Jetzt oder nie?!

Bericht von der TV-Stud Konferenz vom 24.-26.02. in Göttingen

Niedrige Löhne, kurze Vertragslaufzeiten, unbezahlte Überstunden, kein Anspruch auf Urlaubstage, Nacharbeiten von Krankheitstagen, keine Mitbestimmung oder Personalvertretung. Das gehört zum Alltag von studentischen Beschäftigten – und dagegen formt sich aktuell bundesweit Widerstand: TVstud ist eine Initiative zur bundesweiten Vernetzung von Kämpfen für einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte an Universitäten und außeruniversitären Einrichtungen im Rahmen der TV-L-Runde im Herbst diesen Jahres. Bei einer Auftakt-Konferenz unter dem Motto „Jetzt oder nie“ kamen nun über 250 studentische Beschäftigte und Aktivist*innen zusammen.

Von Chiara Stenger, Studentische Beschäftigte und Teilnehmerin der Konferenz

Die Stimmung auf der Konferenz war insgesamt kämpferisch und alle Teilnehmenden schienen sehr motiviert. Es waren sehr viele Universitäten und Hochschulen aus fast allen Bundesländern vertreten. Sowohl Studierende, die an der Uni oder in Forschungseinrichtungen arbeiten, als auch solidarische Aktivist*innen oder ehemals studentisch Beschäftigte waren vor Ort. Organisiert wurde die Konferenz von den Gewerkschaften GEW und ver.di. Die auf der Konferenz vorgestellten Kernforderungen der Initiative sind neben einem Tarifvertrag vor allem Mindestvertragslaufzeiten sowie Mitbestimmung durch studentische Personalräte. Wie schlecht die Arbeitsbedingungen für Studierende an den Unis sind, zeigt die kürzlich erschienene Studie „Jung, akademisch, prekär“, die von GEW und ver.di in Auftrag gegeben wurde. Die Studie ergab: „2021 galten 76,1 Prozent der alleine oder nur mit anderen Studierenden zusammenlebenden Studierenden in Deutschland als armutsgefährdet. Unter den studentischen Beschäftigten sind es 77,8 Prozent.“1

Studentische Beschäftigte stellen die größte Gruppe im öffentlichen Dienst ohne Tarifvertrag dar. Wie viele es genau gibt, weiß man jedoch nicht, was zeigt wie gering das Interesse und wie schlecht die Datenlage zu diesem Thema sind. Das Statistische Bundesamt erfasst studentische Beschäftigte nicht als Hochschulpersonal. Insofern passend, dass Hilfskräfte an Unis tatsächlich nicht über Personal- sondern Sachmittel finanziert werden. Schätzungen zufolge gab es 2010 bundesweit um die 400.000 studentische Beschäftigte, mittlerweile dürften es weit mehr sein.2 Trotz der wichtigen Arbeit an Universitäten, ohne die kaum etwas funktionieren würde, sind die Löhne für studentische Beschäftigte meist nur knapp über Mindestlohn.

Tarifvertrag? Notwendig!

Die Bedeutung eines Tarifvertrags wird also sehr deutlich. Der Kampf für einen solchen Tarifvertag wird durch den aktuellen prekären und tariflosen Zustand erschwert. Dadurch, dass Verträge von studentischen Beschäftigten zum Teil nur einige Monate oder Wochen andauern, ist die dauerhafte Organisierung dieser Beschäftigtengruppe nicht unbedingt einfach. Im bundesweiten Durchschnitt geht ein Vertrag 5,7 Monate3, Kettenbefristungen sind die Regel. Nur in Berlin ist die Lage besser, da dort schon ein Tarifvertrag erkämpft wurde, der nun verbessert werden soll. Hier liegen die Laufzeiten durchschnittlich bei 14,1 Monaten4.

Einer der Organisatoren der Initiative stellte auch die Perspektive auf mit der Initiative „Arbeitskämpfe dauerhaft an die Hochschulen zu holen“. Dies ist ein wichtiger und guter Schritt, bedarf aber auch des Aufbaus von dauerhaften gewerkschaftlichen Strukturen an den Hochschulen und nicht nur in Vorbereitung auf Tarifauseinandersetzungen.

