Wer sind die FREIEN WÄHLER?

Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

Bürgerlich-konservative Politik trifft politische Unbescholtenheit

Bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg 2021 haben die FREIEN WÄHLER rund 2,9 Prozentpunkte zugelegt und in Rheinland-Pfalz mit einem ähnlichen Zuwachs gar den Einzug in den Landtag geschafft. In Bayern ist die Landesvereinigung Teil der Staatsregierung und seit 2014 sind sie im Europäischen Parlament vertreten. Doch für was steht die Partei FREIE WÄHLER?

von Sebastian Sommerer, Bayreuth/Kulmbach

Grundlage für die Entstehung der Partei FREIE WÄHLER waren die in den 1950er Jahren durch freie kommunale Wahlgruppen gegründeten Landesverbände. Diese schlossen sich 1965 zum Bundesverband der FREIEN WÄHLER zusammen. Dies ist auch Grund für die starke kommunale Verankerung der FREIEN WÄHLER und die auch heute im Programm ausgedrückten Sehnsucht nach einer bürgerlich-konservativen Hegemonie.

Die Teilnahme an den ersten Landtagswahlen war stark umstritten, aus Angst, das Profil als unabhängige Wahlvereinigung zu verwässern. Der Kurs zur Teilnahme an auch überregionalen Wahlen, wie der Wahl des Europäischen Parlaments, setzte sich jedoch durch. So entstand 2010 der Bundesverband mit Anspruch eine Partei zu sein.

Aufgrund der Oppositionsstellung zur CDU/CSU konnte die Partei insbesondere in Bayern gute Ergebnisse erzielen – als seit 2008 durchgehend drittstärkste Kraft nach CSU und SPD.

Wertkonservatives bis sozialliberales Profil

Trotz Betonung konservativer und traditioneller Werte, weist das Parteiprofil sozialliberale Elemente auf. So hatte die Partei in Bayern das 2013 durchgesetzte Volksbegehren „Nein zu Studiengebühren in Bayern“ initiiert.

Bei ökologischen Fragen wird eine dezentrale Energieversorgung betont, woraus sich teilweise eine kommunale Zusammenarbeit aus FREIEN WÄHLERN und der Partei DIE LINKE innerhalb von Energiewendebündnissen ergeben hat – beispielsweise in Bündnissen gegen die SüdOstLink-Trasse.

Klar ist dabei jedoch: Die FREIEN WÄHLER sind eine prokapitalistische Partei. Der Staat soll die Rahmenbedingungen setzen, innerhalb derer sich die wirtschaftlichen Subjekte frei bewegen können. Untermauert wird diese bürgerlich-konservative Illusion durch Appelle an die gesellschaftliche Verantwortung der Kapitalist*innen oder auch der Forderung nach Erhalt „regionaler Traditionen“. 

Politische Unbescholtenheit

 Grundlage dieses unklaren und in Teilen opportunistischen Programms ist einerseits die stark kommunal verankerte Struktur der Partei, sowie jedoch auch die bisher fehlende Regierungsbeteiligung oberhalb der kommunalen Ebene. So können Forderungen nach mehr Sozialem und mehr Rechten für Bürger*innen in der Opposition leicht eingefordert werden und die Verantwortung für Missstände auf kommunaler Ebene mit Hinweis auf Landes- oder Bundesrecht abgewendet werden. 

Aufgrund der im Kapitalismus vorherrschenden Sachzwänge, denen die Regierenden selbst unterworfen sind, wird dies bei weiteren Erfolgen der FREIEN WÄHLERN und politischer Mitwirkung in Regierungen zu Problemen führen. Ironischerweise hat dies gerade Horst Seehofer (CSU) auf den Punkt gebracht: „Diejenigen, die entscheiden, sind nicht gewählt, und diejenigen, die gewählt werden, haben nichts zu entscheiden.“

Anpassungskurs in bayerischer Regierung

 Die Grenzen des Wunsches eines gebändigten Kapitalismus lassen sich bereits an der Beteiligung an der Bayerischen Staatsregierung (seit 2018) erkennen. Der bayerische Landes- und Bundesvorsitzende Hubert Aiwanger ist seit November 2018 auch stellvertretender Ministerpräsident Bayerns. 

Seine Äußerungen während der durch SARS-CoV-2 entstanden Pandemie zeigen das Spannungsfeld auf, welche die kapitalistischen Sachzwänge den Regierenden auferlegen: Schutz der Profite von Wenigen gegen Schutz der Gesundheit der Vielen. Wurden teils strenge Maßnahmen – welche freilich die Arbeitswelt vollends außen vor lassen und daher nicht ausreichend wirksam sein werden – mit getragen, wurde nur wenige Tage später wieder ein Lockerungskurs gefordert.

Trotz Betonung der Wichtigkeit der Stärkung von Bürger*innenrechten setzten die FREIEN WÄHLER eine entschärfte Novelle des Polizeiaufgabengesetzes mit dem stark kritisierten Begriff der „drohenden Gefahr“ mit um. Weitere Verwässerungen und Verstöße gegen zentrale Punkte des Programms bleiben daher nur eine Frage der Zeit – insbesondere, da die FREIEN WÄHLER einen Einzug in den Bundestag anstreben.

Dies zeigt: Illusionen in einen gebändigten Kapitalismus und Unabhängigkeit bürgerlicher und prokapitalistischer Parteien scheitern spätestens mit Beteiligung an der Verwaltung des kapitalistischen Elends. Deshalb dürfen Lohnabhängige nicht erwarten, dass diese prokapitalistischen Parteien ihre Interessen vertreten – denn dies geschieht nur entgegen der kapitalistischen Sachzwänge!   

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