Verdi nach dem Bundeskongress

Jetzt für eine kämpferische und demokratische ver.di aktiv werden! Stellungnahme des Netzwerks für eine kämpferische und demokratische ver.di

Allgemein

1. Der 6. Bundeskongress von ver.di fand in einer Zeit von mehrfachen gesellschaftlichen Krisen statt. Diese treffen die Beschäftigten, die sich in ver.di organisieren, wie auch die gesamte arbeitende Klasse. In den Diskussionen wurden eine Reihe von grundlegenden Fragen aufgeworfen. Die Auseinandersetzung um die Haltung zum Ukraine-Krieg (Waffenlieferungen, Sanktionen, Aufrüstung und Militarisierung), Tarifpolitik, Sozialpartnerschaft, das Verhältnis zur Regierung u.v.m. muss nun dringend fortgesetzt werden.

2. Die Kosten für die Corona-Pandemie, den Krieg, die bereits einsetzende Wirtschaftskrise, die hohe Inflation, die Folgen von Klimazerstörung usw. werden auf die Beschäftigten abgewälzt. Dem gegenüber stehen Rekordgewinne der Konzerne. Um diese zu sichern, werden die Angriffe auf die Löhne, die Arbeitszeit und allgemein die Arbeits- und Lebensbedingung der Arbeitenden verschärft – ob direkt durch die Unternehmen oder indirekt durch zum Beispiel Preissteigerungen. Der Kampf um Deutschlands Einfluss in der Welt, der für die Kapitalseite eine militärische Aufrüstung notwendig macht, ist untrennbar mit einem verschärften Klassenkampf im Inneren verbunden.

3. Daraus wächst die Notwendigkeit, dass die Gewerkschaft ihrer Aufgabe nachkommt, unmittelbar gegen Reallohnverluste, mögliche Angriffe auf das Streikrecht, die Rente und gegen den Kürzungshaushalt der Bundesregierung zu kämpfen und sich auf weitere Angriffe vorzubereiten. Eine teilweise wachsende kämpferische Stimmung an der Basis hat sich auch in einigen Reden des alten und neuen Bundesvorstands niedergeschlagen.

4. Auf der anderen Seite wurde mit den Leitanträgen des Gewerkschaftsrats eine sozialpartnerschaftliche Ausrichtung fortgeschrieben und vertieft. Den radikalen Reden auf dem Kongress steht die tägliche Praxis der Sozialpartnerschaft mit Unternehmen, ihren Verbänden und der Regierung gegenüber.

5. In seiner Haushaltsrede Anfang September hat Bundeskanzler Scholz den “Deutschlandpakt” vorgestellt. Darin hat er die Forderung erhoben, dass die Gewerkschaften gemeinsam mit Unternehmen und Regierung an der Modernisierung Deutschlands arbeiten sollen. Wir haben im letzten Jahr bereits die Konzertierte Aktion gesehen: Die Initiative von Kanzler Scholz im Juli letzten Jahres für eine Verhandlung zwischen Kapital, Regierung und Gewerkschaftsführung zeigte in den letzten Tarifrunden deutliche Folgen: Immer wieder wurde Inflationsausgleichsprämie aufgegriffen und führte letztendlich zu Reallohnsenkungen. Ein weiterer Schritt zur Verschleierung der Klassenwidersprüche, der sicher nicht der letzte sein wird. Unter diesem Deckmantel werden die nächsten Angriffe und Kürzungen vorbereitet. Gleichzeitig ist schon der Status Quo ein Desaster. Denn es fehlt an nötigen Investitionen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Soziales und der gesamten öffentlichen Daseinsvorsorge. Seit Jahren herrscht chronischer Personalmangel in Krankenhäusern, in der Pflege, Schulen, Kitas, Ämtern, und so weiter. Mit den jetzigen Regierungsplänen wird nichts verbessert, im Gegenteil – der Abbau der Daseinsvorsorge wird so vorangetrieben.

