Arbeiter*innenbewegung mit neuer Stärke

Rekordbeteiligung bei fünfter Konferenz für gewerkschaftliche Erneuerung der Rosa-Luxemburg-Stiftung

1550 gewerkschaftlich Aktive kamen zur fünften gewerkschaftspolitischen Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung, deren erste vor zehn Jahren unter dem Motto „Erneuerung durch Streik“ organisiert worden war. Die Teilnehmer*innenzahl hat sich stetig gesteigert und im Vergleich zum letzten Mal sogar verdoppelt.

Von Angelika Teweleit

Zum einen ist dies Ausdruck dessen, dass gerade im letzten und diesen Jahr ein neues Maß an Streiks und Warnstreiks innerhalb von Tarifauseinandersetzungen und Arbeitskämpfen stattgefunden hat. Dies ist zum einen dem materiellen Druck auf die Kolleg*innen durch die hohe und anhaltende Inflation geschuldet, zum anderen hatte sich aber auch schon 2019 ein Aufschwung an gewerkschaftlicher Bewegung angedeutet. Diese Entwicklung war durch die Pandemie zunächst unterbrochen worden. Die diesjährigen Tarifauseinandersetzungen haben zu einer lange nicht mehr dagewesenen Beteiligung an Streiks geführt, wie auch zu einem Zuwachs von rund 70.000 neuen Mitgliedern alleine bei ver.di.

Zum anderen hat sich in den letzten Jahren in den Gewerkschaften insgesamt einiges getan. Die Bewegung von Krankenhausbeschäftigten für mehr Personal hat sich ausgehend von der Berliner Charité von unten entwickelt und innerhalb von ver.di neue Methoden durchsetzen können. So konnten neue Formen des Arbeitskampfes und der Einbeziehung von Kolleg*innen in die Streiks, wie in Form von Teamdelegierten-Strukturen und Verhandlungsführung durch die gesamte Tarifkommission etabliert werden. Hiermit wird ein höheres Maß an Transparenz und demokratischer Teilhabe der Kolleg*innen erreicht. Diese Beispiele wurden teilweise auch in anderen Bewegungen aufgegriffen.

Mit der aktuellen Tarifbewegung bei der Bahn wurde auch offenbar, dass sich in der Gewerkschaft EVG vieles verändert hat, es einen gewissen Generationswechsel in den Gremien gegeben hat und sich hier mehr aktive Kolleg*innen in die Strukturen einbringen, was unter anderem zu offensiven Lohnforderungen geführt hat. All das sind sehr positive Entwicklungen, die zu einer Stärkung der Gewerkschaftsbewegung führen können und die einen Raum für eine Debatte über die beste Strategie für eine solche Stärkung eröffnen.

Konferenzdiskussionen

Viele wichtige Themen wurden auf der Konferenz angesprochen, so die gerade stattgefundenen wie noch laufenden Tarifrunden, Erfahrungen mit Kämpfen gegen Betriebsschließungen einerseits und Personalmangel andererseits, Union Busting und Angriffe auf das Streikrecht, aber auch darüber, wie Gewerkschaften politische Aufgaben wahrnehmen müssten. Das führte jedoch leider nicht zu einer umfassenden Diskussion zur Frage, wie die Gewerkschaften heute politisch und strukturell aufgestellt sind und was sich ändern kann und soll.

So gab es zum Beispiel eine Veranstaltung zur Haltung der Gewerkschaften in der Kriegsfrage, aber weder wurde der Ukraine-Krieg in einen Kontext der gewerkschaftlichen Kämpfe gestellt, noch wurde die Frage, welche Haltung die Arbeiter*innenbewegung in diesem Krieg einnehmen soll zugespitzt diskutiert.

Die Frage einer Politisierung von Auseinandersetzungen wurde vor allem anhand der Klimafrage thematisiert. Hier wurde an den Erfahrungen des Streiktages von ver.di und „Fridays for Future“ im Rahmen der Tarifrunde bei Bund und Kommunen angeknüpft. Diese Zusammenarbeit soll im Rahmen der Tarifrunde im Nahverkehr 2024 vertieft werden. In einer Podiumsdiskussion wurde jedoch auch deutlich, dass es zwischen IG Metall und Klimabewegung deutlich weniger Schnittmengen gibt und gerade die Gefahr besteht, dass innerhalb der Arbeiter*innenklasse die Unterstützung für Klimaschutz sinkt, weil die Erfahrung gemacht wird, dass dieser durch die Masse der Bevölkerung finanziert werden soll. Wie sich dieser Herausforderung gestellt werden kann, wurde nur unzureichend bzw. mit der allgemeinen Aussage, dass Klimaschutz und soziale Frage zusammen gehören, beantwortet. Die LINKE-Vorsitzende Janine Wissler betonte in der Debatte zwar, dass auch die Eigentumsfrage gestellt werden müsse, aber zu einer klaren Aussage, dass es im Rahmen des Kapitalismus keine Lösung der Klimafrage geben kann und eine sozialistische Systemveränderung dringende Notwendigkeit ist, war niemand bereit.

