Eine Antwort auf „The implosion of the ISA: Can the good traditions of the CWI be saved?“ von Andros Payiatsos
Der Artikel von Andros Payiataos (AP) über die Krise in der ISA und die Gründe für die Spaltung des CWI 2019 verdient eine Antwort. Nicht in erster Linie, weil er inhaltlich so gehaltvoll wäre, sondern weil er Sand in die Augen der Leser*innen streut, die die Spaltung des CWI selbst nicht an vorderster Front mitgemacht haben.
Von Sascha Staničić, Bundessprecher der Sol (CWI Deutschland) und Mitglied im Internationalen Exekutivkomitee des CWI
AP erweckt den Eindruck einer ausgewogenen und kritischen Bilanz der Entwicklungen in CWI und ISA und präsentiert sich und seine politische Strömung als die einzige Verteidigerin interner Demokratie in der Organisation.
Dem aufmerksamen Leser*innen wird jedoch auffallen, dass ein Aspekt völlig fehlt: eine kritische Bestandsaufnahme der eigenen Rolle als wichtiger Teil der Führung des CWI über Jahrzehnte, genauso wie eine umfassende politische Beurteilung der inhaltlichen Kontroversen, die sich im CWI entwickelt hatten und sich in der ISA fortsetzen.
Ein unwahres Narrativ des Fraktionskampfs
AP bedient stattdessen weiter das Narrativ, das er im Fraktionskampf innerhalb des CWI mit seinen damaligen Genoss*innen – die später die ISA gründeten – entwickelt hatte und das entscheidend dazu beitrug, dass in der damaligen Debatte nicht die politischen Inhalte im Mittelpunkt standen, wie es von uns angestrebt wurde (Die politischen Dokumente der Debatte finden sich hier: www.marxist.net).
Dieses Narrativ behauptet, die Krise des CWI habe ihre Ursache nicht in politischen Differenzen, sondern in der Tatsache, dass es das Internationale Sekretariat (IS – die hauptamtliche Leitung der Tagesgeschäfte des CWI mit Sitz in London) nicht akzeptieren konnte in einer zweitrangigen Frage – der Tagesordnung der IEK Sitzung 2018 und einem Konflikt in der irischen Sektion – in der Minderheit gewesen zu sein. Deswegen habe das IS im Laufe dieser IEK Sitzung fundamentale Differenzen “entdeckt” (sprich: konstruiert), eine Fraktion gegründet und zehn Monate später das CWI gespalten.
Es ist schwer vorstellbar, dass dies noch irgendjemand glaubt, nachdem die Entwicklungen der letzten Jahre doch unmissverständlich deutlich gemacht haben, dass es große politische Differenzen zwischen der ISA und dem CWI gibt und sich beide Organisationen offenbar in sehr unterschiedliche Richtungen entwickelt haben (.siehe dazu die verlinkten Texte am Ende des Artikels)
AP liegt nicht nur bei einigen nebensächlichen Fakten (dem Datum der IEK-Sitzung, der Größe des IEK etc) falsch (was den Schluss nahelegt, dass er dieses Dokument nicht besonders sorgfältig geschrieben hat), sondern auch bei der Darstellung der Gründe und des Verlaufs des Fraktionskampfes im CWI 2018/19.
Inhaltliche Differenzen mit der irischen Partei
Tatsächlich ging dem Ausbruch des Fraktionskampfes 2018 eine Debatte zwischen der irischen Führung und dem IS sowie einem IEK-Mitglied über das Wahlprogramm zur Parlamentswahl in Irland 2016 voraus. Die irische Socialist Party (damals Sektion des CWI) hatte ein Wahlprogramm veröffentlicht, das einen linksreformistischen Charakter hatte, was vom Internationalen Sekretariat kritisiert worden war. Der Inhalt des Programms wurde zwar von den Iren nicht bis zum Schluss verteidigt, aber sie wiesen die Warnung zurück, dass dieser Fehler aufgrund des hohen gesellschaftlichen Drucks geschah, unter dem sich die irische Partei angesichts ihrer Vertretung im Parlament befand.
Dann hatte das IS 2018 der Führung in Irland gegenüber erklärt, dass sie Diskussionsbedarf zur Frage des Umgangs mit Feminismus und dem programmatischen Eingreifen in die Kampagne für das Recht auf Abtreibung hat und dazu eine inhaltliche Debatte vorgeschlagen.
Zuvor hatten diese Fragen zu einer eigenen Plenumsdiskussion auf dem 11.CWI-Kongress Anfang 2016 geführt, wo die irischen Delegierten einem von der CWI-Führung ausgearbeiteten Dokument zugestimmt hatten. Das IS hatte auch auf einer IEK-Sitzung vor der Spaltung eine Debatte über die nationale Frage initiiert, um die irischen Genoss*innen zu ermutigen, die von ihnen entwickelten Differenzen offen anzusprechen, was die Ir*innen jedoch nicht taten.
Das heißt, dass nicht während der IEK Sitzung im Jahr 2018 Differenzen entdeckt/konstruiert wurden, sondern solche schon vorher benannt worden waren. Es stimmt jedoch, dass sich die Dimension dieser Differenzen erst im Verlauf der IEK-Sitzung und tatsächlich dann in den ersten Monaten der Fraktionsauseinandersetzung offenbart hat.
In ihrer „Resolution on the splits of the CWI and the ISA“ hält Internationalist Standpoint fest, dass keine der politischen Differenzen im CWI und der ISA eine Spaltung gerechtfertigt hätten und dass diese nur passierten, weil die jeweiligen Führungen in CWI und ISA nicht zu einer demokratischen Debatte bereit waren und sich plötzlich als bürokratisch entpuppt hatten (auch hier stellt sich die Frage, weshalb das AP nicht in früheren Debatten aufgefallen war).