6. Auf dem Bundeskongress wurde aber kein Programm gegen die vielfältigen Krisen beschlossen. Der Kongress hat zwar debattiert, aber nicht die Weichen für die praktische Arbeit unserer Gewerkschaft gestellt. Das gesamte Themengebiet C “Nachhaltige Wirtschaft und handlungsfähiger Staat” konnte nicht behandelt werden. Erfrischenderweise gab es in diesem Jahr deutlich mehr Raum für Debatten, aber immer noch wurde zu viel Zeit für Kongresszeremonie und Reden hochrangiger Regierungsmitglieder aufgewendet. Die Arbeit in der Basis, in den Vertrauensleutekörpern war eher eine Randbemerkung – sodass unklar blieb, wie diese ganzen Beschlüsse in den nächsten Jahren umgesetzt werden sollen.

7. Dennoch war dieser Bundeskongress anders als die vorherigen. In seinem Verlauf wurde den Delegierten klar, dass es viele grundlegende Punkte gibt, die wir als Gewerkschaft zu klären haben. Es hat sich jedoch vor Ort bereits gezeigt, dass sowohl die Notwendigkeit, als auch der Wille für eine Vernetzung klassenkämpferischer Kolleg*innen vorhanden ist.

8. Es ist wichtig, die Diskussionen, die auf dem Kongress begonnen wurden, in den Strukturen und der Mitgliedschaft fortzusetzen. In den Betriebsgruppen, Fachbereichen und Bezirksebene sollte es eine Auswertung des Kongresses geben und einen Plan, um die verschiedenen Themenbereiche weiter zu bearbeiten.

Tarifpolitik

9. Der Kampf um Lohn, Arbeitszeit und gute Arbeitsbedingungen ist unser Kerngeschäft. Angesichts der fortschreitenden Verarmung breiter Schichten der Klasse, von denen die ärmsten am härtesten getroffen werden, bekommt der Kampf um den Erhalt und die Steigerung des Reallohns eine andere Schärfe. Eine hohe Inflation ist nichts als eine Lohnkürzung, wenn dem nicht entsprechende Lohnerhöhungen entgegenstehen. Die Voraussetzungen für die (Rück)Gewinnung tausender Kolleg*innen in die Gewerkschaft verbessern sich, wie über 140.000 Neueintritte in diesem Jahr gezeigt haben.

10. Es ist notwendig, sich von der eingefahrenen Tarifroutine mit wenigen Verhandlungsrunden und einem Kompromissergebnis ohne wirkliches Kräftemessen mit der Kapitalseite zu verabschieden. Das bedeutet vor allem, mit dem Mittel des Erzwingungsstreiks nicht nur zu drohen, sondern diese Drohung auch wahrzumachen. Wir nehmen unsere eigenen Forderungen ernst und begreifen sie nicht als Verhandlungsmasse. Wenn wir sie voll durchsetzen wollen, kommen wir um den Einsatz der gesamten Kampfkraft nicht herum. Das macht den Ausbau von Strukturen der Streikdemokratie nötig. In der Krankenhausbewegung und der TRöD 2023 wurde in einigen Orten wie z. B. Berlin mit lokalen Strukturen von Team- und Streikdelegierten ein erster Ansatz für eine Verlagerung der Entscheidung auf die Ebene der aktiven Kolleg*innen, also Elemente von mehr Streikdemokratie eingeführt.

11. Gerade während der Tarifrunde im öffentlichen Dienst haben wir aber gesehen, dass die Schlichtung einen Bruch in der Streikdynamik bedeutete. Auch konnten während des Schlichtungsverfahrens keine Streiks stattfinden, was die Diskussionen unter den Streikenden eingeschränkt und ihre Möglichkeit Einfluss zu nehmen massiv eingeschränkt hat. Wir lehnen daher die Schlichtung als streikbremsendes Instrument ab.

