Sozialistischer Jugendverband gesucht

Bundeskongress der linksjugend [‘solid] mit zweiter Tagung

Am 08. und 09. Mai ging der zweitägige Bundeskongress der linksjugend [‘solid] in eine zweite Runde – angesichts der Corona-Pandemie online. Der Unvereinbarkeitsantrag gegen die Sol wurde im Voraus erfolgreich abgewehrt und von den Antragsteller*innen zurückgezogen. Doch die zweite Tagung des Bundeskongress hat gezeigt: Damit ist der Kampf für einen starken und sozialistischen Jugendverband mit den richtigen politischen Antworten noch lange nicht vorbei.

von Michael Schelter, Delegierter auf dem Bundeskongress

Eine der zentralen Debatten bei diesem Bundeskongress war die der Regierungsbeteiligung. Angesichts des Umfragetiefs der Union rückt die Möglichkeit einer Beteiligung der LINKEN an einer grün-rot-roten Regierung mit Grünen und SPD näher. Die Parteiführung wirbt immer offensiver dafür. Der Bundesarbeitskreis Revolutionäre Linke (BAK RL) hat einen Antrag gegen die Regierungsbeteiligung mit pro-kapitalistischen Parteien eingebracht und sich für eine sozialistische Opposition der LINKEN stark gemacht. Dieser Antrag wurde abgelehnt und stattdessen ein anderer Antrag, der eine Regierungsbeteiligung der LINKEN mit SPD und Grünen für möglich hält, beschlossen. Die darin beschlossenen „rote Haltelinien“ für Koalitionsverhandlungen sind extrem unpräzise und fallen sogar noch hinter die der Partei zurück (zum Beispiel ist von einem Nein zu Kampfeinsätzen keine Rede).

Trotzdem haben immerhin 40 Prozent der Delegierten gegen diesen Antrag und 38 Prozent für den Antrag des BAK RL gestimmt. Der linke Flügel, darunter vor allem Mitglieder des BAK RL und der Sol, hat die Debatte geprägt und starke Argumente in die Diskussion hineingetragen. Wir argumentierten, dass durch Beteiligung an einer pro-kapitalistischen Regierung die Glaubwürdigkeit der LINKEN weiter verspielt wird, da sie den kapitalistischen Mangel am Ende nur mitverwaltet. Gleichzeitig machten wir deutlich, dass die LINKE einer Abwahl der Union nicht im Weg stehen muss: Sie kann eine grüne Kanzlerin ermöglichen, ohne sich an Koalitions- oder andere Verträge zu ketten und im Einzelfall entscheiden, ob ein Gesetz eine Verbesserung für die arbeitende Bevölkerung darstellt. Gleichzeitig muss der Fokus der LINKEN beim Aufbau von außerparlamentarischen sozialen Bewegungen und Streiks zusammen mit Gewerkschaften liegen. Wir werden weiterhin für einesolchesozialistische Oppositionspolitik innerhalb des Jugendverbands und der Partei kämpfen.

Proteste gegen die Corona-Politik der Herrschenden

Ein weiterer Antrag, der ebenfalls vom BAK RL gestellt wurde, ruft dazu auf, Proteste gegen die Corona-Politik der Herrschenden zu organisieren. Er stellte wichtige Forderungen zum Beispiel für Lohnerhöhungen, kostenlose FFP2-Masken, Abschaffung der Fallpauschalen in den Krankenhäusern oder Luftfilter an Schulen auf, für die die LINKE und linksjugend [‘solid] auf die Straße mobilisieren sollten. Dieser Antrag fand die Zustimmung von 90 Prozent der Delegierten. Es wurde auch ein Änderungsantrag angenommen, in demein Bekenntnis zu #ZeroCovid in den Forderungen aufgelistet ist. Wir kritisieren die #ZeroCovid-Kampagne, da diese nicht genug auf die Klassenfrage eingeht und wir (gerade angesichts der aktuellen Pandemieentwicklung) einen kompletten Lockdown des Privatlebens ablehnen, da damit erhebliche psychosoziale Folgen einhergehen. Trotzdem haben wir den Gesamtantrag mit dieser Änderung angenommen, da dieser grundsätzlich eine Verbesserung darstellt.

Allgemein schaffte es der Bundesverband seit ca. vierzehn Monaten nicht, solch einen Protest zu organisieren und hat generell viel zu wenig in diese Richtung gemacht.Der BAK RL hingegen hat am Anfang des Jahres etwa die Kampagne „Sichere Schulen erkämpfen“ ins Leben gerufen hat und damit in verschiedenen Städten Kundgebungen und Demonstrationen von Basisgruppen angeregt. Ob sich nun der Kurs des Bundesverbands durch den angenommenen Antrag dahingehend verbessert, bleibt abzuwarten.

Undemokratisches Verhalten

Um in der Pandemie weiterhin arbeitsfähig zu bleiben, sind Online-Veranstaltungen dieser Artnützlich, aber bringen auch einige Defizite mit sich, die es einigen Mitgliedern erschweren, bei solch einem Bundeskongress teilzunehmen. Oft scheitert es an einer stabilen Internetverbindung oder an technischen Endgeräten wie Laptops.

