Quarantänebericht aus einem Altenheim

Wie in der Krise mit alten Leuten umgegangen wird

Corona-Verdacht im Pflegeheim – hier leben so viele alte Menschen mit Vorerkrankungen, dass klar ist, dass sofortige Maßnahmen ergriffen werden müssen. Bei uns im Heim war das der Fall. Ein Erfahrungsbericht aus der Quarantäne und eine Kritik am System.

von Brigitte Nowak, Altenpflegerin aus NRW

14 Tage war unsere Etage für die Außenwelt geschlossen. Das bedeutete für die Bewohner*innen, möglichst auf dem Zimmer zu bleiben. Spaziergänge waren nur in einem kleinen Garten möglich oder über den Flur – einzeln nach Absprache und mit viel Abstand. Die meisten Bewohner*innen waren die vollen zwei Wochen auf dem Zimmer. Wir Pflegenden haben zusätzlich zur reinen Pflege viel Arbeit damit gehabt, einem Lagerkoller vorzubeugen: Wir haben uns zu den Leuten auf die Zimmer gesetzt, ihre Fragen beantwortet, sie getröstet und über die Sehnsucht nach der Familie geredet, die seit Wochen nicht mehr kommen darf. Auch mussten wir zusätzliche Hygienemaßnahmen durchführen und alle acht Stunden die Temperatur messen, was ebenfalls Zeit kostet. Mehr Personal bekamen wir dafür nicht.

Folge waren unbezahlte Überstunden in Form von durchgearbeiteten Pausen und kein normales Gehen sondern Rennen über den Flur, um irgendwie das Arbeitspensum zu schaffen. So kamen in einer Schicht bei einem 100-Meter-Flur schnell mal zehn Kilometer Laufweg zusammen. Ist auch nur einmal etwas außer der Reihe gewesen, wie Arztvisiten oder eine Erkrankung, war keine Zeit mehr, um sicherzustellen, dass Alle gut versorgt sind. Ich weiß nicht, wie oft ich in dieser Zeit Bewohner*innen vertröstet habe mit den Worten: „Es tut mir leid, aber das schaffe ich nicht mehr. Fragen Sie morgen nochmal, vielleicht ist es da besser.“ Oder wie oft ich gehört habe: „Schwester, ich habe vor zehn Minuten geklingelt, jetzt ist es schon zu spät, jetzt muss ich nicht mehr auf Toilette.“

Einige Bewohner*innen auf meiner Station sind von Demenz betroffen. Nicht allen konnten wir verständlich machen, dass Quarantäne ist und sie die meiste Zeit auf ihren Zimmern bleiben müssen. Auf Nachfrage bei der Leitung, wie wir mit dieser Patient*innengruppe umgehen sollen, kam die Antwort, wir hätten vom Gesundheitsministerium die Empfehlung, die Menschen dann einzusperren und in Absprache mit einem Arzt ruhig zu stellen. Wir und die Leitung haben das im Team als unmenschlich eingestuft und uns etwas anderes einfallen lassen.

Nun ist die Quarantäne aufgehoben. Niemand Weiteres ist erkrankt und die zwei Betroffenen sind auf dem Weg der Besserung. Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen. Aber sind wir das? Wir, die Pflegenden, fordern nun einen Test aller Bewohner*innen und Mitarbeitenden des betreffenden Bereichs durchzuführen – um sicherzustellen, dass nicht jemand das Virus ohne Symptome hat und weiterverbreitet. Die Quarantäne ist nun seit fast einer Woche vorbei. Und trotz mehrfacher Anfragen beim Gesundheitsministerium haben wir immer noch keine Antwort und immer noch keine Tests. Das gefährdet zum einen die Bewohner*innen, aber auch unsere Familien zuhause, weil wir nicht wissen, welcher Gefahr wir uns tagtäglich aussetzen.

Am Sonntag, dem Muttertag, wurde nun das Besuchsverbot für Pflegeheime aufgehoben. Dafür gab das Gesundheitsministerium den Leitungen und den Pflegenden fünf Tage Vorbereitungszeit. Das ist sportlich, wenn man bedenkt, was alles noch zusätzlich organisiert werden muss. Es können nicht Alle auf einmal kommen, deshalb müssen Termine gemacht werden. Die Besuche finden unter strengen Hygieneauflagen statt. Jemand muss die Besucher*innen zur Gesundheit befragen und über Hygiene aufklären. Da die Besuche nicht im Zimmer stattfinden, müssen die Pflegenden und die Betreuungskräfte die Bewohner*innen ins Besucherzimmer bringen – an einem Wochentag wo die meisten Heime eh in Notbesetzung laufen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass am Wochenende der Personalschlüssel, wenn überhaupt gerade so erreicht wird. Es ist ein völlig übereilter Entschluss, den am Ende die Heime, die Pflegenden und letztendlich auch die Bewohner*innen ausbaden dürfen.

Wir kommen nicht weiter. Die Schichten sind seit Wochen so besetzt, dass nur der Normalbetrieb funktioniert, aber den gibt es in der Arbeit mit Menschen nicht und in Zeiten von Corona erst recht nicht. Kommt etwas dazwischen, können wir nicht mehr so pflegen wie wir es gelernt haben. Mit dem Kürzel in unserer Dokumentation lügen wir häufig wie gedruckt, weil das, was wir da alles abzeichnen, schon lange nicht mehr schaffbar ist – besonders in Krisen- und Quarantänezeiten. Und dann wären gerade die Grundbedürfnisse befriedigt. Aber wenn wir auch sicherstellen wollen, dass die Bewohner*innen nicht nur satt und sauber sind, sondern sich auch wohl und geborgen fühlen und in Würde alt sein können, brauchen wir zwingend mehr Personal – um Gespräche anzubieten, die Familie gemeinsam anzurufen, Video-Calls einzurichten und die Ängste zu nehmen. 

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