12. Die Schlichtungsvereinbarung im TVÖD muss schnellstmöglich gekündigt werden. Darüber hinaus sollten die Mitglieder in Tarifkämpfen demokratisch über den Verlauf bestimmen können. Das sollte über regelmäßige Streikversammlungen, die Wahl von Streikleitungen vor Ort und Streikdelegierten auf örtlicher, überregionaler und bundesweiter Ebene zu Streikdelegiertenkonferenzen sichergestellt werden. Diesen Konferenzen sollte die Entscheidungsbefugnis über alle nächsten Schritte im Arbeitskampf gewährt werden.

13. Wir stellen ebenfalls fest, dass, trotz einer Zustimmung von etwa zwei Dritteln, die Ablehnung der Tarifabschlüsse bei der Post und im öffentlichen Dienst in Mitgliederbefragung und Urabstimmung historisch hoch waren. Darin drückt sich die Unzufriedenheit darüber aus, wie die Abschlüsse herbeigeführt wurden. Auch eine Zustimmung bedeutet noch nicht unmittelbar Zufriedenheit mit dem Verlauf und Ergebnis der Tarifrunde, sondern ist auch Ausdruck einer mangelnden Alternative, die nur in einer umfassenden Kampagne für einen Erzwingungsstreik gelegen hätte.

14. Auf dem Kongress gab es einige grundlegende Anträge zur Tarifpolitik, unter anderem zur Frage der Schlichtungsvereinbarung im öffentlichen Dienst und zur gleitenden Lohnskala. Mit dem Verweis auf die Satzung, aus der geschlussfolgert wird, dass tarifpolitische Fragen nicht auf dem Kongress verhandelt werden dürfen, sollten entsprechende Anträge nicht behandelt oder abgelehnt werden. Das führte zu großem Unmut unter vielen Delegierten. Die Ablehnung der Abstimmungsempfehlung lag bei fast fünfzig Prozent. Während es natürlich den Kolleg*innen selbst obliegt, ihre Abschlüsse zu erkämpfen, muss es dem Gewerkschaftskongress als höchstem beschlussfähigen Gremium gestattet sein, eine Position zu tarifpolitischen Themen zu beziehen, die von grundlegender Bedeutung für die Arbeit der Organisation sind. Die konkrete Anwendung muss dann in den entsprechenden Fachbereichen diskutiert werden.

15. Positiv ist der Beschluss über die Einführung einer 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Es muss damit die intensive Debatte in der gesamten Struktur beginnen, wie man diese real erkämpfen kann. Die bisherigen Wahlmodelle, bei denen Freizeit gegen Lohn ausgespielt wird, sollten dabei abgelehnt werden.

16. Die gemeinsamen Streiktage von Beschäftigten der Flughäfen mit dem öffentlichen Dienst, der EVG, die gemeinsamen Demonstrationen mit Fridays For Future wurden zu Recht als Schritt nach vorn anerkannt. Vereinzelte gemeinsame Aktionen sind jedoch nicht genug – das Ziel muss die Koordinierung und Zusammenführung von Tarifkämpfen sein. So kann die Durchsetzungskraft gesteigert und Bereiche mit einem (noch) niedrigen Organisationsgrad besser einbezogen werden. Ende 2024 laufen viele große Tarifverträge aus, die Verbindung dieser zu einer breiten Tarifbewegung verschiedener Branchen sollte jetzt beginnen.

Krieg und Frieden

17. Der Diskussion zum Antrag E 084 “Perspektiven für Frieden, Sicherheit und Abrüstung in einer Welt im Umbruch” ging die Petition “Sagt Nein!” mit mehr als 10.000 Unterstützungsunterschriften voraus, die klar machte, dass es darüber Auseinandersetzungen geben wird. Der Beschluss für Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet, für Sanktionen, für die Unterstützung des Kurses des Bundesregierung und der EU und keine konsequente Ablehnung der Aufrüstung ist eine historische Zäsur für die deutsche Gewerkschaftsbewegung.

