DIE LINKE vor dem Bundesparteitag 

Kurswechsel oder Bedeutungslosigkeit

Prominente Vertreter*innen der Partei DIE LINKE erklären vor dem Parteitag, dass sie die Partei retten wollen. Überzeugende Vorschläge machen sie nicht. Ohne einen radikalen Kurswechsel in Richtung kämpferischer und sozialistischer Politik und Praxis, wird der Zerfallsprozess weitergehen und die Partei droht, in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. 

von Ursel Beck, Delegierte für den Bundesparteitag und aktiv im Ortsverband Stuttgart-Bad Cannstatt

Seit Jahren folgt ein Wahldebakel dem nächsten. Parallel dazu sind die Mitgliederzahlen auf ein Rekordtief von um die 59.000 gesunken. Ortsverbände brechen zusammen bzw. sind inaktiv. Nach jeder Wahlniederlage wurde von jeder Parteiführung eine gründliche Auswertung und ein neuer Aufbruch in Aussicht gestellt.  Die vom Parteivorstand vorgelegten Leitanträge geben für einen solchen Aufbruch allerdings nichts her. 

Niedergang wie in Italien?

Bodo Ramelow, linker Ministerpräsident in Thüringen, hat davon gesprochen, dass der Partei das gleiche Schicksal drohen könnte wie der Partido Rifondazione Comunista (PRC) in Italien.  Die PRC war bis Anfang der 2000er Jahre eine linke Partei mit 120.000 Mitgliedern. Heute gibt es sie de facto nicht mehr. Als Ursache für den Niedergang der PRC  nennt Ramelow „ideologische Konflikte“. In Wirklichkeit zerstörten die Regierungsbeteiligungen die PRC. In Koalitionen mit prokapitalistischen Parteien stimmte sie Kürzungen im Gesundheits- und Bildungswesen, Rentenprivatisierung und der Entsendung italienischer Truppen nach Afghanistan und dem Irak zu. So verlor sie in den Augen ihrer Unterstützer*innen den Gebrauchswert.

Mit einer Stimme sprechen?

DIE LINKE müsse ihre Streitigkeiten beenden und mit einer Stimme sprechen, heißt es immer wieder.  Meinungsverschiedenheiten müssen ausgetragen werden, aber es muss klar sein, was die  Positionen der Partei sind. Und es sind die unklaren bzw. falschen Positionen der Partei und ihre Passivität zur Corona-Pandemie, zum Ukraine-Krieg und der Anpassungskurs an SPD und Grüne, die der Partei schaden. Die sozialistischen Elemente des Parteiprogramms haben fatalerweise in der Praxis der Bundespartei und erst recht  in der politischen Praxis der  Abgeordneten kaum eine Rolle gespielt. 

In der Öffentlichkeit wird  immer unklarer was die Position der Partei ist. Jetzt wird der Ukraine-Krieg von den so genannten Reformer*innen genutzt, um die antimilitaristischen Grundpositionen in Frage zu stellen. Der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Gregor Gysi, zeigt Verständnis für den NATO-Beitritt von Finnland und Schweden. Parteiposition ist die Auflösung der NATO. Gysi ist dafür, dass – außer Deutschland – westliche Staaten dem Selenskyj-Regime Waffen liefern. Das Parteiprogramm sagt: „Striktes Verbot von Rüstungsexporten“ . 

Die Delegierten sollten diesen Bruch mit dem Parteiprogramm  durch klare Beschlüsse beim Parteitag zurückweisen. Formulierungen, die Interpretationsspielraum für alle lassen, und wichtige Fragen wie die der NATO außen vor lassen, helfen nicht bei der Überwindung der Krise der Partei, sondern verschärfen sie.  

Der Bundesrat muss der Grundgesetzänderung für das 100-Milliarden-Sondervermögen zustimmen. In vier Bundesländern regiert DIE LINKE mit. Ein Antrag der Antikapitalistischen Linken (AKL) wurde im Parteivorstand abgelehnt, der forderte, dass diese Landesregierungen verlassen werden, wenn sie im Bundesrat nicht gegen das Sondervermögen stimmen. Das ist ein Alarmsignal und zeigt, dass auch die Vertreter*innen der Bewegungslinken im Vorstand nicht zu einem wirklichen Kurswechsel bereit sind. 

Eigentumsfrage

Position der Partei ist: „Strukturbestimmende Großbetriebe der Wirtschaft wollen wir in demokratische gesellschaftliche Eigentumsformen überführen und kapitalistisches Eigentum überwinden.“ Angesichts der Preistreiberei von Wohnungs- und Energiekonzernen, kriegsbedingten Spekulationsgewinnen und des Blockierens einer ökologischen Verkehrswende durch die Autokonzerne muss eine linke Partei die Eigentumsfrage in den Vordergrund stellen, zumal 59 Prozent der Wähler*innen in Berlin die Enteignung der Immobilienkonzerne durch einen Volksentscheid gefordert haben. In dem Leitantrag des Parteivorstands „Gemeinwohl statt Profit“ gibt es ein abstraktes Bekenntnis zum Sozialismus. Der Kapitalismus wird jedoch weder als Ursache für die Krisen in der Welt benannt, noch wird ein sozialistisches Programm als Ausweg angeboten. Ebenso wenig wird eine Beendigung des Fokus auf Parlamentsarbeit und Regierungsbeteiligungen und eine Schwerpunktsetzung auf Unterstützung von Klassenkämpfen und sozialen Bewegungen als Schlussfolgerung aus der Parteikrise gezogen.

Sexismus

Die Sexismusvorwürfe der letzten Monate haben zu einer Debatte über den Umgang mit solchen Vorfällen geführt. Neben der Schaffung von Anlaufstellen für Betroffene, sollten Untersuchungskommissionen geschaffen werden, die im Fall von mutmaßlichen Übergriffen die Vorwürfe prüfen und ggf. Disziplinarmaßnahmen beschließen können.  Die Debatte sollte dazu genutzt werden, in der Partei das Bewusstsein für das Thema zu schärfen und eine Atmosphäre zu schaffen, in der sexistisches Verhalten nicht geduldet wird. Gleichzeitig sollten keine Vorverurteilungen stattfinden und dürfen, wie aktuell geschehen, solche Geschehnisse nicht in innerparteilichen Machtkämpfen missbraucht werden. Um Machtkämpfe und Karrierismus zu beenden, sollte eine jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit von Funktionär*innen und eine Begrenzung von Diäten und Hauptamtlichen-Gehältern auf einen durchschnittlichen Facharbeiter*innenlohn eingeführt werden.

18% Wähler*innenpotential

10,8 Millionen Wähler*innen (18 Prozent) können sich vorstellen, DIE LINKE zu wählen. 54 Prozent davon sind der Meinung, dass DIE LINKE „für mehr Sozialismus“ eintreten soll. Das ist eine Steilvorlage für alle linken Delegierten beim Parteitag offensiv für einen sozialistischen Kurswechsel und gegen faule  Kompromisse mit dem  Reformer*innen-Flügel einzutreten.