Die Darstellung, das CWI habe keine Tradition demokratischer Debatte und die CWI-Führung könne keine Meinungsverschiedenheiten aushalten, entbehrt jeder Grundlage und wir werden in dieser Antwort ausreichend Gegenbeispiele anführen.
Politik ist Kern von Konflikten
Entscheidend ist jedoch, dass AP’s Blick auf die Konflikte und Spaltungen in CWI und ISA falsch ist und letztlich nicht der marxistischen Herangehensweise entspricht. Diese geht davon aus, dass Konflikte, die anscheinend einen organisatorischen oder auch persönlichen Charakter haben, tatsächlich in der Regel einen politischen Kern haben. So war es bei der Spaltung zwischen Menschewiki und Bolschewiki in der SDAPR 1903, so war es bei dem Bruch der Genoss*innen, die später das CWI bildeten, vom Vereinigten Sekretariat der Vierten Internationale 1965 oder bei der Spaltung des CWI mit der Gruppe um Alan Woods und Ted Grant 1992. Und so war es auch bei der Spaltung des CWI 2019. Es kann auch nicht anders sein, denn revolutionär-marxistische Organisationen basieren auf einem gemeinsamen politischen Verständnis, Herangehensweise und Handlungen. Solange dies passt, können organisatorische oder persönliche Konflikte in der Regel keine Dominanz entwickeln. Kommt es aber zu politischen Konflikten, erscheint es oftmals so, dass organisatorische und persönliche Fragen dominieren, insbesondere wenn beide Seiten für sich die Kontinuität der gemeinsamen Geschichte in Anspruch nehmen.
Unsere Herangehensweise war in dieser Debatte immer, die politischen Fragen in den Mittelpunkt zu stellen, diese zu analysieren, zu diskutieren und zu bewerten, welche Qualität sie haben. Unsere Analyse war 2018/19, dass die politischen Differenzen eine Qualität angenommen hatten, die die „guten Traditionen des CWI“, wie AP es nennt, also die Grundsätze, auf denen unsere Strömung aufgebaut wurde, in Frage stellten und somit den Bestand der Organisation gefährdeten.
Das beinhaltete die Frage der konsequenten Orientierung auf die Arbeiter*innenklasse und der kontinuierlichen Arbeit in den Gewerkschaften, der Zurückweisung kleinbürgerlicher Ideen der Identitätspolitik, der Verteidigung eines marxistischen Übergangsprogramms auch in Massenkämpfen und der Verteidigung der Idee einer weltweiten marxistischen Organisation auf Basis eines Programms, gemeinsamer Prinzipen und des demokratischen Zentralismus.
Wir haben damals unserer Opponent*innen gewarnt, dass ihre Weigerung diese Fragen zu diskutieren und zu lösen ihnen auf die Füße fallen wird, da sie einen prinzipienlosen Block gebildet hatten, in dem verschiedene Kräfte, die sich aus unterschiedlichen Gründen und Motiven gegen die IS-Führung wandten, gemeinsam agierten, dem aber eine gemeinsame politische Basis fehlte. Diese Analyse beinhaltete natürlich die Erkenntnis, das nicht alle Kräfte, die später die ISA gründeten in den angesprochenen inhaltlichen Fragen sich so weit von marxistischen Positionen entfernt hatten, wie dies die irische Sektion schon getan hatte. Aber durch die Bildung eines Blocks mit der irischen Führung wurde diesen unmarxistischen Ideen Vorschub geleistet und mittlerweile müssen sowohl Mitglieder von Internationalist Standpoint als auch der derzeitigen ISA-Mehrheit zugeben, dass wir in unseren Warnungen inhaltlich richtig lagen. AP selbst hat noch in einem Gespräch mit zwei CWI-Vertretern am Rande einer internationalen Konferenz in Mailand im Sommer 2023 gesagt, das Problem sei gewesen, dass wir (die Unterstützer*innen der IS-Mehrheit) zu schnell eine Fraktion gebildet hätten und uns zu schnell getrennt hätten, nicht aber unsere inhaltlichen Positionen. Auch in einer Diskussion mit zwei deutschen CWI-Mitgliedern, die im September 2023 Athen im Rahmen einer Solidaritätsreise für antifaschistische Proteste besuchten, äußerte sich AP ähnlich. Wieso er sich uns persönlich gegenüber anders äußert, als in seinen Texten, kann nur er selbst erklären.
Der Verlauf des Konflikts
Wir können jedenfalls nur alle und jeden, die sich ernsthaft mit der Spaltung des CWI in den letzten Jahren auseinandersetzen wollen, dazu auffordern, die politischen Fragen anzuschauen und zu analysieren und die politische Entwicklung der unterschiedlichen Organisationen seit 2019 zu bilanzieren.
Wir sehen uns aber gezwungen, die Darstellung von AP zurückzuweisen und die Leser*innen*innen auf den tatsächlichen Verlauf und Charakter der Auseinandersetzungen hinzuweisen. Seine Darstellung des Umgangs mit demokratischen Fragen im alten CWI entspricht auf unterschiedlichen Ebenen nicht der Wahrheit.
Beginnen wir mit der Reaktion einiger irischer Führungskräfte, die nach der Entdeckung des systematischen Hackens von Emails in der irischen Sektion ihre eigenen, privaten und geheimen Ermittlungen einleiteten, was AP als zweitrangiges Problem bezeichnet. Tatsächlich handelte es sich um einen schwerwiegenden Verstoß gegen demokratische Grundsätze durch Mitglieder der Führung der damaligen irischen CWI-Sektion. Sie handelten einseitig unter Umgehung der gewählten Gremien der Partei.
