Wie wird der Herbst heiß?

Einheitliche gewerkschaftliche und linke Mobilisierung nötig

Selten gab es mehr Grund auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren als zur Zeit. Der Lebensstandard von Millionen Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten ist bedroht. „Frieren oder hungern“, so lautet das Drohszenario für den Winter. Auch diejenigen Schichten der Arbeiter*innenklasse, die deutlich über Niedriglohnniveau verdienen, werden mit harten Einschränkungen konfrontiert sein. Und die Konzerne machen weiter Riesengewinne …

von Sascha Staničić

Die Entlastungspakete der Bundesregierung reichen nicht aus, um einen Fall des Lebensstandards zu verhindern. Sie werden diesen nur etwas abfedern. Es ist ein Skandal, wenn Teile der Gewerkschaftsführung, wie die DGB-Vorsitzende und ehemalige SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi, die Politik der Bundesregierung unterstützen und sich an der konzertierten Aktion von Regierung, Unternehmer*innen und Gewerkschaften beteiligen, anstatt ihre Mitglieder für eine Politik im Interesse der Arbeiter*innenklasse zu mobilisieren.

In den letzten Wochen haben Proteste begonnen. Dabei versuchen AfD und andere nationalistische und rassistische Kräfte die Situation auszunutzen und haben begonnen, Proteste zu organisieren. Einige zehntausend Menschen haben sich daran, vor allem in Ostdeutschland, bisher beteiligt. Doch die Rechten sind Nebelwerfer*innen. Ihr Programm bietet keine Alternative zur Regierungspolitik. Gerade das Programm der AfD würde auf einen armen Staat und damit auf Sozialkürzungen und den Abbau staatlicher Infrastruktur hinaus laufen (siehe hier).

Es ist dringend nötig, dass diesen Kräften nicht die Straße überlassen wird. Dazu gehört eine Mobilisierung gegen den für den 8. Oktober geplanten Aufmarsch der AfD in Berlin, aber vor allem Demonstrationen von Gewerkschaften, Sozialverbänden und Linken (die auch wöchentlich stattfinden sollten), sowie Urabstimmung und Erzwingungsstreiks in den anstehenden Tarifrunden der Metall- und Elektroindustrie und, Anfang 2023, des öffentlichen Dienstes, um Lohnerhöhungen oberhalb der Inflationsrate durchzusetzen. Dabei darf nicht auf Einmalzahlungen gesetzt werden, die nur für den Moment eine Erleichterung bedeuten, aber das Einkommensniveau nicht dauerhaft über die Preissteigerung bringen.

Bündnisse bilden!

Die Sol propagiert seit Wochen die Bildung von lokalen Bündnissen aus Gewerkschaften, der LINKEN, Sozialverbänden, Mieter*innenorganisationen, sozialen Bewegungen und linken Organisationen und hat in einigen Städten dazu die Initiative ergriffen bzw. beteiligt sich daran. Erste Proteste haben stattgefunden, zum Teil organisiert durch DIE LINKE, wie am 5. September in Leipzig oder am 17. September bei Aktionen der Partei in 200 Städten. In manchen Orten, wie in Erfurt und Frankfurt (Oder) haben gemeinsame Demonstrationen von Gewerkschaften und LINKE stattgefunden. In Berlin hat am 5. September ein Bündnis, an dem die Sol sich beteiligt, einen ersten Protest mit eintausend Teilnehmer*innen vor der Bundesgeschäftsstelle der Grünen durchgeführt. All das darf nur ein Anfang sein und muss zusammengeführt werden. Die von dem linken Jacobin-Magazin gestartete Kampagne „Genug ist genug“ will dazu ein Angebot schaffen. Leider ist diese bisher nur ein Banner ohne eine breite und demokratische Einbeziehung verschiedener Kräfte.

Berlin

In Berlin hat auf Initiative eines Sol-Mitglieds ver.di einen Beschluss für die Durchführung einer gewerkschaftlichen Großdemonstration gefällt. Jetzt kommt es darauf an, dass die Gewerkschaften dazu auch wirklich die Initiative ergreifen, ernsthaft mobilisieren und die Führung für eine solche Demonstration ergreifen. Leider sieht zur Zeit viel danach aus, dass sich die Gewerkschaftsführung hinter sich gerade bildenden Bündnissen geradezu verstecken wollen.

In Berlin haben sich mittlerweile zwei Bündnisse gebildet. Zum einen das Bündnis „Heizung, Brot, Frieden“ und das Bündnis „Umverteilen“, in denen sich unterschiedliche linke Kräfte sammeln und die nun für den Oktober zu verschiedenen Protesten aufrufen. Eine Spaltung bevor eine wirkliche Bewegung sich entwickeln konnte, wäre fatal. Deshalb tritt die Sol dafür ein, dass zu gemeinsamem Protesten mobilisiert wird und Bündnisse möglichst zusammen geführt werden. Das gilt umso mehr, da die inhaltlichen Unterschiede der jeweiligen Aufrufe sehr gering sind. Dabei stellen sich einige Fragen zur politischen Ausrichtung und Zusammensetzung solcher Bündnisse.

