Die frechen Forderungen der Wirtschaftsbosse

Foto: Allianz-Chef Oliver Bäte beim Weltwirtschaftsforum 2017, https://www.flickr.com/photos/worldeconomicforum/32288397001, CC BY-NC-SA 2.0

Länger und mehr arbeiten für das deutsche Kapital

Feiertage lieber am Sonntag begehen und Lohnausfall am ersten Krankheitstag? Die aktuellen Vorschläge deutscher Kapitalvertreter zur Ankurbelung der schwächelnden Wirtschaft zeigen, dass der Klassenkampf von oben längst in vollem Gange ist. Es wird Zeit, dass wir uns zur Wehr setzen.

von Peter Klingel, Berlin

Deutschland befindet sich kurz vor den Neuwahlen. Angesichts der Tatsache, dass es am Ende vor allem Haushaltsstreitigkeiten waren, an denen die Ampelregierung zerbrochen ist, steht das Thema Wirtschaft aktuell besonders im Fokus. 

Viele deutsche Unternehmen bangen mit Blick auf das Erstarken der internationalen Konkurrenz um ihre Profite. Die Regierenden wollen die Profite mit staatlichen Ausgaben (Aufrüstung, Waffenlieferungen, Subventionen) bzw. Steuererleichterungen stützen, ohne die Konzerne und Super-Reichen zu „belasten“. Da ist das Geld angeblich zu knapp für Sozialleistungen und nötige Investitionen für Bildung und Gesundheit.

Kapitalforderungen

Für all diese Probleme jedoch gibt es eine vermeintlich einfache Lösung der Kapitalist*innen: Es müsse einfach (noch) mehr gearbeitet werden. Das zumindest wollen uns Politik und Unternehmerverbände aktuell mehr denn je glauben machen. Schon vor längerer Zeit forderte Jens Spahn (CDU), man solle doch einmal darüber nachdenken, ob der Achtstundentag noch zeitgemäß sei („Helmut Kohl hat in den 90er-Jahren mal vom Freizeitpark Deutschland gesprochen. Wenn ich mich umschaue, halte ich den Begriff zur Beschreibung unserer Probleme nicht für komplett abwegig“, so der ehemalige Gesundheitsminister Ende 2023 im Interview). Die FDP wiederum fiel neben anderem durch Vorschläge zur Einschränkung des Streikrechts auf. Nun melden sich mit Allianz-Chef Oliver Bäte und Alexander Schirp von den Unternehmerverbänden Berlin-Brandenburg (UVB) zwei genuine Vertreter des deutschen Kapitals zu Wort. Und was sie vorschlagen, hat es wirklich in sich.

So fordert UVB-Hauptgeschäftsführer Schirp am vergangenen Dienstag, die Berliner Politik solle angesichts der angespannten Finanzlage doch einmal erwägen, einige der hiesigen Feiertage jeweils auf den nächstgelegenen Sonntag zu schieben. Als konkrete Beispiele nennt er den Internationalen Frauentag am 8. März, den 3. Oktober (Tag der Deutschen Einheit) und den Pfingstmontag. Man habe darüber „nachgedacht“ und angesichts der durchschnittlich 230 Millionen Euro, die der Stadt Berlin pro zusätzlichem Arbeitstag an volkswirtschaftlichem Nutzen entstünden, spräche „aus unserer Sicht nichts dagegen“, so Schirp, zum Beispiel die Rechte der Frauen „am folgenden oder davorliegenden Sonntag die Sache zu würdigen“.

Kann man ob der Selbstgerechtigkeit von Schirps Vorschlägen noch beinahe lachen (auch wenn das Thema natürlich alles andere als lustig ist), so bleibt einem das Lachen angesichts dessen, was Oliver Bäte von der Allianz-Versicherung in einem Interview mit dem Handelsblatt jüngst gefordert hat, glatt im Halse stecken. Zur Selbstgerechtigkeit gesellt sich hier noch Niedertracht. 