IS-Mitglieder erinnern sich daran, dass AP zu Beginn der Krise und vor der IEK-Sitzung mit dem IS übereinstimmte, was die Fehler der irischen Führung betraf. Nachdem das IS jedoch seinen Vorschlag abgelehnt hatte, eine internationale Untersuchungskommission nach Irland zu entsenden – was sinnlos war, da die irische Führung ihre Differenzen offen zum Ausdruck brachte und ihren politischen Kurs verteidigte – schloss sich AP der Opposition gegen das IS an.
Es fällt auf, dass unser Verteidiger der Demokratie in Athen, dieses selbstherrliche Vorgehen einzelner Führungsmitglieder nicht als größeres Problem betrachtet. Es war gerade das Internationale Sekretariat, das darauf bestand, dass über diesen Bruch demokratischer Prinzipien nicht einfach hinweggegangen werden kann, sondern dass dies diskutiert und aufgearbeitet gehörte. Diejenigen Kräfte, die später die ISA bildeten, zeigten schon damals ihren prinzipienlosen Charakter, als sie auf der IEK-Sitzung eine Resolution verabschiedeten, die das Vorgehen der irischen Führungsmitglieder milde kritisierte, während der irische Parteivorstand das Vorgehen unterstützte und als „proletarisch und prinzipienfest“ bezeichnete, in einem Beschluss, der unseres Wissens nach in der ISA niemals in Frage gestellt wurde.
Auch in anderen Fragen nimmt es AP nicht so genau mit der Wahrheit. Er behauptet, wir hätten als Minderheit die Ressourcen der Internationale gestohlen. Er vergisst zwei Dinge zu erwähnen: erstens, dass die Kräfteverhältnisse zwischen den beiden Lagern im CWI, die in der Mitgliedschaft existierten, sich nicht in den Gremien wiederspiegelten, weil die mit Abstand größte Sektion (England und Wales) dort deutlich unterrepräsentiert war, um eine Dominanz durch sie zu verhindern. Wir gingen berechtigterweise davon aus, dass die Mehrzahl der Mitglieder auf unserer Seite stand. Zweitens vergisst er zu erwähnen, dass einige Sektionen, die später die ISA bildeten, schon Monate vor der Spaltung aufgehört hatten, ihre internationalen Beiträge an die Zentrale in London zu überweisen. Zum Beispiel schuldete die US-Sektion zum Zeitpunkt der tatsächlichen Spaltung im Jahr 2019 etwas mehr als 14.000 US-Dollar an fälligen Zahlungen für 2018. Dieser Diebstahl ging unserer Entscheidung voraus, das CWI unter dem alten Namen neu zu begründen und die vorhandenen Gelder, die ungefähr den ausstehenden Beiträgen aus den ISA-Sektionen entsprachen, zu behalten.
Fraktionsrecht und Debattenkultur – den Praxistest machen
Genauso absurd ist es, wenn Internationalist Standpoint in seinen Resolutionen und Texten Fraktionsrechte beschwört, während sich die Genoss*innen 2018 daran beteiligten aus unserer Fraktionsgründung einen Skandal zu machen. AP und seine Genoss*innen scheinen für Fraktionsrechte einzutreten solange diese niemand wahrnimmt. Dabei war die Gründung einer Fraktion durch die Mehrheit des damaligen Internationalen Sekretariats und einer Minderheit der IEK Mitglieder, die transparenteste und demokratischste Vorgehensweise, um die inhaltliche Debatte zu führen und eine nachvollziehbare Trennung von IS und Fraktion zu erreichen.
Wir müssen auch schmunzeln, wenn AP in seinem Text einfordert, dass Diskussionen in einem ruhigen Ton und einer kameradschaftlichen Atmosphäre geführt werden müssen. Nicht das IS oder die Fraktion haben damals die Diskussionen auf der IEK Sitzung 2018 polarisiert, sondern die späteren ISA-Führer*innen und nicht zuletzt AP selbst. Vom Vorabend der Sitzung an gab es eine Kampagne gegen das IS und die Stimmung wurde durch verschiedene heutige ISA-Führer*innen in informellen Diskussionen auf den Gängen angeheizt. AP lief während der ominösen Tagesordnungs-Debatte schreiend durch den Saal und bezeichnete IS-Mitglieder als Lügner. Als die Fraktion am letzten Tag der Sitzung einen Resolutionsentwurf vorlegte, dem alle Beteiligten hätten zustimmen können und der das weitere Verfahren klären sollte, bestanden die späteren ISA-Führer*innen auf einer Kampfabstimmung. Sie legten einen alternativen Resolutionsentwurf vor, der zweitrangige Formulierungen enthielt, von denen sie wussten, dass wir ihnen nicht zustimmen konnten. In der Antragsbegründung sagte Per-Ake Westerlund, es komme auch darauf an, wer eine Resolution vorlege, nicht nur was drin stünde. Das Ziel war klar: durch eine Abstimmung eine Mehrheits-Minderheits-Situation erreichen und damit die Spaltung des CWI voran treiben. AP selbst habe ich während dieser Sitzung als doppelzüngig erlebt. Während des Versuchs eine Kompromissresolution zu entwerfen, versicherte er mir, dass auch die griechischen Genoss*innen inhaltliche Kritik an der irischen Führung haben und dass sie diese vortragen werden. Doch im weiteren Verlauf der Sitzung wurde nicht ein Wort der politischen Kritik geäußert, stattdessen wurde um die Iren herum eine Art Schutzwall errichtet und das lügenhafte Narrativ entwickelt, das IS wolle die irische Sektion „ausschließen oder gar „zerstören“.