Wie die Organisierung auch nach einem hoffentlich erfolgreichen Kampf für einen TVstud nachhaltig aufrechterhalten werden kann, wurde allerdings nicht thematisiert. Die gewerkschaftliche Organisierung von Studierenden ist jedoch nicht nur mit Blick auf einen TVstud wichtig, sondern auch weil viele Studierende später in prekären Berufen arbeiten werden und die Arbeitsbedingungen auch nach einem abgeschlossenen Studium nicht unbedingt besser werden. Der Organisationsgrad unter Studierenden ist aktuell nicht gut, 2016 waren 2,7% der Studierenden Mitglied einer DGB-Gewerkschaft. Wie hoch der Anteil unter studentischen Beschäftigten genau ist, ist unklar.5

Dies zeigt auf, dass eine besonders gute Vorbereitung auf diesen Tarifkampf notwendig ist, denn ein TVstud wird uns nicht einfach so geschenkt, sondern muss erkämpft werden. Auf Basis dessen ist auch nachvollziehbar, dass der Fokus der Konferenz in Göttingen vor allem auf dem Organisieren von anderen studentischen Beschäftigten lag, dem sogenannten „strukturbasierten Organizing“6. So war das sogenannte „Herzstück“ der Konferenz ein mehrstündiger Organizing Workshop. Daneben gab es ein Auftaktpodium u.a. mit Susanne Braun vom Bundesvorstand des DGB und Ines Schwerdtner vom Jacobin Magazin/Genug ist genug sowie einige Workshops und Podiumsdiskussionen.

Viele der Teilnehmenden waren äußert motiviert, die Stimmung im Plenum war aufgeladen. Während Podiumsdiskussionen gab es viel Applaus, klopfen und immer wieder Zwischenrufe. Am ersten Abend nach dem Auftaktpodium fand eine Frage- und Diskussionsrunde im Plenum statt, in der es viele Beiträge gab und bei weitem nicht alle Meldungen dran kamen. Aus dem Plenum wurde unter anderem Kritik an Yasmin Fahimi und der Sozialpartnerschaft geübt, die Frage des politischen Streiks in den Raum gestellt, aber auch kritisch aufgebracht, dass es falsch war, sämtliche wissenschaftliche Beziehungen mit russischen Wissenschaftler*innen – sogar mit denen, die sich gegen den Krieg positionierten – abzubrechen. Der Beitrag für Zivilklauseln und gegen Waffenlieferungen erhielt zustimmendem Applaus.

Mehr offene Diskussion notwendig

Abseits dieser kurzen Diskussionsrunde kam der politische Austausch im Plenum auf der Konferenz leider zu kurz. Obwohl für Samstag und Sonntag noch insgesamt drei Plenardiskussionen auf dem Programm angekündigt waren, fielen diese aus bzw. gerieten sehr kurz und wurden so zu reinen Fragerunden. Am Sonntagmittag vor der Abreise waren einige der Teilnehmenden sehr enttäuscht darüber, dass Diskussionen zu kurz kamen und sie nicht mehr die Möglichkeit hatten, Themen oder Fragen, die bis dahin nicht aufgebracht wurden, anzusprechen. Die Organizing Workshops fanden meist in Gruppen statt, die nach Unis bzw. Bundesländern aufgeteilt waren. So tauschten sich viele TVstud-Aktive mit Kommiliton*innen aus, die sie in ein paar Wochen ohnehin wieder sehen würden. Der Fokus lag somit vor allem darauf zu üben, wie man andere studentische Beschäftigte für einen Streik und eine Gewerkschaftsmitgliedschaft gewinnen kann. Dies ist definitiv ein wichtiger Schritt, um einen TVstud zu erreichen und erstmal begrüßenswert. Allerdings führte dieser starke Fokus dazu, dass andere Themen und Fragen leider zu kurz kamen. Unklar bleibt die Strategie für den erfolgreichen Kampf abseits von reiner Mitgliedergewinnung, bspw. Fragen der demokratischen Streikführung wurden nicht diskutiert. Der konkrete Weg hin zu Arbeitskampfmaßnahmen wurde nicht besprochen, bei einigen Teilnehmer*innen herrschte dahingehend nach Ende der Konferenz viel Unklarheit. Klar ist, dass nun zunächst möglichst viele 1:1 Gespräche geführt werden und dadurch bis Mitte Juli zur Klausur der Bundestarifkommission des TV-L möglichst viele streikbereite studentische Beschäftigte gefunden werden sollen, um den Forderungen und der Notwendigkeit eines TVstuds Nachdruck zu verleihen. Die Verhandlungen starten dann Ende Oktober. Was nach der Phase der Mitgliedergewinnung also ansteht, wie solche Kämpfe konsequent geführt werden können, welche Probleme es im Arbeitskampf geben kann und wie man damit umgeht, darüber wurde kaum gesprochen. Auch der Prozess der kommenden Ausarbeitung der Forderungen (z.B. Höhe einer Forderung zur Entgelterhöhung oder geforderte Dauer der Mindestvertragslaufzeiten) ist noch nicht deutlich geworden.