Das hing auch damit zusammen, dass die Veranstalter*innen den Kreis von Referent*innen, vor allem bei den Plenumsveranstaltungen, aus dem Kreis der Gewerkschaftsführungen und -apparate und Wissenschaftler*innen, zusammen gesetzt hatte. So kam eine kritische Debatte, die von linken Basisgewerkschafter*innen hätte geprägt werden können, zu kurz. Das ist sicher auch Folge davon, dass mittlerweile eine hohe Zahl gewerkschaftlicher Gliederungen zu den Mitveranstalter*innen des Kongresses gehört.

So wurde eine Chance vertan, einen Raum zu bieten und Debatten zumindest in die entsprechende Richtung zu lenken, zur Frage ob und wie eine inhaltliche Kursänderung der Gewerkschaften weg von Sozialpartnerschaft hin zu einer kämpferischen Ausrichtung aussehen könnte. So kam es beispielsweise nicht zu einer offenen, kritischen Debatte zum Tarifergebnis bei Bund und Kommunen und Referent*innen aus ver.di beschönigten das Ergebnis und stellten es besser dar, als es von Seiten des Wirtschaftsinstituts DIW ausgerechnet wurde.

Während die Konferenzen seit 2013 einen großen Wert hatten, um einen Austausch unter Gewerkschaftslinken und über neue Kampf- und Beteiligungsformen herzustellen, mangelte es schon von Anfang an der Zielvorstellung des bewussten Aufbaus einer gewerkschaftspolitischen Alternative – inhaltlich wie auch personell.

Best Practice?

Stattdessen versuchen viele linke Gewerkschafter*innen, vor allem auch solche aus Organizing-Projekten und die aus verschiedenen linken Gruppen kommenden neuen Gewerkschaftssekretär*innen auf unterer Ebene, durch „Best Practice“ und so genannte Leuchttürme eine Änderung in den Gewerkschaften zu erreichen.

Beispiele wie die Berliner Krankenhausbewegung, die Krankenhausbewegung NRW, aber auch Erfolge der Organisierung wie bei Amazon, Lieferando und anderen sind sehr wichtig und können einen Beitrag zur Erneuerung und Veränderung der Gewerkschaften leisten. So wurden zum Beispiel ähnliche Strukturen von Teamdelegierten während der Tarifrunde im öffentlichen Dienst auch beim Wiederaufbau von gewerkschaftlichen Strukturen bei den Berliner Stadtreinigung aufgegriffen. Doch viele diskutieren Organizing-Methoden unkritisch und unpolitisch und erwecken den Eindruck, durch solche Methoden alleine können die nötigen Veränderungen in den Gewerkschaften erreicht werden. Eine konkrete kritische Bilanz der Erfahrungen fällt dabei auch unter den Tisch.

Handlungsfähige Vernetzung nötig

Eine Veränderung in den Gewerkschaften zu kämpferischen und demokratischen Organisationen bedarf aber mehr als Organizing und ein paar erfolgreiche Arbeitskämpfe. Es bedarf den bewussten Kampf um eine politische Veränderung und gegen die Existenz einer Gewerkschaftsbürokratie, die ein materielles Interesse an der Sozialpartnerschaft hat und den Kapitalismus nicht bereit ist infragezustellen. Kolleg*innen sollten zusammenfinden, um konkrete Forderungen und ein alternatives gewerkschaftspolitisches Programm zu formulieren und gemeinsam zu diskutieren, wie eine Strategie aussehen kann, um dies auch durchzusetzen. Das bedeutet sowohl inhaltliche Eckpunkte zu formulieren, als auch konkrete Initiativen zu ergreifen und personelle Alternativen aufzubauen. Auch, wenn sich eine grundlegende Veränderung in den Gewerkschaften nicht von heute auf morgen durchsetzen lässt, so ist es durchaus möglich, dies strategisch so anzugehen, dass mittelfristig Erfolge errungen werden können.

Die „Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften“ (VKG), das „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“ und andere Initiativen bieten hierzu Ansätze an. Zu einer Veranstaltung der VKG am Rande der Konferenz kamen etwa sechzig Kolleg*innen.

Weitere Informationen gibt es hier: www.vernetzung.org und www.netzwerk-verdi.de

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