Sahra Wagenknecht und die Migrationsdebatte

By xtranews.de (Flickr: IMG_1962.jpg) [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons

Beitrag zur Spaltung der Arbeiter*innenklasse

Mit dem am 23.10. verkündeten Austritt aus der Partei DIE LINKE und der Bekanntgabe, Anfang 2024 eine neue Partei gründen zu wollen, haben sich Sahra Wagenknecht und ein handverlesener Kreis ihrer Unterstützer*innen nun gänzlich von sozialistischer Politik abgewandt. Dem ging eine langjährige Auseinandersetzung rund um Wagenknechts Positionen voraus, nicht zuletzt auch um ihre Äußerungen zur Migrationsfrage.

von Jonas Rütter, Dortmund

Wagenknecht fordert, unkontrollierte Einwanderung zu stoppen und erweckt damit den Eindruck, dass gesellschaftliche Missstände durch Einwanderung entstehen. Zur Frage der Geflüchtetenpolitik vertritt sie schon seit Jahren Positionen, die zur Spaltung der Arbeiter*innenklasse beitragen, statt zu einem gemeinsamen Kampf aufzurufen.

Kölner Silvesternacht

Im Anschluss an die Silvesternacht 2015/2016 hatte Wagenknecht im Bezug zu Vorfällen sexualisierter Gewalt gefordert, dass kriminelle Migrant*innen abgeschoben werden müssten und vom sogenannten „Gastrecht“ gesprochen, was damit verwirkt sei. Damit hat sie nicht nur das Grundrecht auf Asyl in Frage gestellt, sondern grenzt Menschen mit Migrationshintergrund pauschal als “Gäste” aus und spricht sich faktisch gegen eine Gleichbehandlung von Menschen unabhängig von ihrer Nationalität aus.

Erst vor vier Monaten erklärte sie im Interview mit dem Sender „Welt“, es seien „ja vor allem auch nicht die Allerärmsten“, die nach Deutschland kämen, denn die könnten „sich die Flucht gar nicht leisten“. Der unausgesprochene Umkehrschluss ist wohl, dass die Flucht dieser Menschen nicht gerechtfertigt sei – von Menschen, die aus Kriegen, von Umweltkatastrophen zerstörten Gebieten und vor Verfolgung fliehen müssen.

Es sei durch die Zuwanderung inzwischen „eine Situation der Überforderung“ erreicht, so Wagenknecht weiter. Diese habe sicherlich, so schränkte Wagenknecht selbst ein, ihre Ursache nicht in der Zuwanderung, sondern in „politischen Fehlleistungen“, die schwierigen Situationen in Schulen, den KITAs und beim Wohnen geführt habe. Die Botschaft solcher Aussagen ist trotz solcher Relativierungen jedoch, dass man zur Lösung gesellschaftlicher Missstände Einwanderung einschränken müsse, statt alle Kraft darauf zu verwenden, mit allen von diesen Missständen Betroffenen gemeinsam für ausreichende Investitionen zu kämpfen.

Für ihre Positionen konnten Sahra Wagenknecht und ihre Unterstützer*innen in der LINKEN keine Mehrheiten gewinnen. Der Effekt der Debatte war aber, dass eine konsequent internationalistische Position unter Linken in Frage gestellt wurde. DIE LINKE selbst befindet sich im Widerspruch, auf dem Papier Geflüchtete zu verteidigen und in der Regierungspraxis in Thüringen und anderen Bundesländern, die Abschiebepolitik mitzutragen.

Was will Wagenknecht erreichen?

Mit ihren migrationspolitischen Positionen hat Sahra Wagenknecht immer mehr einen auf dem Nationalstaat basierten Linkspopulismus vertreten. Das erklärte Ziel ist es, Wähler*innen der AfD zurückzugewinnen und ihnen eine Alternative zu den Rechtspopulist*innen anzubieten. Wir stimmen damit überein, dass viele AfD-Wähler*innen, vor allem aus der Arbeiter*innenklasse, für kämpferische, linke Positionen gewonnen werden könnten, wenn diese überzeugend und glaubhaft vertreten werden. Das kann aber nicht dadurch erreicht werden, dass man Inhalte und Rethorik der Rechtspopulist*innen kopiert. Schon 2021 schreiben wir dazu: “ Selbst wenn man durch Aussagen, wie Wagenknecht sie macht, einige WählerInnen davon abhalten könnte von der LINKEN zur AfD zu wechseln, wäre der Preis zu hoch – eine Stärkung rechter Positionen zur Flüchtlingsfrage. (…)  Und gleichzeitig wird DIE LINKE andere Mitglieder und WählerInnen verlieren, die sich zurecht über Wagenknechts Äußerungen empören. Ohnehin sollte sich die Partei darauf orientieren, das große bestehende Potenzial unter Arbeiter*innen und Jugendlichen, die nicht AfD wählen, sondern gar nicht zur Wahl gehen (und sich oftmals selbst als links einstufen würden), zu erreichen und zu mobilisieren.”

Was Wagenknecht mit ihren Thesen bewirkt

Noch immer wird Wagenknecht als Linke wahrgenommen. Umso schlimmer ist die gesellschaftliche Wirkung ihrer Aussagen und die Wirkung in die politische Linke hinein.

Dass Wagenknecht eine Begrenzung von Zuwanderung fordert und sich beispielsweise positiv auf die rassistischen Einwanderungsgesetze Dänemarks bezieht, lenkt von den tatsächlichen Verursacher*innen der sozialen Probleme ab und behindert einen gemeinsamen Kampf gegen diese Verursacher*innen in den Chefetagen der Konzerne und Regierungen. Insbesondere verwendet sie immer wieder eine Rhetorik, die an Rechtspopulist*innen erinnert. Es ist kein Wunder, dass sie aus diesem Spektrum viele Symapthiebekundungen bekommt. Ob gewollt oder nicht, leistet sie so einen Beitrag zur “Teile und Herrsche”-Logik. 

Wie Rassismus bekämpfen?

Dabei wäre es notwendig Migrant*innen und hier Geborenen zusammen zu organisieren und sich die nötigen Ressourcen gemeinsam von den Banken, Konzernen und privaten Vermögen zu erkämpfen. Dies stellt auch den einzigen Weg dar, um Rassismus und den Aufstieg des Rechtspopulismus einzudämmen. Nur wenn die soziale Frage erneut ins Zentrum der gesellschaftlichen Debatte gerückt wird, und nur wenn gemeinsame soziale und gewerkschaftliche Kämpfe von deutschen Lohnabhängigen sowie ihren nichtdeutschen Kolleg*innen, von Arbeitslosen und Jugendlichen geführt werden, können die etablierten Parteien und in der AfD mit ihrer rassistischen Propaganda zurückgedrängt werden. Für diesen Kampf stellen Wagenknechts migrationspolitische Positionen ein Hindernis dar.

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