Debatten im CWI
AP zeichnet ein Bild des CWI, in dem es keine demokratischen Debatten gab, die Führung einen Alleinvertretungs- und Unfehlbarkeitsanspruch und eine „Das CWI hatte immer Recht, hat immer Recht und wird immer Recht haben“-Haltung hat. Er weiß sehr genau, dass dieses Bild nicht der Wahrheit entspricht, aber wenn es so wäre, dann würde sich die Frage stellen, welche Rolle er denn als ein wichtiges Führungsmitglied des CWI über all die Jahre dabei gespielt hat, welche Debatten er eingefordert hat, die dann unterbunden wurden, welche Anträge er gestellt hat, um die Verhältnisse zu ändern?
Tatsache ist, dass das CWI eine Tradition von lebendigen und demokratischen Debatten hat, dass diese teilweise sogar öffentlich geführt wurden. Dazu gehörten in den letzten Jahrzehnten auch über Jahre existierende Meinungsverschiedenheiten zu bestimmten analytischen und perspektivischen Fragen, die aber eben nicht die Grundfesten des marxistischen Programms betrafen. Dazu gehörten der Klassencharakter Chinas, die Frage, wie weit die kapitalistische Globalisierung ging und gehen konnte, die Aussichten für den Euro und die europäische Integration, der Charakter verschiedener rechtsextremer Parteien und die eines marxistischen Programms zur Währungsfrage in der Griechenland-Krise. Wer sich allerdings an diese Debatte erinnert, wird sich auch daran erinnern, dass ausgerechnet AP selbst sich nicht nach den von ihm in seinem Text formulierten Verhaltensregeln – ruhig und geduldig – verhalten hat. Als es auf einer Sommerschulung, wahrscheinlich im Jahr 2014 – ein IS-Mitglied wagte, das währungspolitische Programm der damaligen griechischen CWI-Sektion in Frage zu stellen, reagierte er darauf mit einem Beitrag, der viele im Saal ob seiner Schärfe und persönlichen Angriffigkeit überraschte und schockierte. Auch mit dem IS-Mitglied, das damals bei einem Besuch in Griechenland für eine andere taktische Ausrichtung hinsichtlich von Syriza eintrat, hatte er keine Geduld und verlangte, dass dieser Genosse (der wahrscheinlich Fehler gemacht hatte) nicht mehr nach Griechenland entsendet werden solle.
Im CWI werden Debatten und Meinungsverschiedenheiten nicht als Bedrohung betrachtet, sondern als notwendiger Bestandteil von demokratischen politischen Meinungsbildungsprozessen. AP’s Behauptung, dass jede vom IS abweichende Meinung als „Abkehr vom Marxismus“ betrachtet würde, entbehrt jeder Grundlage. Die Tatsache, dass die Independent Socialist Group aus den USA sich politisch und organisatorisch an die Seite des CWI gestellt hat, zeugt davon.
Jeder weiß, dass diese Genoss*innen in der alten US-Sektion uneins darüber waren, wie sie sich taktisch auf die international diskutierte Kampagne von Bernie Sanders ausrichten sollten. Das ist eine Frage, die immer noch diskutiert wird, aber die Situation in den USA hat sich jetzt offensichtlich geändert. Eine hundertprozentige Übereinstimmung in dieser Frage ist nicht notwendig, weil es sich nicht um eine Frage handelt, die marxistische Prinzipien betrifft, auch wenn sie sehr wichtig ist. Aber dieses Beispiel zeigt, dass im CWI Debatten willkommen sind und Meinungsverschiedenheiten ausgehalten werden.
Das bedeutet aber nicht, dass es nicht die Verantwortung gäbe, jede Debatte und jede Meinungsverschiedenheit seriös zu analysieren und in den Fällen, wo es sich um eine Abkehr von wichtigen marxistischen Prinzipien handelt, dies auch zu benennen und zu bekämpfen. Wenn es in der Geschichte des CWI ein Phänomen gibt, dann sicher nicht, dass sich schnell – wie AP behauptet – eine „Wir sind besser ohne sie dran“-Haltung in Debatten entwickelt hat, sondern dass wir eher zu lange und mit zu viel Geduld mit Genoss*innen diskutierten, die sich oftmals politisch (und innerlich) schon vom CWI abgewendet hatten – ob mit den Genoss*innen in Schottland in den 1990er Jahren oder Oppositionsgruppen, die sich zum Beispiel in der deutschen Sektion Ende der 90er Jahre oder in den 2010er Jahren entwickelt hatten.
Ich selbst hatte zum Beispiel auf einem Weltkongress 2002 Konflikte mit IS-Mitgliedern über die Frage der Orientierung auf die damals wichtige internationale Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung. Es gab kontroverse und teils scharfe Debatten. Wie auch zu anderen Zeitpunkten, als ich in bestimmten Fragen eine Meinung vertreten habe, die nicht der des IS entsprach. Aber zu keinem Zeitpunkt wurde ich deswegen an den Rand gedrängt, unter Druck gesetzt oder ähnliches. Wenn AP nun schreibt, das CWI habe die feministischen und ökologischen Bewegungen unterschätzt, ist das eine legitime Meinung. Die Frage ist, wieso er keine Vorschläge gemacht hat,
um dies aus seiner Sicht zu korrigieren. Tatsächlich haben wir diese Bewegungen nicht unterschätzt, sondern wir haben uns nicht von ihrer Quantität blenden lassen und haben unseren Umgang mit diesen Bewegungen von ihrer klassenmäßigen Zusammensetzung leiten lassen. Aber selbst wenn wir dies getan hätten, wäre das nicht vergleichbar mit den inhaltlichen Punkten, um die es im Fraktionskampf ging. Denn Fragen von dieser oder jener Einschätzung sind etwas anderes als das programmatische Nachgeben gegenüber dem Druck kleinbürgerlicher Bewegungen. Und dabei hatten die griechischen Genoss*innen wirklich den Vogel abgeschossen, als sie im Rahmen einer Kampagne gegen eine umweltschädliche Goldmine in Chalkidiki in einem Flugblatt die Minenarbeiter*innen faktisch aufforderten, ihre Jobs zu kündigen, weil die Umwelt und das Leben ihrer Kinder wichtiger seien. Die Genoss*innen von Xekinima haben diese Aussage versucht zu relativieren und zu verteidigen, besaßen aber nicht die Größe, dies als Fehler einzugestehen. Soviel zum Thema „immer Recht zu haben“.