Ziel muss sein, eine Bewegung und Demonstrationen zu schaffen, die über den Kreis der „üblichen linken Verdächtigen“ hinaus gehen. Dazu bedarf es einer Ansprache, die breite Teile der Bevölkerung erreichen kann, nachvollziehbaren Forderungen, deren Umsetzung tatsächlich die soziale Situation der Menschen verbessern würde und praktischer Propaganda- und Mobilisierungsarbeit nicht nur in den linken Gruppen, sondern in Betrieben und Stadtteilen. Ebenso sollten offene Angebote zur Mitarbeit und Selbstorganisation gemacht werden, also zum Beispiel Stadtteilversammlungen durchgeführt werden.

Rechts gibt es keine Bündnispartner

In Berlin haben sich zwei Fragen als Konfliktpunkte herauskristallisiert. Erstens der Umgang mit nach rechts offenen Kräften, wie der Partei „Die Basis“ oder der „Freien Linken“, die Teil der so genannten Querdenker*innen-Proteste waren und dort mit Rassist*innen und Faschist*innen zusammen auf die Straße gegangen sind. Zweitens die Frage, wie mit den Wirtschaftssanktionen gegen Russland umgegangen werden soll.

Im Berliner Bündnis „Heizung, Frieden, Brot“ spielen Unterstützer*innen der von Sahra Wagenknecht ins Leben gerufenen Gruppierung „Aufstehen“ eine Rolle. Sahra Wagenknecht wird von vielen Linken seit Jahren zurecht wegen ihrer Positionen zu Migration und Corona kritisiert. Sie hat fatalerweise immer wieder Formulierungen verwendet, die ihr Applaus von rechts eingebracht haben und offensichtlich will sie auf diesem Weg, Wähler*innen von der AfD abwerben. Wir sind auch der Meinung, dass nicht alle AfD-Wähler*innen hoffnungslose Rassist*innen sind, die man nicht für linke und klassenkämpferische Politik gewinnen könnte. Dies kann aber nur erfolgreich sein, wenn man sie davon überzeugt, dass nicht Migrant*innen für soziale Probleme die Verantwortung tragen, sondern im Gegenteil nur ein gemeinsamer Kampf aller Lohnabhängiger, egal welche Hautfarbe, Nationalität oder Religion sie haben, eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse erreichen kann. Nicht inhaltliche Anpassung, sondern klar inhaltliche Abgrenzung und ein offensives linkes und klassenkämpferisches Angebot, kann Menschen aus den Fängen der AfD befreien.

Es ist auf der Linken eine legitime Debatte, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Positionen der Rechten zu übernehmen oder mit ihnen zu kooperieren, darf aber nicht Teil linker Politik sein. Dem Bündnis „Heizung, Frieden, Brot“ wird vorgeworfen, „nach rechts offen“ zu sein. Wäre das der Fall, würde die Sol nicht darin mitarbeiten und sollte das der Fall werden, würden wir im Bündnis dagegen kämpfen und es ggf. verlassen. Aber im Gegenteil hat sich das Bündnis in seinem Aufruf sowohl eindeutig von rechten Organisationen distanziert (was zum Beispiel im Aufruf von „Genug ist genug“ nicht der Fall ist), als auch beschlossen, dass bei der für den 3. Oktober geplanten Demonstration keine Fahnen und Banner der Partei „Die Basis“ oder der „Freien Linken“ zugelassen werden. Mittlerweile hat unter anderem auch der ver.di Landesfachbereich A Berlin-Brandenburg seine Unterstützung der Demonstration beschlossen.

Krieg und Sanktionen

Die andere Streitfrage ist die nach dem Umgang mit den gegen Russland gerichteten Wirtschaftssanktionen. Einige Kräfte, wie Unterstützer*innen von „Aufstehen“ und der DKP hatten versucht, im Berliner Bündnis „Heizung, Frieden, Brot“ die Forderung nach einem Ende der Sanktionen zu etablieren. Dies hat kontroverse Debatten ausgelöst und letztlich wurde entschieden, darauf in dieser expliziten Form zu verzichten. Auch die Sol lehnt die Sanktionen als Teil eines Wirtschaftskriegs zwischen dem Westen und Russland ab, unter dem die einfache Bevölkerung in beiden Lagern leidet. Die Wirtschaftssanktionen sind außerdem nicht dazu geeignet, Putins imperialistischen Krieg gegen die Ukraine zu stoppen. Ihre Wirkung ist aufgrund der Möglichkeiten Russlands, seinen wirtschaftlichen Handel auf Partnerländer wie Indien, China und andere zu verlagern, begrenzt. Mehr noch aber trifft eine Wirkung der Sanktionen nicht nur Putin oder die russischen Oligarch*innen, sondern die gesamte russische Bevölkerung und würde diese eher in Putins Arme treiben, als Opposition gegen ihn auszulösen. Das ist, nebenbei bemerkt, die Erfahrung mit Wirtschaftssanktionen in ähnlichen Situationen in der Vergangenheit gegen andere Staaten.