Allerdings hat der Online-Bundeskongress auch gezeigt, dass dieses Format weniger demokratische Kontrolle über Entscheidungen der Tagungsleitung ermöglicht. Es war leider nicht nachvollziehbar, wie die Reihenfolge der Redner*innenliste zustande kam. Genoss*innen, die nachfragten, ob ihre Meldung gesehen wurde, wurden ignoriert. Hatte jemand technische Probleme, wurde die Person von der Tagungsleitung zum technischem Support und wieder zurück weitergeleitet.

Vor der Debatte zur Regierungsbeteiligung wurde zudem von einigen Delegierten, darunter Mitglieder des BSpR, ein Antrag auf eine sogenannte „harte Quotierung“ in der Debatte gestellt. Eine sogenannte „weiche Quotierung“, ermöglicht es Frauen und FLTI*-Personen ohnehin bei Debatten auf der Redner*innenliste vorgezogen zu werden. Die harte Quote bedeutet, dass Männer nicht zwei mal hinter einander reden dürfen. Dies wurde gegen unsere Stimmen beschlossen. Mitglieder des BAK RL argumentierten stattdessen für eine inhaltliche Quotierung, entsprechend der Unterstützung der beiden Anträge, um eine ausgewogene Debatte sicherzustellen. Auch wir wollen eine Atmosphäre sicherstellen, in der sich alle Genoss*innen, insbesondere Frauen, ermutigt fühlen zu diskutieren. Vor allem unsolidarisches Verhalten, Witze und Häme über andere Strömungen oder Beiträge, wie sie einige Vertreter des Reformer-Flügels am Wochenende an den Tag legten, behindern das. Die beschlossene Quote hingegen schien eher darauf abzuzielen, im Namen der Frauenförderung eine kontroverse Debatte einzuschränken.

Kein Recht auf Kritik

Der Bundeskongress behandelte zudem eine Reihe satzungsändernder Anträge. Ein Antrag wollte Gliederungen und Bundesarbeitskreise verpflichten, Beschlüsse des Jugendverbandes zu respektieren. Diesen Wunsch konnten wir durchaus nachvollziehen; auch vor dem Hintergrund, dass auf Antrag des BAK RL getroffene Beschlüsse des Bundeskongress in der Vergangenheit ziemlich lange in der Schublade verschwunden sind. Allerdings waren Delegierte des linken Flügels besorgt, dass hiermit die Möglichkeit für Minderheitspositionen eingeschränkt werden sollen. Diese Sorge wurde dann bestätigt: Ein gestellter Änderungsantrag, der den Satz „Jeder Bundesarbeitskreishat das Recht, die Beschlüsse des Jugendverbandes offen zu kritisieren“,ergänzen wollte, wurde abgelehnt. Wir fragen uns, welchen Zweck der Ursprungsantrag denn hatte, wenn er nicht erlauben kann, den Bundesverband offen kritisieren zu dürfen? Da der Antrag aber nicht das nötige 2/3-Quorum erreichte, scheiterte die Satzungsänderung.

Ein weiterer Aufreger war der unsolidarische Umgang mit dem Antrag “Jugendprogramm der linksjugend [‘solid] NRW”. Der Landesverband Nordrhein-Westfalen hatte beantragt, dass der Bundesverband das dort ausgearbeitete sozialistische Jugendprogramm den Landesverbänden zur Verfügung stellt und in Druck gibt.Ein Änderungsantrag u.a. von BSpR Mitgliedern beschloss, diesen einfach zu ignorieren.

Es ist schon lange nichts Neues mehr, dass versucht wird, unbequeme Meinungen im Bundesverband keinen Platz zu geben. Das zeigte sich vor allem beim Ausschlussversuch gegen die Sol, wo versucht wurde, Sol-Mitglieder mit bürokratischen Mitteln aus dem Jugendverband auszuschließen. Der BAK RL organisierte eine Kampagne mit über 200 Unterschriften. So konnten wir diesen unpolitischen Angriff gegen uns erfolgreich abwehren.

Für einen sozialistischen Jugendverband

Der Bundesverband und auch viele Landesverbände sind in einer desolaten Lage. Zwar hatten Hardcore-Antideutsche, die sich allen Ernstes gegen den Truppenabzug der Bundeswehr aus Afghanistan positionieren wollten, keine Mehrheit. Dennoch entsteht der Eindruck, dass der Bundesverband noch stiller und unrebellischer geworden ist. Es wurde nichts zum kommenden Wahlkampf besprochen. Ob die beschlossenen Kampagnen (auch zum Thema „Ausbildung“ wurde das auf Anregung des BAK RL beschlossen) durchgeführt werden, ist fraglich. Verstärkt durch diese Inaktivität hat der Bundesverband kaum noch einen Bezug zu der arbeitenden Bevölkerung und Jugend.

Gerade in einer der größten Krisen des Kapitalismus brauchen wir einen kämpferischen und sozialistischen Jugendverband mit einem klaren Programm, der konkrete Verbesserungen für Jugendliche und junge Beschäftigte erkämpft und eine Alternative zum aktuellen herrschenden System aufzeigt. Die Sol wird trotzdem weiterhin im Jugendverband aktiv sein und dort für einen sozialistischen Kurs zusammen mit dem BAK RL kämpfen. In den letzten Wochen konnte der BAK einige neue Mitglieder begrüßen. Auf dem nächsten bundesweiten Treffen am 29.05. sollen weitere Schritte diskutiert werden.

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