Daimler-Werk Berlin: „Nicht wie ein Lamm zur Schlachtbank führen lassen“

Foto: IG Metall Bayern CC BY-NC-SA 2.0

Interview mit Matthias Bender, Betriebsratsmitglied für die Liste „Alternative“ im Mercedes Werk Berlin-Marienfelde

Vorbemerkung: Kurz nach Erscheinung des Interviews in der November-Ausgabe der „Solidarität“ gab es bereits wichtige Neuigkeiten. Der Werkleiter René Reif kündigte an, das Unternehmen zu verlassen – inzwischen ist bekannt, dass er zu Tesla wechselt, welches eine „Giga-Factory“ in Brandenburg errichtet. Der neue Werkleiter Clemenz Dobrawa machte sogleich in den Verhandlungen mit der Betriebsratsleitung deutlich, dass noch viel weniger Aussicht für das Werk in Marienfelde besteht, als bisher gehofft. Von den 2500 Arbeitsplätzen sind mindestens 2000 gefährdet, eventuell soll der Standort Berlin-Marienfelde (das älteste Mercedes-Werk) ganz geschlossen werden. Der Betriebsratsvorsitzende und die IG Metall Berlin sagten, dies solle nicht hingenommen werden. Allerdings blieben sie bei ihrem Plan, eine Betriebsversammlung erst am 9.12. durchzuführen. Dies fanden eine Reihe von Kolleg*innen, auch die von der „Alternative“-Gruppe zu wenig. Deshalb organisierten sie spontan einen Protest zu Schichtwechsel vor den Werkstoren am 9. und 10. November. Hier wurde mit einem offenen Megaphon begonnen zu diskutieren, wie man sich gegen die Kahlschlagpläne wehren kann. Bei diesen Protesten, zu denen die IGM nicht selbst aufgerufen hatte, kamen am ersten Tag etwa vierzig Kolleg*innen und am zweiten Tag waren es gut über achtzig. Die Diskussion am zweiten Tag war sehr rege und von einem festen Willen geprägt, dass es nötig ist, den Protest weiter zu führen. Es wurde unter Applaus beschlossen, ab jetzt jeden Dienstag dort zu stehen und sich zu beraten. Offensichtlich sah sich die IG Metall dann doch gezwungen, zwei Tage später zu einer Protestaktion in der Mittagszeit aufzurufen. Die IG Metall schreibt auf ihrer homepage: „Der Aufruf am 12. November kam spontan und doch verließen alle 1200 Beschäftigten bei Daimler ihre Werkbänke und Büros.“ Es hat sich gezeigt, dass es etwas bringt, wenn Kolleg*innen Initiativen von unten ergreifen. Die Protestaktionen am Dienstag sollten fortgesetzt werden, um den Druck aufrechtzuerhalten.

Bei Daimler wird der  Rotstift angesetzt. Es ist die Rede von 20.000 Stellen, die bundesweit abgebaut werden sollen. Wie ist die Situation bei euch im Werk Marienfelde? 

Es herrscht große Verunsicherung unter den Kolleg*innen. Wie auch  die Motoren-Werke Stuttgart-Untertürkheim und Hamburg steht das Werk Marienfelde auf der Streichliste. Es wurde eine Teilschließung angedroht, das Südwerk soll aufgelöst werden, wodurch in Folge aber auch Arbeitsplätze im Nordwerk bedroht sind. Auch für den Rest gibt es keinen Qualifizierungsplan für neue Technologien. Das alles passiert übrigens vor dem Hintergrund, dass Daimler wieder  Gewinne gemeldet hat. Doch davon sehen nur die Aktionäre etwas. Eine Gewinnbeteiligung von mehreren tausend Euro, wie sie für die Beschäftigten üblich ist, gab es für 2019 nicht. 

Wie hat der Betriebsrat und die IG Metall darauf reagiert?

Es gab einen Protest vor dem Hauptgebäude und eine Betriebsversammlung, auf der die Situation zur Diskussion gestellt wurde. Aber das reicht natürlich nicht aus. Solange Daimler keine substantiellen Kosten entstehen, wird das keinen großen Effekt haben. 

Was denkst du, was passieren müsste?

Die große Frage ist für mich, will man sich wie ein Lamm zur Schlachtbank führen lassen, oder will man kämpfen. Bei der letzten Betriebsversammlung habe ich deutlich gemacht, dass wir uns in den Standorten nicht gegeneinander ausspielen lassen dürfen und stattdessen gemeinsam für den Erhalt unserer Arbeitsplätze kämpfen müssen. Eine Möglichkeit wäre meines Erachtens zunächst mal die Einberufung von Betriebsversammlungen in allen Standorten, die auch angesichts der zur Debatte stehenden Fragen durchaus über Tage andauern können. Bei Bosch Siemens Hausgeräte gab es 2006 zum Beispiel eine Betriebsversammlung, die über drei Wochen ging.  Leider gibt es momentan keine Mehrheiten im Betriebsrat, die auf Gegenwehr hoffen lassen. Schon seit langem wird Verzicht akzeptiert, wie auch die Verlagerung von Produktion, wo es billiger ist. Natürlich wird gesagt, man müsse sich wehren, aber das bleiben Lippenbekenntnisse. Ein Antrag von unserer Alternative Gruppe für die Durchführung einer weiteren Betriebsversammlung, die unserer Ansicht nach drängt, bekam nicht einmal das notwendige Quorum im Betriebsrat, um auf die Tagesordnung zu kommen. 

Ihr von der Alternative fordert ja auch eine 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Steht ihr weiter dazu?

Ja, auf jeden Fall ist das weiterhin eine richtige Forderung. Aber sie reicht allein nicht aus. Die Frage muss auch beantwortet werden, welche gesellschaftlich gewünschten Produkte produziert werden sollen. Wichtig ist die Zukunftsfähigkeit von Produkten. Das E-Auto – das ist meine persönliche Meinung – ist keine echte Alternative in der Umweltbilanz. 

Video der Rede von Angelika Teweleit, Sprecherin der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) und Sol-Mitglied bei der Protestkundgebung von Daimler-Kolleg*innen am 9.11.2020:

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