Trotz unserer Opposition gegen diese Sanktionen, schlägt die Sol zur Zeit aber vor, dass sich Protestbündnisse, die gegen Preissteigerungen und die Politik der Bundesregierung mobilisieren, in dieser Frage einer gemeinsamen Positionierung enthalten sollten. Man muss anerkennen, dass es in der arbeitenden Bevölkerung dazu sehr unterschiedliche Auffassungen gibt und eine Positionierung von Bündnissen bzw. Demonstrationsaufrufen in die eine oder andere Richtung die Gefahr beinhalten würde, Teile der Arbeiter*innenklasse nicht zu erreichen und eine Spaltung auslösen würde, die verhindert werden muss. Wir vertreten einen Ansatz, der in der Arbeiter*innenbewegung als „Einheitsfront“ bezeichnet wird: gemeinsame Mobilisierungen zu den Forderungen, auf die man sich einigen kann und Freiheit für alle beteiligten Kräfte, ihre Position zu den strittigen Fragen auf Versammlungen und Demonstrationen vorzubringen. Das bedeutet sowohl dafür zu argumentieren und Überzeugungsarbeit zu leisten, dass die Organisationen der Arbeiter*innenklasse und der Linken unter anderem eine Haltung gegen Sanktionen einnehmen, aber diese zum jetzigen Zeitpunkt nicht zur Voraussetzung für gemeinsame Proteste zu machen. Es muss auch klar sein, dass man es der Gewerkschaftsbürokratie, den Führungen von Sozialverbänden und Teilen der LINKEN sonst sehr einfach macht, sich einer Beteiligung an Protesten zu verweigern.

Als Sol sind wir Gegner*innen sowohl von Putins Regime und seinem Krieg, als auch von den westlichen kapitalistischen Staaten und der NATO. Wir sind der Überzeugung, dass der Kapitalismus unweigerlich zu Krieg und sozialen Verwerfungen führt. Die derzeitigen Preissteigerungen haben ihre Ursache auch nicht allein in den Folgen des Ukraine-Kriegs, sondern in den Krisenprozessen des Kapitalismus selbst. Deshalb vertreten wir ein sozialistisches Programm gegen die Preisexplosion, das viele Aspekte enthält, nicht zuletzt die Forderung nach der Überführung von Energiekonzernen und anderen Unternehmen in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Bevölkerung.

DIE LINKE

Leider muss man den Eindruck gewinnen, dass Teile der Linkspartei ihre innerparteilichen Kämpfe nun auf dem Rücken der sich entwickelnden Bewegung und solcher Protestbündnisse austragen. Das muss sofort beendet werden. Wir brauchen eine breite Einheit zur größtmöglichen Mobilisierung gegen die Politik der Regierung. Es ist völlig klar, dass auch Kräfte Teil dieser Einheit sein können und müssen, die nicht konsequent antikapitalistisch sind – sonst bleiben radikale Linke in ihrem Sumpf. Das muss für Kräfte unterschiedlichen Charakters gelten – Gewerkschaftsführungen, Sozialverbände, Mieter*innenorganisationen und den unterschiedlichen Kräften der LINKEN. Diese können eine entscheidende Rolle dabei spielen, größere Teile der Arbeiter*innenklasse zu mobilisieren und durch Betriebs- und Stadtteilversammlungen in eine wirkliche Bewegung einzubeziehen.

Gemeinsam!

Nun ist in Berlin die Situation entstanden, dass für die nächsten Wochen von unterschiedlichen Kräften unterschiedliche Demonstrationen angesetzt wurden. Das hat den Vorteil, dass es nun mehr als ein Angebot zum Protest gibt, was nötig ist angesichts der Versuche rechter Kräfte wöchentliche Montagsdemonstrationen zu etablieren. Die verschiedenen Bündnisse und linken Kräfte sollten aber gegenseitig zur Beteiligung an den jeweiligen Demonstrationen aufrufen gegenseitig Redner*innen einladen und einen Diskussionsprozess einleiten, um eine gemeinsame Bewegung zu schaffen. Die Gewerkschaften könnten dabei eine zentrale Rolle spielen, wenn sie die Initiative und Führung für einen solchen Prozess ergreifen würden.

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