18. Über Jahrzehnte vertraten Gewerkschaften die antimilitaristischen Grundpositionen der internationalen Friedensbewegung, ohne sich auf die Seite der einen oder anderen Kriegspartei zu stellen. Das Leitmotiv war immer die Solidarität mit den Kolleg*innen der betroffenen Länder, aber nicht mit der einen oder anderen bürgerlichen Regierung. Diese Positionsänderung hat sich von der Bundesebene, auch innerhalb des DGB, bereits ab März 2023 durchgesetzt. Ähnlich lief es nur während des Jugoslawien-Kriegs 1999, als der damalige DGB-Vorsitzende und der Bundesvorstand eigenmächtig den NATO-Kriegseinsatz befürworteten. Es gab darüber keine Diskussion in unseren Strukturen. Nach dem Beschluss auf dem ver.di Bundeskongress werden wahrscheinlich weitere Gewerkschaften, als nächstes die IG Metall, ihre Positionen ändern.

19. Nötig ist stattdessen ein klarer Klassenstandpunkt, der bedeutet, sich konsequent an die Seite der Kolleg*innen in der Ukraine und in Russland zu stellen, aber weder eine Regierung Selenskyj noch das Putin-Regime unterstützen. Ein sofortiger Waffenstillstand ist unabdingbar für alles Weitere. Ein Ende mit der russischen Kriegstreiberei können aber nur die Menschen in Russland machen und nicht die Waffen der NATO und ihrer Mitgliedstaaten. Dem Ruf nach mehr Waffen setzen wir die internationale Solidarität aller Arbeitenden entgegen, um die Waffen zum Schweigen zu bringen. Die Boykottierung von Waffenlieferungen durch italienische und französische Kolleg*innen ist uns ein Vorbild.

20. Es ist auch nötig, den Zusammenhang zwischen der Außen- und Innenpolitik deutlich zu machen. Es gibt dazu einen unmittelbaren finanziellen Aspekt. Wenn die öffentlichen Ausgaben der BRD für die Rüstung in die Höhe schnellen, wird das Geld dafür an anderer Stelle gespart. Der aktuelle Bundeshaushalt ist das beste Beispiel dafür, dass beim Verteidigungsetat nicht gespart wird, während überall anders die Axt angesetzt wird. Weniger Geld im öffentlichen Dienst heißt für Tarifrunden geringere Lohnabschlüsse und noch weniger Geld in einer bereits maroden Daseinsvorsorge. Diesen Zusammenhang gilt es, herzustellen und die Kolleg*innen auf noch härtere Auseinandersetzungen vorzubereiten.

21. Darüber hinaus ist die aktuelle Krise des Kapitalismus weder rein kriegsbedingt, noch vorübergehend. Dennoch hat die Kriegspolitik, in diesem Fall der Wirtschafts- und Handelskrieg und die Verhängung von Sanktionen ebenfalls einen direkten Einfluss. Wirtschaftssanktionen betreffen nicht nur vor allem die Arbeitenden und Armen des Landes, über das sie verhängt werden. Sie stellen einen Bruch mit bisherigen Wirtschaftsbeziehungen dar, in diesem Fall die Lieferung von Gas und Öl via Russland. Das lässt Preise in die Höhe schnellen und die mediale Berichterstattung über den Krieg schafft eine Situation, in der Energiekonzerne, subventioniert durch Steuergelder aus der Energiepreisbremse, die Preise noch weiter erhöhen, um Extragewinne einzufahren.

22. Das heißt, dass auch hier die arbeitende Bevölkerung für die Kosten des Krieges zur Kasse gebeten wird. Dagegen müssen die Gewerkschaften mobilisieren.

23. Während der Tarifkämpfe im Frühjahr fanden auch in Frankreich und Großbritannien Massenstreiks statt. Viele Kolleg*innen bei der Post und im öffentlichen Dienst nahmen diese wahr und verstanden sich als Teil dieser Bewegung, wenn auch die Kämpfe in Deutschland nicht dasselbe Niveau erreichten. Das Potenzial für eine größere Streikbewegung war vorhanden. Tarifkämpfe dieses Ausmaßes, die einen verallgemeinerten und radikalen Charakter (wie in einem Erzwingungsstreik) annehmen, bekommen auch in anderen Teilen der Arbeiter*innenklasse Aufmerksamkeit. Gerade Kämpfe im öffentlichen Dienst haben einen unmittelbaren politischen Charakter, da es hier um die Frage der Finanzierung öffentlicher Ausgaben geht und woher das Geld dafür kommen soll.

