahlen im November 2011, bei denen eine Rekordzahl von ungültigen Wahlzetteln abgegeben wurde.

Die Wut auf der Wahlebene konnte von keiner politischen Partei kanalisiert werden. Die von der PCE dominierte Vereinigte Linke (IU) konnte zwar ihre Unterstützung steigern – sie erhielt 1,68 Millionen Stimmen (6,9 Prozent), 716.000 mehr als 2008 – war aber zu starr und bürokratisch, um den Enthusiasmus der aufkommenden Bewegungen aufzufangen. In dieser Zeit entstanden mächtige Kampagnen, u. a. gegen Zwangsräumungen und für Mieter*innenrechte, die “grüne Welle” gegen Bildungskürzungen, die “weiße Welle” gegen Angriffe auf das Gesundheitswesen und viele andere mehr.

Dies war der Kontext, in dem Podemos (wörtlich: “wir können”) gegründet wurde. Ohne Führung durch die Spitze der Arbeiter*innenbewegung wurde die Organisation im Januar 2014 von einer Gruppe linker Akademiker*innen ins Leben gerufen und erlebte ein rasantes Wachstum. Die Situation war auch reif für eine linke Alternative: Podemos war noch nicht einmal ein Jahr alt und erhielt bei den Europawahlen im Mai 2014 8 % der Stimmen. Pablo Iglesias, einer ihrer Gründer und ihr populärstes Mitglied, sprach zum Jahresende auf Kundgebungen auf der Puerta del Sol vor 150.000 Menschen. Bei den Parlamentswahlen 2015 belegte Podemos den dritten Platz, erhielt über fünf Millionen Stimmen und kam damit insgesamt auf 20,7 %. Diese Wahl läutete das Ende der Stabilität für die Kapitalist*innenklasse im spanischen Staat ein: In den vier Jahren seit 2011 wurden vier Parlamentswahlen abgehalten und keine von ihnen führte zu einer stabilen Regierung oder auch nur einer Mehrheit für eine Partei oder Koalition.

Der wichtigste Faktor für das Wachstum von Podemos war, dass ihre Ideen einen radikalen Bruch mit der kapitalistischen Politik aller großen Parteien zu bedeuten schienen. Podemos versprach jedem Menschen ein angemessenes Einkommen und das Recht auf eine Wohnung, sowie die Löhne zu erhöhen, das Renteneintrittsalter zu senken und die Schlüsselindustrien zu verstaatlichen. Außerdem wollten sie der Europäischen Union die Stirn bieten und die Zahlung der enormen Schulden Spaniens verweigern.

Der Schlüssel zu ihrem raschen Aufstieg war jedoch auch die scharfe Abgrenzung, die sie in ihren ersten Jahren gegenüber dem kapitalistisch dominierten Establishment vollzog. Die Partei versprach, den Einfluss des Großkapitals auf die Politik zu beenden und wetterte gegen die Lobbyindustrie. Als in dieser Zeit viele Menschen von der Sparpolitik der PSOE empört waren, gewann sie mit einem kämpferischen Ansatz an Popularität und verkündete, die PSOE als stärkste Oppositionspartei ablösen zu wollen.

Erste Versprechungen

Die Arbeiter*innen in Spanien waren daran gewöhnt, dass Politiker*innen große Versprechungen machen, die dann nach den Wahlen wieder fallen gelassen werden. Aber Podemos schien anders zu sein. Die Partei erklärte ihre Ablehnung des Karrierismus und des persönlichen Erfolgsstrebens, von dem andere Parteien befallen sind. Iglesias, bekannt als “el coletas” (“der Pferdeschwanz”), lehnte das übliche frisierte Image ab und war dafür bekannt, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Die Partei verpflichtete sich, alle ihre Ausgaben online zu veröffentlichen. Niemand, der oder die für sie arbeitete, verdiente mehr als 1.900 Euro.

Podemos stellte auch ihre innovativen Online-Methoden vor, mit denen sie den Bürger*innen die Kontrolle über die Organisation geben wollte. Dies schien wie ein frischer Wind im Gegensatz zu den bürokratischen Hindernissen, mit denen die Mitglieder von PSOE und PCE zu kämpfen hatten – von der Erinnerung an die Zeit der faschistischen Diktatur ganz zu schweigen. Auf dem Höhepunkt ihres Bestehens zählte die Parteiseite “Plaza Podemos” 20.000 Teilnehmer*innen. Ihre Wahlprogramme und Kandidat*innen wurden ebenfalls online in Vorwahlen gewählt und sie bot an, sich mit der IU zu einer Einheitsfront zusammenzuschließen.