Um die deutschen Unternehmer*innen vor dem Hintergrund des angeblich erhöhten Krankenstands der letzten Jahre zu entlasten, fordert Bäte von der Politik die Wiedereinführung des bereits in den 70er Jahren abgeschafften Karenztags. Dies würde bedeuten, dass Beschäftigte für den ersten Tag einer Krankmeldung kein Gehalt ausgezahlt bekämen. Was hiermit suggeriert werden soll, ist klar: Beschäftigte melden sich krank, obwohl sie eigentlich arbeiten könnten. Würden sie hingegen am Ende des Monats den Krankheitstag im Portemonnaie spüren, kämen sie vielleicht zu einer „realistischeren“ (lies: unternehmer*innenfreundlicheren) Einschätzung ihrer „Krankheit“. 

Debatte über Angriffe läuft

Manche mögen sagen, dass es sich bei diesen Forderungen um nichts als Spinnereien zweier Wirtschaftsbosse handelt, von denen im stillen Kämmerlein vermutlich noch weitaus mehr geäußert werden. Und es stimmt, dass auch viele Politiker*innen der etablierten pro-kapitalistischen Parteien, die Vorstöße zurückgewiesen haben – was angesichts des Wahlkampfes auch nicht verwunderlich ist. Ihr Ziel, welches sowieso auf die Zeit danach abzielt, haben die beiden Kapitalvertreter aber erreicht: Die nächste Debatte über konkrete Angriffe auf die Lohnabhängigen ist im Gange. So zeigt sich etwa CDU-Fraktionsvize Sepp Müller bereits offen für die Ideen von Bäte, wie er dem Nachrichtenportal Politico mitteilte und die FDP schlug „Boni“ für krankheitsfreie Monate vor. 

Deswegen müssen Linke und Gewerkschafter*innen sich jetzt zur Wehr setzen, die Dinge richtigstellen und ihre eigenen Forderungen aufstellen. Denn diese Vorschläge sind nicht nur frech, sondern basieren auch auf einer Verzerrung der Tatsachen. Das Thema Krankheitstage ist das beste Beispiel. Es gehört schon eine gehörige Portion Realitätsverleugnung dazu, den starken Anstieg des Krankenstandes auf die angeblich zunehmende Faulheit und Arbeitsscheu der Arbeitenden zurückführen zu wollen. Denn genau das ist ja das, was hier mitschwingt. 

Das Gegenteil ist aber der Fall: Die steigenden Krankheitszahlen sind auf steigenden Arbeitsdruck, psychische Erkrankungen und schlechte Behandlungen durch ein profitorientiertes Gesundheitswesen zurückzuführen. Das sind u.a. die Dinge, die Menschen krank machen, und hier müssen wir ansetzen, wenn wir daran etwas ändern wollen. Das ginge zum Beispiel durch die Umstellung auf ein bedarfsorientiertes, rein öffentliches, demokratisch kontrolliertes und verwaltetes Gesundheitssystem. Das, wie auch andere Maßnahmen zur Verbesserung des Lebens der Mehrheit der Menschen im Land, würde Geld kosten. 

Das Geld bei den Reichen holen

Und tatsächlich ist das Geld, anders als immer behauptet wird, durchaus vorhanden. Es liegt nur woanders – nämlich bei den Reichen. Allein im vergangenen Jahr ist die Zahl der Superreichen um 10 Prozent gestiegen – von 3.000 auf 3.300. Diese vereinen mittlerweile knapp 23 Prozent des gesamten Vermögens, Tendenz steigend. Und an diese Reichtümer müssen wir ran! Sozialist*innen fordern daher eine Vermögenssteuer von zehn Prozent ab einer Million Euro Vermögen, ein stark progressives Steuersystem und drastisch höhere Steuern auf Unternehmensprofite und Erbschaften. Außerdem fordern wir eine einmalige Abgabe von 30 Prozent auf das Geldvermögen von Millionär*innen und Milliardär*innen. Darüber hinaus fordern wir das Ende aller Waffenlieferungen und Aufrüstung; ein öffentliches Investitionsprogramm mit massiven Investitionen in den Bereichen Soziales, Bildung, Gesundheit und Umwelt zur Schaffung sicherer und tarifgebundener Arbeitsplätze – finanziert durch die Profite der Banken und Konzerne, welche in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung gehören. Damit es in diesem Land endlich eine Zukunft für alle Menschen gibt und nicht nur für einige wenige.