24. Eine Regierung, die gerade auf der Welt (und das betrifft aktuell das südchinesische Meer, genauso wie die Sahel-Zone neben dem Ukraine-Krieg) um den deutschen Einfluss kämpft, kann jedoch keinen Klassenkampf im Inland gebrauchen. Vor allem nicht, wenn die politischen Fragen die Streikenden in einen Widerspruch mit der Regierungspolitik bringen.

25. Die Änderung der grundlegenden friedenspolitischen Position ist angesichts zunehmender Kriegstreiberei nur das erste Zugeständnis, das den Gewerkschaften abverlangt wird. Auf dem Kongress haben achtzig Prozent dem leicht geänderten Antrag des Gewerkschaftsrats zugestimmt. Wir wissen aber auch, dass vielen Kolleg*innen, wenn die Konsequenzen klar werden, die Frage kommen wird, ob diese Entscheidung richtig war. Wir nehmen nichts von unserer Kritik zurück und werden weiterhin für die bisherigen antimilitaristischen Positionen eintreten.

Programm gegen die Krise nötig

26. Entgegen Äußerungen von Frank Werneke ist wichtig zu sagen, dass eine nächste möglicherweise tiefe Wirtschaftskrise in den nächsten Jahren wahrscheinlich ist. Wie vorhergehende Krisen gezeigt haben, kann innerhalb weniger Wochen die gesamte Wirtschaft auf den Kopf gestellt werden. Dabei muss das Geschrei der Unternehmen von der Krise richtig eingeordnet werden, denn diese wollen nichts weiter als Lohndrückerei und staatliche Unterstützung durchsetzen. Der Drohung von Entlassungen und Produktionsverlagerung muss die Gewerkschaftsbewegung ein eigenes Programm entgegensetzen.

27. In den Leitanträgen zum Kongress wurde mehrmals auf die vielschichtige Krise verwiesen und ein Bekenntnis zur “sozial-ökologischen Transformation” abgegeben. In Reden des Bundesvorstands wurde der Grundwiderspruch zwischen Arbeit und Kapital als zentral anerkannt. Unsere Aufgabe ist es, die praktischen Schlussfolgerungen aus diesen Erkenntnissen zu ziehen.

28. Dabei gilt es, das Konzept der vermeintlichen Sozialpartnerschaft grundlegend in Frage zu stellen und zu verwerfen. Aus dem Grundwiderspruch zwischen dem Interesse der Arbeitenden auf der einen und dem Kapital auf der anderen Seite kann man nur schlussfolgern, dass eine Partnerschaft unmöglich ist.

29. Auf dem Kongress bekam der Antrag des Bundesjugendkonferenz “Fahimi spricht nicht für uns” größere Aufmerksamkeit und Zustimmung. Die Nähe der Gewerkschaften zu Kapital und Regierung stößt bei wachsenden Teilen auf Kritik und Ablehnung.

30. Im Kapitalismus sind Staat und Regierung keine neutralen Instrumente. Die bürgerlichen Parteien sehen ihre Aufgabe darin, die Funktion des Kapitalismus mittels staatlicher Mittel aufrechtzuerhalten. Investitionen in Milliardenhöhe gibt es in Krisenzeiten vor allem für Konzerne, während die Mehrheit die Kosten trägt. In Tarifrunden, die öffentliche Betriebe betreffen, zeigt sich das direkt, wo Vertretungen von Bund, Ländern und Kommunen den Kolleg*innen als Gegenseite gegenüber sitzen und beispielsweise die Schuldenbremse verteidigen.