Doch die Realität der Podemos-Strukturen – oder vielmehr des Fehlens solcher – entsprach nicht ihrer verbalen Schärfe. Die Politik von Podemos war für ein breites Spektrum von Menschen aus der Arbeiter*innenklasse und der Mittelschicht attraktiv, aber ihre “offene” Struktur war besonders bei der Mittelschicht beliebt. Weil sie es gewohnt war, eine gewisse Autorität auszuüben, besser für diese Form der Kommunikation ausgebildet war und mehr Zeit hatte, sich daran zu beteiligen, dominierte sie bald die Führung der Organisation. Für Arbeiter*innen mit begrenzter Zeit war es schwierig, sich sinnvoll an wenig zielgerichteten Diskussionen zu beteiligen, die in Podemos-“Zirkeln” (Ortsgruppen) unbegrenzt fortgesetzt werden konnten. Außerdem gab es keine Bestrebungen, Macht in der Partei an Repräsentant*innen von Arbeiter*innen und Organisationen wie Gewerkschaften zu übertragen.

Wie in allen vermeintlich “horizontalen” Organisationen war die Macht in Podemos in Wirklichkeit sehr zentralisiert und die Mitglieder konnten nur wenig demokratische Kontrolle über die Führung ausüben. Bei der Gründung der Partei setzte Iglesias beispielsweise durch, dass der Generalsekretär (er selbst) den gesamten Parteivorstand ernennen durfte, anstatt ihn von den Mitgliedern wählen zu lassen. Prominente Persönlichkeiten hatten enormen Einfluss auf die Parteipolitik und konnten durch die von Podemos favorisierten Online-Abstimmungen nicht wirksam zur Rechenschaft gezogen werden.

Auch die Schwächen des Podemos-Programms wurden deutlicher, als die Arbeiter*innen testeten, ob es eine brauchbare Alternative zum Elend des Kapitalismus bot. Der Linkspopulismus von Podemos verkündete lautstark die Unterstützung einzelner Reformen, aber als Programm war es unsystematisch und unvollständig. Entscheidenderweise erklärte es dabei nicht, wie der Widerstand der Kapitalist*innen gegen die Einführung dieser Reformen überwunden werden konnte.

Viele der Podemos-Führer*innen rechtfertigten diese Fehler mit den sogenannten “postmarxistischen” Ideen von Ernesto Laclau, einem in England lebenden argentinischen Akademiker, der auch den ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis zu seinen Schüler*innen zählt. Laclau wurde von der “rosa Welle” der Revolte gegen den neoliberalen Kapitalismus in Lateinamerika beeinflusst, die in den 1990er Jahren mehrere linke Führer in Bolivien, Venezuela und anderswo an die Macht gebracht hatte.

Er plädierte für eine Strategie, die sich nicht auf die Arbeiter*innenklasse stützt, sondern auf alle, die sich gerade in Opposition zum Establishment befinden – klassenübergreifende feministische Bewegungen, LGBT, Umweltschützer*innen, Arbeitslose usw. Er nahm die Bezeichnung “Populismus” positiv auf und sah in der unsystematischen Unbestimmtheit und dem Fehlen eines zusammenhängenden Programms eine Stärke, die es ermöglichte, viele verschiedene Gruppen der Gesellschaft in die Bewegung einzubeziehen. Leider halfen Theorien wie diese Podemos nicht voranzukommen.

Rückschlag im Jahr 2016

Ein Rückschlag bei den zweiten Parlamentswahlen, die Podemos im Juni 2016 bestritt, löste eine Krise in der Partei aus, die seitdem in einem Wahlbündnis mit der IU unter dem Namen Unidas Podemos (“Vereint können wir”, oder “UP”) auftrat. In der Parteiführung dominierte zu diesem Zeitpunkt der Gedanke, dass man sich zur Erhöhung der Attraktivität ein “seriöseres” Image zulegen müsse, nachdem man die Unterstützung derjenigen Menschen gewonnen hatte, die einen radikalen Wandel wollten. Die 2014 beschlossene radikale Politik, um beispielsweise “die öffentliche Kontrolle in Schlüsselsektoren der Wirtschaft wiederzuerlangen”, wurde zur Nebensache und die Partei begann, ihre Politik als “sozialdemokratisch” zu bezeichnen. Podemos schien sich von den Bewegungen abzugrenzen, aus denen sie hervorgegangen war – vorgeblich, um bei Wahlen mehr Stimmen zu gewinnen. Das Ergebnis war, dass die UP im Jahr 2016 eine Million Wähler*innenstimmen verlor.