Wer trägt Verantwortung?
Wie konnte es zu dieser ideologischen Implosion im CWI kommen und welche Verantwortung trägt das Internationale Sekretariat und das frühere IEK? Es wäre natürlich falsch, wenn sich das IS oder auch die IEK-Mitglieder, die dem CWI treu geblieben sind, von jeglicher Verantwortung frei sprechen würden. Natürlich ist es richtig, dass nach der Spaltung eine selbstkritische Bilanz nötig wurde und man die Frage diskutieren musste, was man in Zukunft anders machen kann, um solchen Entwicklungen möglichst frühzeitig entgegenzuwirken. Das ist im CWI nach der Spaltung auch geschehen. Aber natürlich kann man sich dieser Frage nur richtig nähern, wenn man einen Sinn für Proportionen wahrt.
Und wenn man das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheidet. Wenn man jedoch das Unwesentliche, nämlich organisationspolitische Fragen, überhöht und den politischen Kern des Konflikts negiert, muss man zu falschen Schlussfolgerungen kommen.
Darum muss man als erstes sagen: die politische Verantwortung dafür, dass die Führungen der früheren CWI-Sektionen in Irland, Belgien und anderen Ländern den politischen Kurs des CWI verlassen hatten, liegt …. bei den Führungen der früheren CWI-Sektionen in Irland, Belgien und anderen Ländern! Die Frage so zu stellen, wie AP es tut – wer hat denn diese Kräfte rekrutiert und ausgebildet – um dem IS die Verantwortung zu geben, ist undialektisch und verkennt, dass es für die Entwicklung von niemandem Garantien gibt und dass, gerade in kleinen Organisationen, der Druck der objektiven Ereignisse auf die Mitglieder, auch auf die Mitglieder der Führung, immens ist. Der tiefere Grund für die politischen Differenzen innerhalb des CWI liegt in der objektiven Entwicklung: den Niederlagen nach dem Aufschwung von Klassenkämpfen und neuen linken Parteien nach der Großen Rezession und in der Euro-Krise, vor allem in Griechenland und Spanien. Die Schwäche der Arbeiterbewegung und die Tatsache, dass sich Kämpfe und Bewusstsein weniger schnell entwickelten, als wir es gehofft hatten. Dann wirkten klassenübergreifende Protestbewegungen wie die Umweltbewegung und die Frauenproteste und eine Abkehr von kontinuierlicher Arbeit in den Gewerkschaften für diese früheren CWI-Sektionen als Ausweg aus einer schwierigen Situation.
Nach AP’s Logik muss man fragen: War Lenin für die Entwicklung des Menschewismus verantwortlich? Waren wir verantwortlich für den Weg, den Alan Woods und Ted Grant eingeschlagen haben? Welche Verantwortung trägt AP für den starken Rückgang der Mitgliederzahlen der griechischen Sektion um ein Drittel in den Jahren nach dem Syriza-Verrat und vor der Spaltung des CWI, in denen er dem IS und dem IEK immer wieder versicherte, dass die Niederlage zu Demoralisierung und Spaltungen in der übrigen Linken geführt habe, die griechische Sektion aber nicht wesentlich betroffen sei?
Lehren ziehen
Aber ja, es gab Schwächen und Fehler, die dazu beigetragen haben, dass der Fraktionskampf im CWI sich überraschender entwickelte, als es vielleicht nötig gewesen wäre. Diese lagen jedoch nicht nur beim IS, sondern auch im IEK und den Führungen der nationalen Sektionen. Vor allem lag der Fehler bei denjenigen, die ihre Kritik und Ansichten nicht offen vorgetragen haben, sondern hinter dem Rücken des IS konspiriert haben oder, wie es mittlerweile von den Iren zugegeben wird, Positionen in ihren Sektionen geändert hatten, ohne dies international zur Diskussion zu stellen.
Gleichzeitig gab es zu oft eine Praxis, Debatten bilateral zwischen IS und den entsprechenden nationalen Führungen zu führen, statt die gesamte internationale Führung in Form des IEK einzubeziehen. Das galt vor allem für die Debatte um das irische Wahlprogramm 2016, die nicht vor das IEK gebracht worden war. Seit der Neugründung des CWI werden auch die neuen Kommunikationsmöglichkeiten dazu genutzt, Sondersitzungen des IEK zu spezifischen Fragen, wie der Covid-Pandemie oder dem Gaza-Krieg, per Zoom durchzuführen.
Und es gab zweifelsfrei zu oft die Haltung eines Vertrauensbonus. Ich selbst habe mich rückblickend betrachtet, vor allem in Bezug auf Griechenland, zu schnell mit Antworten zufrieden gegeben, wo ich hätte weiter zweifeln müssen. Ich hatte zum Beispiel oft Fragen zu der Arbeit, die die damalige griechische Sektion unter Geflüchteten leistete. Eine marxistische Organisation sollte nicht als Ersatz für NGOs fungieren oder opportunistisch auf der Grundlage von NGO-ähnlicher Arbeit rekrutieren. Stattdessen sollte sie darauf abzielen, Geflüchtete, Asylsuchende und alle, die sich im Kampf befinden, von der Notwendigkeit eines sozialistischen Wandels und der Bedeutung einer revolutionären Partei zu überzeugen. Die Geflüchteten, die ich traf, wurden auf einer sehr unklaren politischen Grundlage rekrutiert, und mein Eindruck war, dass sie eher aus Respekt vor der praktischen Hilfe, die sie erhalten hatten, als aus politischer Überzeugung beigetreten waren. Ich glaube, dass nur eine handvoll von ihnen Mitglied geblieben sind. Ich hatte auch meine Zweifel an der mangelnden Orientierung und Einheitsfrontpolitik gegenüber der KKE und den Eindruck, dass sie zwar in einigen Betrieben Aktivitäten gestartet hatten, aber keine Strategie für die Arbeit innerhalb der Strukturen der Gewerkschaften hatten.