31. Die Schlussfolgerung daraus bedeutet für uns, dass wir uns nur auf unsere eigene Stärke verlassen können. Der Weg ist, Kolleg*innen zu organisieren und ihnen die Kontrolle über ihren Kampf zu übertragen. Geheimverhandlungen, Schlichtungen, intransparente Hintertürgespräche auf höherer Ebene sind abzulehnen.

32. Wenn wir von Verkehrs- und Energiewende, sozial-ökologischer Transformation usw. sprechen, muss ver.di die Eigentumsfrage stellen. Ebenso, um das marode Gesundheitswesen zu retten oder das Post- und Telekommunikationswesen. Nötig ist die Überführung der Banken und Konzerne in öffentliches Eigentum unter Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Bevölkerung und ebenso die Rekommunalisierung privatisierter Betriebe, angefangen bei Infrastruktur und Daseinsvorsorge. Nur so kann es einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel im Interesse der Mehrheit geben.

33. Auch die Krankenhausreform ist nichts anderes als ein Kahlschlagprogramm, das die Gesundheitsversorgung weiter dezimiert. Dagegen gilt es mit allen Mitteln zu kämpfen.

34. Das Streikrecht ist in Gefahr. Wenn Frank Werneke und Christine Behle sagen, dass ver.di sich dem mit allen Mitteln dem entgegenstellt, darf es nicht bei Appellen oder symbolischen Protestaktionen bleiben. Hier muss eine ernsthafte Gegenwehr bis hin zum politischen Streik vorbereitet werden.

35. Eine Einheitsgewerkschaft ist kein Ersatz für eine Arbeiter*innenpartei. Das bedeutet im Umkehrschluss jedoch nicht, dass eine grundsätzlich antikapitalistische Ausrichtung und Positionierung zu bestimmten politischen Fragen nicht notwendig ist. Der Grundwiderspruch besteht zwischen Kapital und Arbeit. Deshalb ist gerade jetzt die Zeit, nicht nur laut und deutlich Kapitalismuskritik zu üben, sondern auch die Debatte zu Alternativen zu diesem krisenhaften System, welches kein gutes Leben und keine gute Zukunft mehr bietet, zu führen.

Organisiert Euch für eine kämpferische und demokratische ver.di

36. Liebe Kolleg*innen, es ist höchste Zeit, dass wir uns zusammen für eine Richtungsänderung in unserer Gewerkschaft einsetzen. Lasst uns damit nicht bis zum nächsten Bundeskongress warten. Wir haben bereits auf dem Kongress viele Kolleg*innen kennengelernt, die begonnen haben, über die weitere Zusammenarbeit zu diskutieren. Uns eint der Gedanke, dass der (Wieder)Aufbau unserer Gewerkschaft nur im Kampf gelingen kann, wie die Tarifrunden Anfang des Jahres gezeigt haben, die zumindest einen Ansatz boten. Nur wenn ver.di ihren Gebrauchswert als Organisation unter Beweis stellt, mit der die Kolleg*innen ihre Interessen als Arbeiter*innen durchsetzen können, gelingt uns das.

37. Als “Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di” können und wollen wir keine Gewerkschaftsstruktur ersetzen. Wir wollen einen Ort und eine Plattform bieten, wo sich klassenkämpferische Kolleg*innen austauschen und Vorschläge erarbeiten können. Das können gemeinsame Anträge in ehrenamtlichen Strukturen sein, die Vorbereitung von Tarifrunden, das Anstoßen von Diskussionen in Betriebsgruppen, Solidaritätskampagnen u.v.m.

38. Die nächsten Auseinandersetzungen stehen unmittelbar an, sei es TV-L/TV-Stud, TV-N im nächsten Jahr oder die großen Tarifrunden Anfang 2025. Lasst uns die Ansätze (klassen)kämpferischer Gewerkschaftsarbeit zusammenführen und vertiefen! Wir laden alle Kolleg*innen herzlich ein, mit uns in die Diskussion zu treten.

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