Auf der “Vistalegre II”, der nationalen Konferenz von Podemos im Jahr 2017, plädierte Podemos-Mitbegründer Íñigo Errejón im Anschluss an die Wahlverluste, dass die Partei noch weiter nach rechts rücken solle. Iglesias sprach sich damals gegen eine solche Strategie aus und schimpfte, Podemos habe versäumt, zu Streiks gegen weitere Sparmaßnahmen aufzurufen und habe “wie unsere Feinde auszusehen” versucht.

Errejón wurde auf der Konferenz in aller Deutlichkeit abgewiesen, aber die grundlegenden Fehler wurden nicht korrigiert. Podemos hatte keine stabile Unterstützung in der Arbeiter*innenklasse aufgebaut, verfügte über keine starken demokratischen Strukturen und hatte weder die Methode noch die Ideen, die zur Überstehung der kommenden Turbulenzen geholfen hätten.

Als die Arbeiter*innen die Ideen der Organisation auf die Probe stellten, hätte sie nur ein umfassendes sozialistisches Programm zufriedenstellen können. Neben konkreten, unmittelbaren Forderungen zur Verbesserung der Bedingungen für die Arbeiter*innenklasse ist es notwendig, die vom profitorientierten kapitalistischen System gesetzten Grenzen zu überwinden, um all das zu erreichen, was die Arbeiter*innen brauchen. Die Vorherrschaft der gewinnorientierten Privatunternehmen über die Wirtschaft muss gebrochen werden und die Arbeiter*innen müssen die Kontrolle über die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums übernehmen.

Das Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale (CWI) erklärte, Podemos müsse sich an dem enormen Machtpotenzial orientieren, über das die Arbeiter*innen verfügen. Wir meinten, dass der Einfluss anderer Parteien in den Gewerkschaften zurückgedrängt werden sollte und dass Strukturen geschaffen werden müssten, die es den Menschen aus der Arbeiter*innenklasse ermöglichen, sich am Parteileben zu beteiligen und seine Ausrichtung mitzubestimmen – auch denen, die lange oder unvorhersehbare Arbeitszeiten haben. Es sollte eine ernsthafte und entschlossene Kampagne zum Aufbau eines “Zirkels” (Ortsgruppe) in jedem Arbeiter*innenvierteldurchgeführt werden. Auf ihrem Höhepunkt hatte Podemos 900 Zirkel, aber die Abdeckung war lückenhaft und die Zirkel waren nie Entscheidungsgremien. Wir schlugen vor, dass sich die Diskussionen auf Resolutionen über das weitere Vorgehen der Partei konzentrieren sollten und sprachen uns dafür aus, dass die Zirkel auf in Bezirks-, Stadt- und Regionalebene zusammengefasst werden, deren Mitglieder demokratisch gewählt werden und sich Arbeiter*innenorganisationen daran beteiligen können.

Dies hätte bedeutet, dass jedes Mitglied einen Vorschlag machen, die Unterstützung seines Kreises/seiner Ortsgruppe gewinnen und ihn durch die Strukturen der Organisationen auf die höchste Ebene bringen kann, um ihn als Maßnahme zu verabschieden. Alle verantwortlichen Positionen hätten gewählt werden müssen.

Ohne eine solide Basis in der Arbeiter*innenklasse war die Führung von Podemos nicht in der Lage, die Stimmungen und Ideen der Massen wahrzunehmen und taktische Fragen wie die Haltung gegenüber anderen politischen Kräften richtig einzuschätzen, insbesondere gegenüber der PSOE. Auch war sie anfälliger für den Druck, den der Kapitalismus auf seine politischen Gegner*innen ausübt.

Podemos und die PSOE

Das politische Terrain, auf dem Podemos agierte, änderte sich 2018 radikal, als der PSOE-Vorsitzende Pedro Sánchez den PP-Vorsitzenden Mariano Rajoy verdrängte und ihn als Premierminister ablöste.

Die PSOE geriet durch den raschen Aufstieg von Podemos in eine Krise. Diese ehemalige sozialdemokratische Partei war in den 1990er Jahren vom Kapitalismus erobert worden, als Teil des Rechtsrucks der ehemaligen Arbeiter*innenparteien, was erstmals vom CWI analysiert wurde. Dieser mächtige Flügel beherrschte die PSOE jahrzehntelang. Er setzte nach den Parlamentswahlen 2016 Sánchez im Namen der “Stabilität” ab, die der Kapitalismus so verzweifelt herbeisehnte. Dies geschah vor allem, damit Rajoy und die PP mit ihren vom Spardiktat blutverschmierten Händen die Kontrolle über die Regierung behalten konnten.