Als ich 2018 dann den Forderungskasten von Xekinima per Google übersetzte, war ich schockiert, wie wenig und wie oberflächlich dieser Fragen der Gewerkschaftspolitik aufgriff und dachte, dass kein*e linke*r Gewerkschafter*in davon den Eindruck gewinnen kann, dass dies eine Organisation für ihn/sie sein könnte. Aber ja, das hätte uns auch früher auffallen können.
Wir haben auch andere Lehren gezogen, nicht zuletzt hinsichtlich der Frage, wie man eine ideologische Klarheit in der Organisation bewahren kann, wie man mit der oftmals hohen Zahl studentischer Neumitglieder (die manchmal mit Illusionen in Identitätspolitik eintreten) umgeht etc.
Aber all das bedeutet nicht, dass die Krise der ISA eine Krise des CWI oder eine Fortsetzung der CWI-Krise sei. Die Wege haben sich getrennt und die Krise der ISA ist Folge der falschen politischen Orientierung und des prinzipienlosen Charakters, den diese Organisation von ihrem ersten Tag an hatte. Tatsächlich ist ja der Austritt von AP und seinen Genoss*innen aus der ISA und auch die derzeitigen Konflikte in der ISA eine nachträgliche Bestätigung unserer Kritik.
AP meint, es sei bizarr, dass wir behaupten, unsere Warnungen seien bestätigt worden, weil wir die Trennung der Organisationen aus Spanien, Venezuela, Mexiko und Portugal von unserer Fraktion und dem gesamten CWI inmitten des Fraktionskampfes im Frühjahr 2019 nicht vorhergesehen haben. Dieses Beispiel zeigt, wie unseriös er argumentiert. Er wirft etwas in den Raum, was auf den ersten Blick seine Position zu stärken scheint, dies jedoch bei näherer Betrachtung nicht tut.
Es stimmt, dass es einen Konflikt in unserer Fraktion gab und eine Gruppe die Fraktion und das CWI verließ, die daraufhin die Internationale Revolutionäre Linke gebildet hat. Dass wir es zu diesem Bruch haben kommen lassen, zeigt, dass wir eben keinen prinzipienlosen Block gebildet haben, sondern den Fraktionskampf auf einer klaren politischen Grundlage führen wollten. Zweitens war dieser Bruch nicht vorherzusehen, weil die spanische Führung und ihre Gefolgsleute unehrlich waren. Der Bruch entwickelte sich um Fragen, die gar nichts mit den Debatten des Fraktionskampfes zu tun hatten, sondern plötzlich erklärten die IR-Vertreter*innen, dass sie mit grundlegenden CWI-Analysen zum Bewusstsein in der Periode nach dem Zusammenbruch des Stalinismus und den daraus noch existierenden Folgen und unserer Herangehensweise an die so genannte doppelte Aufgabe nicht einverstanden sind.
Umgang mit der ISA-Krise
Frohlocken wir über Krise der ISA? Zumindest geben die von AP zitierten Passagen aus unserem Artikel zur Krise der ISA das nicht her. Wir würden es begrüßen, wenn sich auf der Grundlage von Erfahrungen genügend Gemeinsamkeiten entwickeln würden, um wieder zusammenzukommen. Aber Politik und der revolutionäre Kampf sind kein Wunschkonzert. Und es geht auch nicht darum, welche Emotionen Mitglieder des CWI oder des Internationalist Standpoint angesichts der nahenden ISA Spaltung haben. Es geht darum, aus Ereignissen und Entwicklungen zu lernen und alle nötigen Schlussfolgerungen für den Aufbau einer revolutionär-marxistischen Kraft zu ziehen.
Einige Mitglieder der ISA, einschließlich des ehemaligen ISA-Leitungsmitglieds Sonja Grusch, haben diese notwendigen Schlussfolgerungen gezogen, nachdem sie die Krise der ISA zum Anlass genommen haben, den Fraktionskampf und unsere Argumente, Positionen und Warnungen noch mal zu überdenken. Auch einzelne ISA-Mitglieder in Nigeria, Großbritannien und Irland haben dies getan – und sind zum CWI zurück gekehrt. Persönlich ist ihnen das sicher nicht leicht gefallen, aber es gilt: Politics first!
Spinoza sagte einmal: Nicht weinen, nicht lachen, verstehen. Lenin zitierte dies. Das ist auch unsere Herangehensweise an die Krise der ISA. Aber warum sollen wir nicht darauf hinweisen, dass genau das geschehen ist, was wir vorhersagt haben? Marxismus ist auch die Wissenschaft der Perspektiven. Und in unserer Vorhersage und Warnung steckt ja möglicherweise ein Hinweis darauf, dass auch unsere sonstigen Argumente im Fraktionskampf richtig waren. Zumindest könnte man diesen Umstand zum Anlass nehmen, sich diese Argumente noch einmal unvoreingenommen anzuschauen anstatt um jeden Preis einen Weg zu suchen, der einen als Opfer der Bürokraten in CWI und ISA erscheinen lässt, mit weißer Weste und moralischer Erhabenheit, wie es der Genosse AP versucht.
Hat das CWI immer Recht?
