„ver.di muss auf ihre Mitglieder hören“

Interview mit Anja Voigt zu Tarifabschluss und Entlastungsbewegung 

Anja Voigt ist Krankenschwester im kommunalen Klinikum Neukölln (Berlin), Betriebsrätin und ver.di Aktive

Der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke bezeichnete das Tarifergebnis als “respektablen Abschluss”. Wie siehst Du das Ergebnis? 

Ich bin etwas zwiegespalten. Einerseits hatte sich ver.di vorgenommen, ein deutliches Zeichen für die Pflege zu setzen. Das haben sie auf tariflicher Ebene auch erreicht. Die steuerfreie Corona-Zulage ist durchaus respektabel. Auch die Ergebnisse für die Azubis sind positiv zu bewerten.  

Andererseits sind die lange Laufzeit, der Beginn der Tarifsteigerung erst im nächsten Jahr und die allgemeine Lohnsteigerung von 1,4 Prozent in 2021 und 1,8 Prozent in 2021 zu kritisieren.  

Mir wäre es lieber gewesen, für alle Beschäftigten eine deutlichere Lohnsteigerung auszuhandeln. 

Ich habe die Sorge, dass es jetzt zu einer Spaltung unter den Beschäftigten kommen wird und viele sich denken, die Pflege bekommt so viel und wir so wenig. 

Was ist in der Tarifrunde verpasst worden? 

Den Blick auf die Entlastung der Kollegen zu richten. Viele meiner Kolleg*innen würden auf Tarifsteigerungen verzichten, wenn es mehr Personal dafür gäbe oder mehr Urlaub und kürzere Arbeitszeiten. Die vielen Forderungen von Beschäftigten, die ver.di gesammelt hatte – darunter waren sowohl deutliche Lohnsteigerungen als auch Entlastung – flossen kaum in die dann aufgestellten offiziellen Forderungen ein. 

Wie muss es jetzt, nach der Tarifrunde, für gewerkschaftlich Aktive im Krankenhaus weitergehen? 

ver.di darf sich jetzt nicht wieder zurückziehen und bis zur nächsten Tarifrunde “schlafen”, wie in den letzten Jahren immer wieder passiert. Es muss jetzt die ganze Kraft, die durch den Tarifkampf gesammelt und aktiviert wurde, genutzt werden, um die Entlastungsbewegung voran zu treiben. Die jetzt hoch motivierten Kollegen müssen geschult werden und mit eingebunden werden.  

Es geht darum, ver.di Druck zu machen von “unten”, also von Kolleg*innen an der Basis; das ständige “Top Down”-Prinzip mal zu durchbrechen. ver.di muss mehr auf ihre Mitglieder hören und deren Forderungen an die Gewerkschaft ernster nehmen. Hier muss es darum gehen, die Organisation transparenter zu machen, die Entlastungsbewegung voran zu bringen und  den Beschäftigten das Gefühl zu vermitteln, ihre Gewerkschaft ist für sie da, nimmt sie ernst und hört auf sie. 

Ihr fordert nach wie vor die Einberufung einer Aktivenkonferenz für Krankenhäuser durch ver.di. Worum soll es dort gehen? 

Eine Gruppe von Aktiven in Krankenhäusern hat begonnen, sich zu koordinieren und sammelt Unterstützung für die Forderung nach einer Aktivenkonferenz. Wer sich beteiligen möchte, kann sich hier melden: kh-aktivenkonferenz@web.de

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