Dresden droht größere Kürzungswelle. Pflegebündnis warnt vor Folgen für Versorgung Bedürftiger. Ein Gespräch mit Oliver Zech.
Seit Monaten geht in Dresden durch die Presse, dass größere Kürzungen bevorstehen. Sogar von einer »Liste der Grausamkeiten« ist die Rede. Was ist aus Ihrer Sicht zu befürchten?
Es deutet alles darauf hin, dass im kommenden Doppelhaushalt 2025/2026 in nahezu allen Bereichen des Daseins – ganz enorm allerdings im Sozialen und in der Kultur – gespart werden soll. Das betrifft vor allem Projekte der Kinder-, Jugend-, Gleichstellungs-, Migrations- und Sozialarbeit, die teilweise oder ganz vor dem Aus stehen. Im Grunde kann man sagen, dass es keinen Bereich gibt, der nicht von den drohenden Kürzungen betroffen ist.
Für das Dresdner »Bündnis für Pflege« dokumentieren Sie die möglichen Folgen der Kürzungsorgie filmisch. Über welches der Vorhaben waren Sie am meisten erschrocken?
Für meine Recherche war ich unter anderem bei »Safe DD«. Das ist neben dem Versorgungsangebot der Heilsarmee die einzige professionelle Stelle für Straßensozialarbeit für Erwachsene in der Stadt. Als ich erfuhr, dass das Team aus gerade einmal acht Sozialarbeitern besteht, die insgesamt mehr als 1.500 Menschen betreuen, war ich zutiefst geschockt. In einer zweistündigen Sprechstunde müssen sie knapp 30 Menschen behandeln. So kann jetzt schon keine adäquate Hilfe geleistet werden. Im kommenden Haushalt soll nun für die Finanzierung dieses Projekts das gesamte Budget gestrichen werden. Straßensozialarbeit ist kein Pflichtpunkt im Haushalt.
Was bedeutet das für die Menschen, die auf diese Angebote angewiesen sind?
Mit dem Wegfall von Sozialarbeitsprojekten verlieren die Betroffenen nicht nur ihre Ansprechpartner, sondern vor allem ihre vielleicht letzte Chance, wieder zurück in ein menschenwürdiges Leben zu finden. Mir wurde berichtet, dass es bei einigen Betroffenen ein Kampf von Monat zu Monat ist, ob sie überleben oder nicht. Menschen ohne Wohnung, ohne Krankenversicherung oder mit Suchterkrankungen können sich nicht am eigenen Schopf aus ihrer misslichen Lage ziehen. Dafür benötigen sie akute, professionelle Unterstützung. Mit dem neuen Haushalt könnte das für die nächsten zwei Jahre vorbei sein und das könnte Menschenleben kosten.
Welche Folgen befürchten Sie für die gesamte Stadt?
Die Stadt wird nicht nur eine Welle an arbeitslosen Sozialarbeitern erleben, sondern auch erheblich an Lebensqualität einbüßen. Ein höherer ÖPNV-Takt nervt genauso wie höhere Parkkosten. Das Schwimmbad um die Ecke macht dicht, der schon seit Jahren sanierungsbedürftige Sportplatz wird nicht saniert und die Stadtreinigung vielleicht privatisiert, wodurch wieder freie Fahrt für Angebotsverkleinerung und Lohndumping herrscht. Die Liste mit Beispielen könnte ich noch lange fortführen. Dabei sollte man eins nicht übersehen: Je ärmer man ist, desto mehr ist man auf öffentliche Versorgung angewiesen und damit um so mehr von den Kürzungen betroffen.
Mit dem eigenen SUV lassen sich auf dem Weg zum privaten Tennisplatz die Kürzungen galant umfahren. Gerade in Stadtteilen, die seit langem schon als »soziale Brennpunkte« gelten, wird zuerst und am meisten gekürzt, weil von dort auch kein Widerstand erwartet wird.
Das »Bündnis für Pflege« und viele andere Initiativen machen mobil gegen die Streichliste.
Das vom Dresdner Pflegebündnis ins Leben gerufene »Bündnis gegen Kürzungen« bringt alle von den Kürzungen betroffenen Einrichtungen unter ein Dach. So können die kleinen, aber nicht weniger wichtigen Organisationen auch gehört und nicht von der Politik gegeneinander ausgespielt werden.
Am 21. November soll vor Beginn der Stadtratssitzung, in der der Haushaltsentwurf eingebracht wird, eine große Demonstration vor dem Dresdner Rathaus stattfinden. Die seit zwei Wochen laufende Petition wurde bereits von mehr als 11.000 Personen unterschrieben.
Das Gespräch erschien zuerst am 11.11.24 in der Tageszeitung Junge Welt. Oliver Zech ist Dresdner Filmemacher, aktiv im »Bündnis für Pflege« und bei der Sol.