Prostitution: Unfassbare Zustände

Buchtipp: „Entmenschlicht“ von Huschke Mau

Es ist keine Freude, dieses Buch zu lesen. Es ist ein großartiges Buch – die Augen öffnend, aufwühlend, wütend machend und auch Hoffnung gebend. Huschke Mau argumentiert in ihrem teils autobiographischen Buch „Entmenschlicht“ warum wir die Prostitution abschaffen müssen (so auch der Untertitel).

Von Sascha Staničić

In einer Zeit, in der in linken Kreisen beschönigend von „Sexarbeit“ die Rede ist und Deutschland nicht zuletzt durch seine liberale Prostitutionsgesetzgebung zum Freier-Mekka geworden ist, kommt dieses Buch genau zur richtigen Zeit.

Die Autorin weiß wovon sie spricht. Sie hat sich selbst zehn Jahre lang prostituiert bevor sie den Ausstieg geschafft hat und heute zur wahrscheinlich wichtigsten Aktivistin für die Abschaffung der Prostitution geworden ist, die unter anderem das Netzwerk Ella gegründet hat.

Mau beschreibt, was Prostitution tatsächlich ist: keine Arbeit, wie jede andere, sondern Gewalt und brutale, entmenschlichte und entmenschlichende Ausbeutung und Demütigung. In einer Mischung aus Autobiographie, Erfahrungsbericht und Verarbeitung wissenschaftlicher Studien zeichnet sie ein schonungsloses Bild dieses angeblich „ältesten Gewerbes der Welt“ – und räumt direkt mal mit diesem Mythos auf indem sie darauf hinweist, dass nach heutigem Forschungsstand wahrscheinlich die Hebamme das älteste Gewerbe der Welt ist.

Sie beschreibt die Faktoren, die dazu führen, dass Frauen in die Prostitution geraten: „eine Verkettung von unterlassener Hilfeleistung durch die Gesellschaft (und zwar seit frühester Kindheit), Retraumatisierungskreiseln, ökonomischem Druck und vor allem Menschenhandel“. Sie räumt auf mit dem Mythos der Freiwilligkeit und legt dar, dass Prostitutions-Sex niemals konsensualer Sex ist und wirft die Frage auf, wie der Leser oder die Leserin denn auf einen Freund reagieren würde, der von Sex mit einer Frau erzählt und dann sagt, er sei sich gar nicht sicher, ob diese Frau den Sex überhaupt wollte. Mau sagt: die Prostituierte sagt Ja zum Geld, aber nicht zum Sex. Für sie kommt nicht konsensualer Sex kommt einer Vergewaltigung gleich.

Die Autorin lässt die Leser*innen in die tiefsten Abgründe der Prostitution blicken – der Menschenhandel, die Gewalt gegen die Frauen, die vielen Morde an Prostituierten, die oftmals damit einher gehende Drogenabhängigkeit und psychische Erkrankung. Und insbesondere auch in das Denken der Freier. Mau zitiert ausführlich aus so genannten Freien-Foren im Internet. Der dort offen zur Schau getragene Hass und die Verachtung gegenüber Frauen lassen die Leser*innen erschaudern und nur einen Schluss zu: Die meisten Freier wissen, was sie tun.

Mau erklärt auch wie schwer der Ausstieg aus der Prostitution ist – auch, weil die Legalisierung des Gewerbes in der Bundesrepublik und die Vorstellung, es handele sich um Sexarbeit und diese sei wie jede andere Arbeit, dazu führen, dass Beratungsstellen nicht immer beim Ausstieg helfen, sondern in manchen Fällen mit der Prostitutions-Industrie und -Lobby kooperieren. Hinzu kommt, dass es zu wenige Beratungsstellen gibt. Ausgerechnet im links regierten Thüringen nicht eine einzige.

Die Stärke ihrer Argumentation ist aber, dass sie das Problem der Prostitution nicht als individuelles Problem der betroffenen Frauen betrachtet, sondern als gesellschaftliches Problem und deshalb argumentiert: Prostitution geht alle an! Denn sie macht etwas mit dem Frauenbild in der Gesellschaft und alle Frauen sind davon direkt oder indirekt betroffen.