Wichtige Fragen bleiben unklar

Die durchaus relevante Frage, ob es eigentlich eine Eingliederung in den TV-L geben soll, oder einen eigenständigen TVstud kam zwar immer wieder auf, wurde aber zu keinem Zeitpunkt richtig diskutiert. Als Sol setzen wir uns dafür ein, dass ein Tarifvertrag für studentische Beschäftigte Teil eines TV-L ist. So könnte die gemeinsame Kampfkraft genutzt werden und es wäre auch ein Signal gegen eine weitere Aufsplitterung der Tariflandschaft im öffentlichen Dienst. Ein vom TV-L unabhängiger Tarifvertrag bringt im Gegenteil keinen Vorteil mit sich.

Auch die große Bedeutung des aktuellen Kampfes von Beschäftigten im öffentlichen Dienst für die eigene Tarifbewegung stand leider so gut wie nicht auf der Tagesordnung. Ein Austausch darüber, wie wir als Studierende und studentisch Beschäftigte die TV-ÖD Runde, aber auch die Tarifrunde bei der Bahn solidarisch unterstützen können, war nicht eingeplant. Dies ist insofern schade, dass die aktuellen Auseinandersetzungen bspw. im Öffentlichen Dienst natürlich Strahlkraft auf die kommenden Kämpfe im Herbst haben.

Bedeutsam wäre auch zu besprechen, wie man sich mit anderen TV-L Beschäftigten, z.B. den Mitarbeiter*innen in Mensen oder in der Verwaltung zusammentun kann, um gemeinsam für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Zur Diskussion solcher Themen sowie (politischer) Forderungen wäre diese Konferenz ein guter Ort gewesen. Wie oft kommen schon über 250 Studierende auf einer gewerkschaftlichen Konferenz zusammen? Diese Diskussionen müssen jetzt bundesweit geführt werden, um eine starke und demokratische Bewegung aufzubauen.

Wie weiter?

Klar ist, dass es nicht mit Bitten bei der Tarifgemeinschaft deutscher Länder getan ist. Und klar ist auch, dass einfach nur „genügend“ Mitglieder zu haben auch nicht ausreicht. Die ver.di-Führung hat in vergangenen Kämpfen immer wieder gezeigt, dass sie diese oft nicht konsequent bis zum Ende führt. Dagegen braucht es eine linke Opposition in den Gewerkschaften, die für einen kämpferischen Kurs, demokratische Entscheidungsprozesse und eine konsequente Umsetzung einsteht. Das beinhaltet auch als Teil des TV-L gemeinsam mit Beschäftigten anderer Berufsgruppen zu kämpfen, denn gemeinsam sind wir stärker.

Trotz der benannten fehlenden Diskussionen im Plenum wurden die aufgezeigten Themen informell in Pausen oder beim Mittagessen in Kleingruppen thematisiert und die Vernetzung von TV-Stud-Aktiven wurde durch die Konferenz stark verbessert. Zusammenfassend war es eine motivierendes Wochenende mit kämpferischer Stimmung bei den Teilnehmenden und ein guter Startschuss für den Kampf für einen TVstud! Am Ende der Konferenz bebte der ganze Saal und alle riefen: „Tarifvertrag? Jetzt! Tarifvertrag? Jetzt! Tarifvertrag? Jetzt!“

1https://www.verdi.de/++file++63da451efb5565f4655845ad/download/HoppHoffmannZielkeLeslieSeeliger_2023_Jung%2C%20akademisch%2C%20preka%CC%88r_2.%20Fassung_.pdf S. 121

2https://www.verdi.de/++file++63da451efb5565f4655845ad/download/HoppHoffmannZielkeLeslieSeeliger_2023_Jung%2C%20akademisch%2C%20preka%CC%88r_2.%20Fassung_.pdf vgl. S. 19-23

3 Ebd. S.70

4 Ebd. S. 70

5 Die Studie, die auf einer Befragung von 11.000 studentischen Beschäftigten basiert, zeigt auf, dass die Mitgliedschaftszahlen zwischen den Bundesländern stark variieren. So sind in Mecklenburg-Vorpommern 4,2% der Befragten in einer Gewerkschaft, in Hamburg 21,6%. Jedoch ist davon auszugehen, dass diese Werte insgesamt geringer sind. Die Befragung wurde schließlich von TVstud und Gewerkschaften durchgeführt und weitergegeben, sodass die Wahrscheinlichkeit, dass GEwerkschaftsmitglieder teilnehmen tendenziell größer ist.

6 Für mehr zum Thema Organizing: https://solidaritaet.info/2023/01/wert-und-grenzen-von-organizing-erfahrungen/

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