Nachruf: Jörg Winter

Jörg beim Zeitungsverkauf beim Anti-WAAhnsinns-Festival im Juli 1986 im bayrischen Burglengenfeld. An dem Festival nahmen 100.000 Menschen teil. Nach jahrelangem heftigem Widerstand wurde der Bau der Wiederaufbereitungsanlage (WAA) 1989 eingestellt.

Vierzig Jahre aktiv in der marxistischen Bewegung

Am 15.12.2020 ist Jörg Winter aus Stuttgart im Alter von 65 Jahren gestorben. Wir trauern um unseren langjährigen Genossen.

von Ursel Beck, Stuttgart

Die atomare Hochrüstung Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre (NATO-Doppelbeschluss) war für Jörg der Auslöser politisch aktiv zu werden. Er trat der SPD bei und schloss sich bald dem marxistischen Flügel um die Zeitung VORAN an, der Vorläuferorganisation von SAV bzw. Sol. Jörg engagierte sich über die Jungsozialist*innen Stuttgart unter anderem gegen alljährliche Fahrpreiserhöhungen, in der Friedensbewegung, in der Solidaritätsbewegung für den Streik der englischen Bergarbeiter*innen, den Streik für die die 35-Stunden-Woche und gegen die atomare Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf.

Aufgrund seines Berufs als Informatiker war Jörg in der IG Metall organisiert. Ab Mitte der 90er Jahre verlegte er seinen Schwerpunkt auf die betriebliche und gewerkschaftliche Arbeit. Er engagierte sich bis zu seinem Ausscheiden in Altersteilzeit als Betriebsrat, zuletzt in Freistellung, und in verschiedenen gewerkschaftlichen Funktionen.

Der Fraktionskampf in der SAV 2019 war für Jörg ein Weckruf zur aktiven Verteidigung des Marxismus. Er beschäftigte sich mit den Positionen in dieser politischen Auseinandersetzung und entschied sich vollkommen überzeugt für die Mitgliedschaft in der Sol und zur aktiven Mitarbeit. Solange seine Kräfte es ihm erlaubten, nahm er an Treffen und an Außenaktivitäten teil. Die Corona-Pandemie zwang ihn aufgrund der für ihn extrem gefährlichen Ansteckung in häusliche Quarantäne – unterbrochen durch mehrere Krankenhausaufenthalte. Solange er genug Kraft hatte nahm er an online-Treffen teil. Zum 80. Todestag von Leo Trotzki hatte er noch ein Referat ausgearbeitet, das er aufgrund seiner fortschreitenden Krankheit nicht mehr vortragen konnte.

Jörg hat stets die aktuellen politischen Entwicklung verfolgt und eingeschätzt. Aus der marxistischen Theorie holte er sich dafür den Kompass. Er war kein „Lautsprecher“. Wenn er sich zu Wort meldete, dann sehr überlegt. Seine Position vermittelte er ruhig, fundiert und überzeugend, oft bereichert mit einer köstlichen Prise trockenem Humor. Wir verlieren mit ihm einen loyalen, zuverlässigen und opferbereiten Genossen und Freund sowie ein Stück politische Erfahrung der letzten vierzig Jahre. Unser Beileid gilt seiner Partnerin und Genossin Lucie Dussle-Winter und ihren beiden Kindern.

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