Huschke Maus Buch ist auch eine Streitschrift für das Nordische Modell – die in Schweden, Norwegen und mittlerweile vielen anderen Ländern geltende Gesetzgebung, die Prostitution legalisiert, aber den Kauf von Sex verbietet und unter Strafe stellt. Dabei betont die Autorin, dass zum Nordischen Modell mehr gehört, als nur die gesetzgeberische Seite, nämlich folgende fünf Säulen: 1. Die grundlegende Annahme, dass Prostitution sexuelle Gewalt ist und nicht geduldet werden darf, 2. die völlige Entkriminalisierung der Menschen, die sich prostituieren, 3. Ausstiegsangebote, Beratungsstellen und Hilfsprojekte für Prostituierte, die aussteigen wollen, 4. Bildungsprogramme und Aufklärung und 5. das Verbot von Sexkauf und die Bestrafung all derer, die Prostituierte sexuell und finanziell ausbeuten.

Im Buch setzt sich die Autorin mit den Argumenten gegen dieses Modell auseinander und zieht eine, aus ihrer Sicht, positive Bilanz der Umsetzung des Nordischen Modells – ohne den Eindruck zu erwecken, das alleine würde die Prostitution in einem absehbaren Zeitraum abschaffen.

Huschke Mau hat Recht, dass Gesetze eine normative Wirkung haben – im Positiven wie im Negativen. Gesetzesänderungen sind oftmals Folge gesellschaftlicher (Bewusstseins-)Veränderungen, sie können solche aber auch verstärken. Offensichtlich ist das bei der Strafbarkeit von körperlicher Züchtigung von Kindern – die Gesetzgebung hat die Frage von einer Ansichtssache über Erziehungsmethoden und einer Privatangelegenheit zu einer gesellschaftlichen Frage gemacht. Das war richtig ohne dass damit Gewalt gegen Kinder abgeschafft worden wäre.

Deshalb kann man eigentlich nicht gegen das Nordische Modell sein, wenn man Prostitution bekämpfen will. Man muss sich aber auch bewusst sein, dass dieses die tieferen Ursachen von Prostitution nicht abschafft und somit auch Prostitution nicht wird abschaffen können. Denn solange es Kapitalismus gibt, wird es ein Interesse der herrschenden Klasse und ihres Systems an der Ungleichbehandlung von Frauen geben – um die unentgeltliche Hausarbeit auszunutzen, um die Arbeiter*innenklasse zu spalten und ihre Widerstandskraft zu schwächen. Solange es eine Klassengesellschaft gibt, wird es auch die Quelle der Prostitution und der Diskriminierung von Frauen geben. Die erschreckend hohen Zahlen von sexualisierter Gewalt gegen Frauen in Schweden, auch über zehn Jahre nach der Einführung des Nordischen Modells zeigen, das mehr nötig ist. Deshalb darf der Kampf gegen Prostitution nicht auf den Kampf für das Nordische Modell begrenzt werden und er sollte auch nicht an den bürgerlichen Staat abgetreten werden.

Es ist deshalb auch die Aufgabe der Arbeiter*innenbewegung, in den eigenen Reihen und der gesamten Gesellschaft Aufklärungskampagnen zu betreiben und Freiertum zu ächten. Und vor allem müssen die sozialen und ökonomischen Gründe, die Frauen (und auch einige Männer) in die Prostitution treiben, bekämpft und abgeschafft werden. Der Kampf gegen Prostitution muss also ein antikapitalistischer sein und Huschke Maus tolles Buch sollte die Leser*innen dieser Schlussfolgerung näher bringen, wenn es sie auch selbst nicht explizit zieht.

Huschke Mau: Entmenschlicht – Warum wir Prostitution abschaffen müssen

EDEL BOOKS, ISBN 978-3-8419-0794-3

430 Seiten, 19,95 Euro

Bestellbar bei: info@manifest-verlag.de

Zum Weiterlesen:

Ist Prostitution ein normaler Beruf? | Sozialistische Organisation Solidarität (solidaritaet.info)

Sexismus bekämpfen – in und mit der Arbeiter*innenbewegung | Sozialistische Organisation Solidarität (solidaritaet.info)

Frauenkampftag 2022: Feminismus und Sozialismus | Sozialistische Organisation Solidarität (solidaritaet.info)

Kein Kapitalismus ohne Sexismus …. | Sozialistische Organisation Solidarität (solidaritaet.info)