Andere in der PSOE verstanden jedoch die Notwendigkeit, sich nach links zu orientieren, um eine Ruinierung wie die der ehemaligen sozialdemokratischen Parteien in Griechenland, Frankreich und in anderen Ländern zu vermeiden. Acht Monate nach dem Putsch gewann Sánchez im Juni 2017 seinen Posten zurück. Nachdem er die Rechten in seiner eigenen Partei besiegt und ein Jahr später die PP-Regierung durch einen Misstrauensantrag gegen Rajoy zu Fall gebracht hatte, entwickelten sich in dieser Zeit gewisse Illusionen in Sánchez, weil es keine echte kämpferische Führung für die Arbeiter*innenklasse aus anderen Teilen der Partei gab.

Vor dem Hintergrund dieser Illusionen und des unter Arbeiter*innen vertretenen starken Wunsches, Rajoy loszuwerden, war es richtig, dass Podemos Sánchez die Regierungsbildung ermöglichte. Sie trug damit dazu bei, die Herrschaft der PP-Regierung zu beenden, sowie den wahren Charakter des PSOE-Programms zu entlarven. Aber Podemos ging noch viel weiter als das – sie boten Sánchez an, flehten zeitweise sogar, Podemos an der PSOE-Regierung teilnehmen zu lassen, obwohl Sánchez sich jeden Tag aufs Neue als zuverlässiges Werkzeug des Kapitalismus gegen die Arbeiter*innen darstellte.

Trotz vager Versprechen, den Interessen der Arbeiter*innen zu dienen und einiger minimaler Reformen zu ihren Gunsten, hat die Regierung Sánchez eindeutig im Interesse des Großkapitals regiert. Die Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst sind zum Beispiel um nur 2,5 Prozent gestiegen. Sánchez hat den von der PP geerbten Kürzungshaushalt beibehalten und die von der EU geforderten Sparmaßnahmen gehorsam umgesetzt. In der Zeit der Corona-Pandemie wurde den Profiten Vorrang vor der Sicherheit und den Interessen der Arbeiter*innen eingeräumt. Viele Aspekte der gewerkschaftsfeindlichen Gesetze sind immer noch in Kraft, ebenso wie die antidemokratischen Eingriffe in die freie Meinungsäußerung, den Redeverboten.

Nachdem er bei zwei Wahlen innerhalb eines Jahres keine Mehrheit erlangt hatte, gab Sánchez Podemos 2019 was sie forderte und im Januar 2020 traten Iglesias und mehrere andere Podemos- und IU-Führer*innen in die Regierung ein und erhielten Ministerämter.

Diese Einbindung der Podemos-Führer*innen in das kapitalistische Establishment hat ins Zentrum dessen getroffen, was Podemos einst populär gemacht hat. Man kann nicht vorgeben, das kapitalistische Establishment zu attackieren, während man dem König von Spanien im Zarzuela-Palast die Hand schüttelt. Dieser falsche Ansatz gegenüber dem Establishment war der Grund für die weiteren Wahlverluste im Jahr 2019, wonach die Partei mehr als die Hälfte ihrer ursprünglichen Spitzenwerte an Abgeordneten und Stimmen verlor. Sie verstärkte die in breiten Schichten der Bevölkerung vorhandene immense Skepsis, wonach alle Vertreter*innen politischer Parteien gleich seien und dass sie nur am persönlichen Machtzuwachs interessiert wären. Dieser Verdacht wurde durch Berichte verstärkt, wonach Iglesias und seine Partnerin 600.000 Euro für eine Villa mit Swimmingpool im Norden Madrids gezahlt haben sollen.

Wenn Podemos seine Unabhängigkeit gewahrt hätte, dann wäre sie in der Lage gewesen, jeden Vorschlag der Minderheitsregierung von Sánchez zu unterstützen oder abzulehnen – je nachdem, ob es den Interessen der Arbeiter*innenklasse entsprochen hätte oder nicht. Sie hätte die Hauptforderungen ihres Programms ins Parlament tragen und die Gegenstimmen der PSOE-Abgeordneten dazu entlarven können, während sie gleichzeitig Proteste auf der Straße organisiert und zu einer Streikkampagne aufgerufen hätte, um diese Forderungen durchzusetzen. Zu einem für Podemos günstigen Zeitpunkt, wenn die Illusionen in Sánchez und die PSOE verflogen wären, hätte sie Neuwahlen erzwingen und zulegen können.