Und nein, das CWI hatte nicht immer in Allem Recht, hat nicht immer in Allem Recht und wird nicht immer in Allem Recht haben. Im Gegensatz zu anderen Strömungen haben wir unsere Fehler auch öffentlich bilanziert, sei es beim Kampf des Liverpooler Stadtrats, bei der unmittelbaren Einschätzung der kapitalistischen Konterrevolution in Ostdeutschland oder, im Falle der deutschen Sektion, unser taktischer Fehler 2007 in Ostdeutschland und Berlin nicht der Linkspartei beizutreten. Aber AP weist ja richtigerweise darauf hin, dass das CWI „positive Charakteristika“ hat bzw. aus seiner Sicht hatte. Wir würden alle Genoss*innen des Internationalist Standpoint auffordern zu überprüfen, ob diese Charakteristika für das heutige CWI noch gelten oder nicht und, wenn ja, wie das möglich sein kann, wenn die Führung des CWI so ein verrotteter, bürokratischer Haufen ist, wie AP es behauptet. Denn er hat Recht, wenn er schreibt: „Es gibt eine klare Verbindung zwischen korrekten Perspektiven, politischen Ideen, Taktik, Slogans etc. und dem internen Regime Korrekte und ausgewogene Ideen können nur durch interne Diskussionen und Debatten in einer demokratischen Athmosphäre, international und national, entwickelt werden.“ Wir fragen ihn und seine Genoss*innen von Internationalist Standpoint: wo sind unsere Perspektiven, Ideen, Taktiken, Slogans so falsch, dass sie auf das von Euch beschriebene bürokratische Regime schließen lassen?
Wir haben nicht in Allem Recht und wir haben nicht die Vorstellung, dass das CWI sich geradlienig zu einer revolutionären Massenorganisation entwickelt. Wir gehen davon aus, dass auf dem Weg zu einer solchen revolutionären Massenorganisation auch Vereinigungen mit anderen revolutionären Organisationen stattfinden werden (entscheidend wird es aber sein, die Schichten der Arbeiter*innenklasse und Jugend zu erreichen, die neu in den Kampf treten werden) und wir haben, vor allem in den letzten 35 Jahren, jede Gelegenheit wahrgenommen, um mit anderen revolutionären Strömungen zu diskutieren und herauszufinden, ob die Gemeinsamkeiten für ein Zusammengehen ausreichen und wir tun dies gerade mit Organisationen in Lateinamerika, Europa und Asien. Wir sind aber auch davon überzeugt, dass dazu eine Übereinstimmung in prinzipiellen politischen und methodischen Fragen nötig st und eine ehrliche Benennung von Meinungsverschiedenheiten, sollten sie noch bestehen.
Wir denken nicht, dass die Übereinstimmung in allgemeinen revolutionären und marxistischen Phrasen ausreichen, um zusammenzukommen. Dies scheint jedoch die Herangehensweise von Internationalist Standpoint zu sein. Zumindest muss man diesen Eindruck gewinnen, wenn man die gemeinsame Erklärung liest, die sie mit dem Workers International Network (WIN) vom ehemaligen CWI-Mitglied Roger Silverman verfasst haben. Diese Erklärung ist so allgemein und voller marxistischer Selbstverständlichkeiten, dass wahrscheinlich jede trotzkistische Organisation sie unterschreiben könnte. Wenn man sie gelesen hat, ist man nur nicht schlauer, was die Politik, das Programm, die Taktiken angeht, die Internationalist Standpoint und WIN in der gegenwärtigen Epoche konkret anwenden wollen.
Wir sind gleichzeitig davon überzeugt, dass die von AP aufgeführten „positiven Charakteristika“ des CWI weiterhin gelten (uns würden noch weitere einfallen) und dass diese eine wichtige Voraussetzung dafür sind, wenn eine revolutionäre Organisation Masseneinfluss gewinnen will. Denn das hebt das CWI gegenüber anderen trotzkistischen Strömungen ab: Unsere Fähigkeit Massenkämpfe zu führen, aber auch im Kleinen unsere Fähigkeit Verbindungen mit Teilen der Klasse im Kampf aufzunehmen ohne das sozialistische Übergangsprogramm und die revolutionäre Perspektive aufzugeben.
Demokratischer Zentralismus
Internationalist Standpoint will den Eindruck erwecken, dass sie die einzigen sind, die den wahren Charakter des demokratischen Zentralismus, so wie Lenin und Trotzki ihn verstanden haben, wiederentdeckt hätten. Der entscheidende Punkt dabei scheint für sie zu sein, dass Minderheiten in einer revolutionären Organisation das Recht haben sollten, ihre abweichende Meinung auch öffentlich kundzutun.
Wir haben schon oben festgestellt, dass der Respekt von AP gegenüber Fraktionsrechten in dem Moment nicht besonders ausgeprägt war, als wir eine Fraktion gegründet haben. Er hatte auch kein Problem damit, die Rückberichte und Diskussionen unmittelbar nach der IEK-Sitzung 2018 innerhalb der griechischen Sektion ohne Anwesenheit von Fraktionsvertretern durchzuführen und so dafür zu sorgen, dass die Mitglieder in Griechenland sich ihre erste (und oftmals entscheidende) Meinung auf Basis einer einseitigen Darstellung der Ereignisse und Argumente bilden mussten.
Nun bestehen im CWI international und in seinen Sektionen Fraktionsrechte und niemand wird daran gehindert, Kritik oder abweichende Meinungen vorzubringen, im Gegenteil versuchen wir das in der Regel zu fördern und dazu zu motivieren.
Was ist nun der Vorteil davon, dies öffentlich zu tun? Wir haben gar nichts prinzipiell dagegen, auch öffentliche Debatten zu führen und haben das in der Vergangenheit zu verschiedenen Gelegenheiten getan (zum Beispiel auf den Seiten von Socialism Today über Fragen des Staats, des Klassencharakters Chinas oder des Übergangsprogramms). In der Satzung der Sol ist festgeschrieben, dass Fraktionen jedoch beantragen müssen, wenn sie an die Öffentlichkeit gehen wollen. Das ist aus unserer Sicht eine sinnvolle Regelung, denn sobald eine Debatte öffentlich stattfindet, kann sie ihren Charakter verändern. Die Öffentlichkeit kann zu einer unnötigen Zuspitzung führen und es Beteiligten schwerer machen, ihre Positionen zu korrigieren. Deshalb muss die Frage, ob eine kontroverse Debatte, die in einer revolutionären Organisation stattfindet, auch öffentlich ausgetragen werden soll, von der konkreten Situation abhängig gemacht werden.
Dies jedoch, wie es Internationalist Standpoint zu machen scheint, zum Prinzip zu erheben, wirft tatsächlich die Frage auf, ob das Organisationsprinzip des demokratischen Zentralismus dann noch Anwendung finden kann.
Denn die Organisationsform der revolutionären Organisation ist sowohl auf die demokratische Debatte zur Entwicklung richtiger Positionen, aber eben auch auf kollektives revolutionäres Handeln ausgerichtet. Wir geben gerne das Beispiel des Streiks. Von Arbeitern, die in einer demokratischen Abstimmung gegen den Streik gestimmt haben, wird erwartete, dass sie sich am Streik beteiligen. Alles andere wäre Streikbruch und Klassenverrat. Doch es würde auch erwartet, dass sie ihre Kritik innerhalb der Belegschaft formulieren und nicht zum Beispiel Presseinterviews geben, wo sie gegen den Streik agitieren. Dann würden sie zum Trojanischen Pferd. Dieses Beispiel sollte reichen, um deutlich zu machen, dass die Öffentlichkeit einer Debatte von der konkreten Situation abhängig gemacht werden sollte und davon, ob diese Öffentlichkeit der Organisation und dem Klassenkampf insgesamt helfen oder schaden.
AP empört sich über unsere Einschätzung, dass Internationalist Standpoint eher ein loses Netzwerk, als eine auf demokratischem Zentralismus basierende revolutionäre Internationale ist. Während des Fraktionskampfes haben wir die Genoss*innenen, die später die ISA gründeten, davor gewarnt, dass sie eine mandelistische Sichtweise entwickelten (in Anlehnung an die Politik des verstorbenen Ernest Mandel, der ein Führer des Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale war), die durch Opportunismus und organisatorische Unzulänglichkeit gekennzeichnet war. Wir sehen diese Warnung in der gegenwärtigen Situation der ISA (wo es zum Beispiel drei verschiedene Positionen zum Ukraine-Krieg gibt), aber auch im Hinblick darauf, wie Internationalist Standpoint argumentiert, bestätigt. Wir sind froh, dass sie das Konzept einer revolutionären Organisation auf der Grundlage des demokratischen Zentralismus nicht aufgegeben haben, auch wenn wir einen anderen Eindruck haben. Wir gehen davon aus, dass die Gültigkeit des demokratischen Zentralismus von einigen Genoss*innen im Internationalist Standpoint bestritten wird und dass das leninistische Konzept der Rolle der Partei im WIN abgelehnt wird.
Wir stimmen jedoch damit überein, dass revolutionäre und Arbeiterorganisationen, deren Übereinstimmung noch nicht weit genug für eine gemeinsame Organisation geht, andere Formen der Zusammenarbeit in Bündnissen, Netzwerken, Fronten finden müssen.
Aber darum geht es nicht. Es geht um die Frage des revolutionären Programms, der Orientierung auf die Arbeiter*innenklasse und des Aufbaus einer revolutionären Organisation. AP geht davon aus, dass es innerhalb des CWI Genoss*innen gibt, die offen für seine Kritik sind und „Zweifel an den Perspektiven des CWI, seinem mangelnden Wachstum und vorwärtsweisender Dynamik haben werden“. Wir scheuen diese Debatte nicht. Das CWI ist aus der Spaltung 2019 ideologisch gestärkt hervor gegangen.Wir haben uns nicht gespalten oder sind in einen Sumpf interner Konflikte geraten. Einige Sektionen sind gewachsen, andere haben ihre Mitgliedschaft in einer objektiv schwierigen und komplexen Situation gehalten. Wir sind mit der Entwicklung unserer Organisation seit der Spaltung zufrieden und wissen gleichzeitig, wie weit wir noch davon entfernt sind, unsere Ziele zu erreichen. Aber es geht nicht darum, eine politische Organisation anhand kurzfristiger Mitgliederentwicklungen zu beurteilen. In Deutschland haben wir uns seit der Spaltung verdoppelt – das bedeutet nicht, dass wir deswegen automatisch politisch immer Recht haben. Die Frage, welche Strömung und Organisation Programm und Methoden vertritt, die dazu geeignet sind, eine marxistische Kraft in der Arbeiter*innenklasse zu verankern muss jeder selbst beurteilen auf der Basis der politischen Aussagen und der politischen Praxis der jeweiligen Organisation.
Das CWI wird weiterhin mit anderen Linken zusammenarbeiten, wo es praktisch und prinzipiell sinnvoll ist, auch mit den Genossinnen und Genoss*innen von Internationalist Standpoint, wobei wir unsere eigenen Ideen, Programme und Methoden beibehalten. Gleichzeitig werden wir immer nach politischer Klarheit streben, wozu auch gehört, dass wir unsere Geschichte, Ideen und Methoden deutlich und ehrlich verteidigen und analysieren.
Wir laden alle aktuellen und ehemaligen Mitglieder der ISA und des Internationalist Standpoint dazu ein, das CWI auf dieser Grundlage zu prüfen und mit uns in Diskussion zu treten.
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