Der Test ‘nationale Frage’

Der Eintritt in das spanische Establishment hat Podemos besonders geschadet, da das Verhältnis zwischen einem starken lokalen Nationalbewusstsein und dem spanischen Staat nicht geklärt war. Der kraftvolle Aufschwung der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung von 2017 war eine wichtige Bewährungsprobe für die Partei, die sie jedoch völlig verpatzte. Podemos war eine Partei, die aus stürmischen Bewegungen gegen den Kapitalismus hervorgegangen war. Ihr stand eine Bewegung gegenüber, die einige Züge von Revolution aufwies. Mehr als eine Million Menschen gingen bei verschiedenen Protestaktionen auf die Straße. Zeitweise wurde die Straße nach Frankreich blockiert und der Flughafen Prat besetzt. Als die für die Unabhängigkeit eintretende katalanische Regierung unter Druck gesetzt wurde, das Unabhängigkeitsreferendum 2017 durchzuführen, wurden spanische Staatstruppen eingesetzt. Sie gingen brutal gegen diejenigen vor, die versuchten, an der Wahl teilzunehmen. In dieser Folge bildeten sich Organisationen zur Verteidigung der Wahlurnen, die sich zu einer alternativen Staatsmacht hätten entwickeln können.

Aber Podemos hat es nicht einmal geschafft, diese Bewegung zu unterstützen – geschweige denn um ihre Führung zu kämpfen. Die Partei jammerte lediglich, dass es ein von beiden Seiten “einvernehmliches” Referendum geben solle und prangerte Gewalt im Allgemeinen an. Der Schaden wurde nicht nur in Katalonien selbst angerichtet, wo sie von ihrem Wahlsieg 2016 auf den sechsten Platz zurückgedrängt wurde. Podemos wurde zudem in Galicien praktisch ausgemerzt und verlor die Hälfte ihrer Sitze in der baskischen Region.

Keine linke Kraft wird heutzutage in Katalonien Unterstützung gewinnen können, wenn sie nicht das Selbstbestimmungsrecht der Nationen respektiert. Nach den Wahlen im Februar letzten Jahres hatten die unabhängigheitsbefürwortenden Parteien zum ersten Mal die Mehrheit im katalanischen Parlament. Das Thema schwappt zudem immer wieder auf die Straße, etwa als die spanische Justiz demokratiefeindliche Gesetze anwandte, um den Rapper Pablo Hasél ins Gefängnis zu bringen.

Die Unterstützung für die Unabhängigkeit hat nicht nachgelassen, aber gleichzeitig gibt es keine Aussicht, dass der spanische Staat dem industriereichen Katalonien eine Unabhängigkeit auf kapitalistischer Basis erlaubt. Dies ist ein deutliches Beispiel dafür, warum Podemos gescheitert ist. Nur eine Partei, die für die Unabhängigkeit und gleichzeitig für ein sozialistisches Katalonien eintritt, das alle sprachlichen und kulturellen Rechte für alle im Staat garantiert, hätte Unterstützung finden können. Ein sozialistisches Katalonien könnte ein Leuchtturm für die Arbeiter*innenklasse und die Jugend im gesamten spanischen Staat sein, um gemeinsam für den Sturz des Kapitalismus und die Errichtung einer sozialistischen Föderation im spanischen Staat und darüber hinaus zu kämpfen.

Der Aufstieg und Fall von Podemos ist voller Lehren für die weltweite Bewegung der Massen gegen die Austerität. Ihre Gründung mit einem anfänglich radikalen Programm war ein Fortschritt gegenüber der Kapitulation der früheren Arbeiter*innenparteien, weil sie einen politischen Widerstand gegen den Kapitalismus darstellte.

Aber ihre Unfähigkeit, die Methoden der Arbeiter*innenbewegung zu übernehmen oder sich an ihnen zu orientieren, führte ähnlich wie bei den sozialdemokratischen Parteien dazu, dass sie dem Druck des kapitalistischen politischen Systems erlag.

Der rasante Aufstieg von Podemos hat gezeigt, dass die spanischen Massen nach einer neuen Arbeiter*innenmassenpartei dürsten. Mit einem klaren sozialistischen Programm und einer Führung, die einer Massenmitgliedschaft gegenüber demokratisch rechenschaftspflichtig ist, kann solch eine Organisation eine echte Alternative zu den kapitalistischen Parteien darstellen.